Ich würde mich von meinem Wesen her nicht als besonders geduldig einschätzen. Dennoch benötige ich und alle anderen diese Tugend immer wieder.
Im Kleinen wie im Grossen
Ein gutes Vorbild in Sachen Geduld ist natürlich Gott, dessen Langmut zu seinem Wesen gehört (Ex 34,6). Von ihm erhoffen wir, dass er immer wieder Geduld mit uns Menschen hat und diese Geduld sollen wir dann selbstverständlich auch gegenüber uns und anderen Menschen aufbringen. Das ist nicht immer einfach: Geduld mit mir zu haben, wenn ich vieles nicht erledigen konnte, was ich mir vorgenommen hatte, oder Geduld mit anderen zu haben, denen es auch so ergeht. Ja, hier fängt die Geduldsprobe schon ganz im Kleinen an. Aber auch im Grossen ist es schwierig mit der Geduld, das zeigt sich gerade in der Virus-Bekämpfung. Hier braucht es ebenfalls die Balance zwischen Geduld und Aktivität: Geduld mit den Massnahmen, die uns alle einschränken und Aktivität zum Beispiel beim Impfen oder bei den Schutzkonzepten. National sind die Massnahmen und das Verhältnis zwischen Geduld und Aktivität sehr unterschiedlich umgesetzt worden. Es wird sich im Nachhinein zeigen, wer das beste Mass gefunden hat.
Geduld mit der Kirche?
Geduld ist aber auch immer wieder in der Kirche gefragt. In unserer schnelllebigen Zeit ist es allerdings stets schwieriger zu vermitteln, dass es Geduld braucht, bis Reformen zustande kommen. Es wird trotz weltweiter Vernetzung andauernd schwieriger, den katholischen Blick zu haben, das heisst zum Beispiel bei der Frauenfrage zu sehen, dass die Situation in Europa eine völlig andere als in Afrika ist und deshalb gesamtkirchliche Reformen nicht einfach sind. Doch die Ungeduld wächst und wir sollten darauf achten, dass wir die Geduld der Menschen nicht zu sehr auf die Probe stellen. Denn die Menschen von heute haben nicht mehr so viel Geduld wie die Reformwilligen früherer Zeiten. Sie werden sich einfach von der Kirche abwenden, wenn sie sich von ihr nicht mehr ernst genommen fühlen.
Früchte der Geduld
Doch man darf auch sehen, dass Geduld und Aktivität in gesundem Mass zu vielem Positivem geführt haben. So sind zum Beispiel in unserer Kirche bis auf der Stufe der Diözesankurie heute Frauen vertreten. Sie bewegt sich also doch, die Kirche, nur einfach viel langsamer als es sich viele wünschen. Die Frage der Geduld ist für mich deshalb besonders eine Frage der Spiritualität. Denn Geduld haben bedeutet auch immer, sich der eigenen Grenzen bewusst zu werden. Mir hilft dabei dieses bekannte Gebet von Reinhold Niebuhr:
«Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.»
Nach dem Schreiben dieser Zeilen habe ich irgendwie den Eindruck, dass es schwieriger ist, sich in Geduld zu üben als in Aktivität aufzugehen. Ich wünsche deshalb allen viel Geduld!
Hanspeter Wasmer