SKZ: Wie sind Sie zum Ikonenmalen gekommen?
Susanne Guler: Schon als Kind zeichnete und malte ich gerne und war schon immer religiös interessiert. Deshalb absolvierte ich eine Ausbildung zur Katechetin. Bei einer Theateraufführung einer russischen Legende hing als Kulisse eine Ikone an der Wand. Da machte es bei mir Klick. In den Ikonen fand ich das religiöse Interesse mit dem malerischen vereint. Und das zu einem Zeitpunkt, als man hier im Westen noch nicht wusste, was eine Ikone ist. Danach habe ich Orte gesucht, wo auch der spirituelle Hintergrund des Ikonenmalens gegeben war. Ich habe mich gefragt, woher die Ikonen kommen, wo ihr Sitz ist. So kam ich in Kontakt mit der russisch-orthodoxen Kirche in Zürich.
Viele Menschen haben Ikonen zu Hause. Wie können wir diese «lesen»?
Normalerweise hat eine Ikone einen Titel. Bei der Mutter Gottes zum Beispiel ist durch ihre Gestik, die Art und Weise wie sie Christus hält usw. definiert, woher sie kommt und welche Bedeutung sie hat. Hier gibt es entsprechende Literatur, in der man nachschauen kann. Szenische Darstellungen sind einfacher, da man sie aus der Bibel kennt.
Was sagen die Farben aus?
Durch den im 9. Jahrhundert festgelegten Kanon ist klar definiert, wie man Ikonen malt und mit welcher Farbe gemalt wird. Es gibt auch Ikonenmalbücher vom Berg Athos, die genaue Anleitungen geben1. Ist bei einer Ikone die Schrift verblasst oder beschädigt, kann man aufgrund der Farbgebung herausfinden, wer abgebildet ist. Christus wird meistens mit einem blauen Übergewand und einem purpurfarbenen Unterkleid dargestellt. Purpur und Lapislazuli waren die teuersten Farben und dem Kaiser vorbehalten. Für die frühen Christen war die göttliche Verehrung Christi die Absage an den Kaiserkult, und darum waren auch für Christus nur die kostbarsten Farben angemessen. Der verherrlichte Christus hingegen trägt meistens ein golddurchwirktes Gewand: Gold ist die Farbe der Transzendenz. Gottvater dürfte eigentlich nicht gemalt werden, aber er wird es z. B. in Dreifaltigkeitsdarstellungen. Er wird normalerweise in hellen Pastellfarben und mit einem achtzackigen Nimbus dargestellt: Vier und vier; vier als die Zahl der Vollkommenheit. Für Maria wird ein rotes Obergewand und ein blaues Unterkleid verwendet. Grün und Ockertöne werden vielfach von den lebenden Zeugen der Heilsgeschichte wie Propheten, Aposteln und Heiligen getragen. Mönche, Nonnen und Einsiedler sind braun gewandet als Ausdruck der Askese, Märtyrer mit ihren normalen Kleidern, aber immer mit dem weissen Märtyrerkreuz. Die Farben selber können variieren. So kann das Ocker bei Johannes dem Täufer von fast Rostrot bis ganz hell sein. In den Malerbüchern vom Berge Athos sind die Farben den jeweiligen Personen zugeordnet und verbindlich für die Ikonenmaler. Die Farben auf den alten Ikonen veränderten sich im Laufe der Zeit durch den Firnis, Kerzenrauch oder andere Verschmutzungen.
Meistens stehen auch Buchstaben neben den Figuren.
Christus- und Marienikonen werden ohne Ausnahme mit griechischen Buchstaben beschriftet. Bei Christus sind im Kreuznimbus die drei Buchstaben Omega, Omikron, Ny zu lesen. Das bezieht sich auf die alttestamentliche Geschichte vom brennenden Dornbusch, als Mose Gott nach seinem Namen fragte und Gott antwortete: Ich bin, der ich bin, griechisch: ho ohn2. Dadurch, dass diese Buchstaben im Kreuznimbus stehen, ist er als Sohn Gottes definiert. Links und rechts stehen die Buchstaben IC XC: iesous christos (Jesus Christus). Bei Maria stehen MHP OY: meter theou (Mutter Gottes). Erst mit diesen Buchstaben ist die Ikone als Ikone definiert.
Interview: Rosmarie Schärer