Etwa in der zeitlichen Mitte seiner (2014 vorerst abrupt abgebrochenen) Karriere als äusserst erfolgreicher deutscher Komiker und Medienstar begab sich Hape (eigentlich Hanspeter) Kerkeling (*1964) im Sommer 2001 für seine Umgebung überraschend für sechs Wochen auf den spanischen Schlussteil des klassischen Jakobswegs und traf auch am 20. Juli erfolgreich in Santiago de Compostela ein. Der gesundheitliche Doppelschlag eines Hörsturzes und einer Gallenblasenresektion stand am Anfang dieser bewusst genommenen Auszeit, die er zunächst in einem Pilgertagebuch und dann in einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Sachbücher der letzten Jahrzehnte, das daraus entstand, dokumentierte. Selber gesteht er ein, dass ihn schon vorliegende ähnliche Berichte, etwa die von Shirley MacLaine1 und Paulo Coelho2, dazu inspiriert hatten. Nichtsdestotrotz steht Kerkelings Buch am Anfang eines neuen Runs auf dieses Thema im deutschsprachigen Raum.
Zwischen Spiritualität und Brummis
Der Rezensent hat es unternommen, das Buch 20 Jahre nach erfolgter Reise neu zu lesen und zu bewerten. Kerkeling fällt es trotz Auszeit und dem für dieses Vorhaben klassischen spirituellen Vorsatz, loslassen zu lernen, schwer, sein eigentliches komödiantisch-boshaftes Talent zu verdrängen. Hatten ihn schon als Teenager die heimlich belauschten Kaffeegespräche älterer Damen zu seinen Sketchen inspiriert, so hört er genau zu, was seine Mitpilgernden so tags und nachts (belauscht aus dem Hotelfenster) von sich geben, und er baut sich seine Sympathie- und Antipathie-Bilder dazu auf. Hoffen wir, dass sich die negativ Geschilderten, etwa die von ihm «Schnabbel» genannte Gymnasiallehrerin, im Buch nicht gefunden haben! Die beiden rothaarigen Akademiker-Freundinnen hingegen, mit denen er das letzte Drittel pilgert und sich die Dreierzimmer teilt, Anne aus Liverpool und Sheelagh aus Neuseeland, haben ihn schliesslich gerettet und ans Ziel gebracht.
Wut, Ärger und Selbstkritik überkommen ihn immer dann, wenn er trotz Pilgerreise doch wieder zu den Tagesaktualitäten, etwa per Presse und Bildschirm, zurückgreift. Da fällt ihm dann auf, wie seicht-belanglos und menschenverachtend die gesamte Medienwelt, die er selber ja genauso beliefert hat, auftritt, wie gnadenlos homosexuelle Menschen diskriminiert werden und welch üble Rolle seine katholische Kirche, in der er aufgewachsen ist, dabei spielt. Kaum ein Zufall, dass er, der ab dem 18. Lebensjahr mit seinem Partner zusammenlebt, nach der Reise sein einst (1991 durch Rosa von Praunheim) erzwungenes Outing positiv beurteilen kann. Ein eigentlich spirituelles Werk kann man das Buch nicht nennen, wenn Kerkeling auch manchmal über die Gottesfrage, Nahtoderfahrungen und die Möglichkeit der Reinkarnation spekuliert.
Handfest und gnadenlos hingegen bleiben die ganz praktischen Schilderungen, welche die Schinderei der Jakobsweg seinen Pilgernden zumutet, körperlich-gesundheitlich, meteorologisch-klimatisch wie auch hygienisch bedingt. Dem Rezensenten zumindest ist beim Lesen jede Lust vergangen, je in seinem Leben in einem spanischen Pilger-Refugio zu nächtigen. Und Kerkeling flieht darum auch in drei von vier Nächten ins Hotelzimmer oder ins B & B. Auch der Umgang der spanischen Welt mit Haustieren, besonders mit den von ihm immer wieder bedauerten Hunden, macht einen schaudern. Allerlei Unheimlichkeiten und Schreckgespenstern wie den Wegelagerern und Wölfen auf dem Weg Richtung galizische Grenze begegnet er nicht. Und der mehrstündige Horrortrip entlang einer von Hunderten von rasenden Brummis befahrenen Überlandstrasse lässt schliesslich die ernsthafte Frage offen, ob und warum sich Menschen das antun!
Kerkeling hat ab und zu geschummelt, etwa nach Pamplona den Bus und später vor Leon den Zug genommen, doch die Mindestanforderung – die letzten 100 Kilometer zu Fuss bis Santiago – hat er bei Weitem eingehalten. Den abgestempelten Pilgerpass darf er zu Recht dokumentieren.
Das Buch ist des einmaligen Lesens und Bedenkens wert. Man(n) schwankt zwischen Heiterkeit, Mitleid und der Frage, ob nicht Ignatianische Exerzitien der bessere Weg zur Selbsterkenntnis wären.
Heinz Angehrn