Grenzen überschreiten, um sie zu respektieren

So lautet das Motto für den internationalen ökumenischen Tag der Schöpfung, der am 4. September am Bodensee gefeiert wird. Es ist der Auftakt für weitere Aktionen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.

 

Jede deutsch-österreichisch-schweizerische Zusammenarbeit am Bodensee muss sich damit auseinandersetzen, dass aus helvetischer Sicht zwei weitere Voralpenseen mit grenzüberschreitender Dynamik vorhanden sind: der Lago Maggiore und der Genfersee. Das ist keine Spitzfindigkeit, sondern Ausdruck der Tatsache, dass die Schweiz mehr ist als die Deutschschweiz. Was würde grenzüberschreitendes Miteinander am Bodensee nützen, wenn es eine Grenze zöge innerhalb der Schweiz selbst? Erst die drei Seen miteinander bilden die Eigenart schweizerischen Selbstverständnisses annähernd ab. Sie stehen für die drei am meisten gebrauchten Nationalsprachen in ihrer Gleichberechtigung und ihrer aufeinander und auf die Nachbarländer bezogenen Lebendigkeit.

Grenzen zum Fliessen bringen

So wie Sprache, Kultur und lebendiger Glaube fliesst – im respektvollen Austausch miteinander –, so bringen Ströme lebendigen Wassers Grenzen zum Fliessen. Und was hier für die Schweiz in Erinnerung gerufen wird, gilt sinngemäss am Neusiedler See und an Donau und Drau, am Rhein und an der Oder, an der Nord- und Ostsee. «Da war ich schon – überall», würde so manches Wassermolekül sagen, wenn wir es reden liessen. Und wir sterblichen Menschen kämen uns borniert vor. «Bornes» ist das französische Wort für die Grenzsteine, die sofort versinken würden, wenn man sie mitten im See setzen wollte. Lassen wir unser Wassermolekül ein bisschen erzählen – vom Genfersee. «Er ist sogar noch grösser als der Bodensee und enthält fast doppelt so viel Wasser», würde das Wassermolekül sagen und – angesteckt vom diplomatischen Sinn des internationalen Genf – hinzufügen: «Aber der Bodensee ist lieblicher mit seinen flachen Ufern mit einmaligen Pflanzenarten; die gibt es nur dort.» Den verwüstenden Tsunami im Jahre 563 könnte das Wassermolekül schildern, als ein gewaltiger Bergsturz in der seenahen Rhone-Ebene eine bis zu 13 m hohe Flutwelle auslöste (Sedimentuntersuchungen haben bestätigt, was man etwas ungenau aus alten Texten wusste). Falls es damals nicht gerade im Indischen oder Pazifischen Ozean war, könnte das Wassermolekül auch aus dem Inneren des Rhonegletschers während der letzten Eiszeit vor mehr als 10'000 Jahren berichten: Eismassen schürften die Vertiefung aus, die später zum See wurde.

Subtileres liesse sich hinzufügen, die Gedankenwelt Rousseaus, die unser modernes Naturverhältnis prägt bis in die kirchliche Frömmigkeit hinein, Madame de Staël mit ihrer Liebe zu Deutschland: eine Genferin und ein Genfer, die sicher oft in Gedanken vor dem Wellenspiel des Sees sassen. So wie Henri Dunant mit seinem grenzüberschreitenden Engagement für Menschlichkeit im internationalen Recht und in der Praxis.

Die Schweiz als Wasserschloss

Eine gewisse Spannung ist nicht zu bestreiten zwischen der Symbolik der Berge und der Symbolik des Wassers im schweizerischen Selbstverständnis: das Hochgebirge ist Festung, das Wasser öffnet Täler und weist über Grenzen hinaus. Schon im 16. Jahrhundert spielt das Gotthard-Massiv eine zentrale Rolle mit der Beobachtung, dass dort Flüsse von europäischer Bedeutung entspringen: der Rhein und die Rhone, der Ticino als Nebenfluss des Po. Nach Osten ging diese schmeichelhafte Geometrie von Europas «punctus medius» mit vier Paradiesströmen nie ganz auf; zwar ist auch die Innquelle schweizerisch, aber am Gotthard liegt sie nicht. Und wenn sie sich gern als «Wasserschloss Europas» bezeichnet, blendet die Schweiz Österreich aus. Allein der Ausdruck «Wasserschloss» zeigt die Zweideutigkeit des schweizerischen «Alpenstaatsmythos». «Schloss» kommt von «schliessen». Hier schwingt bis heute die erst am Anfang der Neuzeit überwundene Vorstellung mit, das Quellwasser komme aus einem unerschöpflichen Vorrat im Inneren der Berge. In unseren Köpfen ist diese Idee immer noch da. Und mit dem fatalen Fortwirken einer solchen Illusion ist die Schweiz keineswegs allein. Wir sind weit davon entfernt, die Evidenz des Wasserkreislaufs ernst zu nehmen, zirkulierendes Wasser in gasförmiger, flüssiger und fester Form. Das «Wasserschloss» versiegt, wenn die einsickernden Niederschläge abnehmen und sich das Gletschereis nicht mehr genügend erneuert. Schon seit Jahrzehnten ändert sich das Wasserregime der Voralpenseen deutlich – mit jahreszeitlich vorgezogenen Überschwemmungen und sommerlichem Niedrigwasser. Und schon lange beruht die Trinkwasserversorgung vieler Grossstädte auf «fossilem Wasser» aus zwischeneiszeitlichen Tiefenschichten, weil das bodennahe Grundwasser mit Schadstoffen belastet ist, oft auf Jahrhunderte hinaus.

Grenzen überwinden

Nur grenzüberschreitend lässt sich diese Entwicklung bremsen. Die entscheidenden Grenzen sind nicht die staatlichen. Diese müssen überschritten werden, um die Grenzen der Belastbarkeit der Wasserkreisläufe respektieren zu können. Sie sind die eigentlichen Grenzen. Ohne internationale Koordination bei Energie und Klima, Verkehr und Landwirtschaft ist das nicht möglich.

Nur Gott ist die unerschöpfliche Quelle allen Lebens – und die Gerechtigkeit, die von ihm her fliesst wie ein Strom (Amos 5,24).

Otto Schäfer*


Damit Ströme lebendigen Wassers fliessen

Das Thema für die diesjährige SchöpfungsZeit, die vom 1. September bis zum 4. Oktober dauert, ist in diesem Jahr gemeinsam für den deutschsprachigen Raum festgelegt worden. «Damit Ströme lebendigen Wassers fliessen» ist das Motto für den internationalen Ökumenischen Tag der Schöpfung, der am 4. September am Bodensee gefeiert wird – in Bregenz, Lindau und in Romanshorn. Nähere Informationen und eine Anmeldemöglichkeit findet sich hier: www.schoepfungstag.info

Der Schöpfungstag am Bodensee ist der Auftakt für weitere Gottesdienste in Pfarreien und Kirchgemeinden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als Grundlage dafür hat «oeku Kirchen für die Umwelt» eine SchöpfungsZeit-Dokumentation zusammengestellt mit Predigtimpulsen, einer Sammlung liturgischer Texte, Beiträgen von Wasser-Fachleuten sowie Impulsen für die Erwachsenenbildung und den kirchlichen Unterricht. Die SchöpfungsZeit-Dokumentation gibt es in einer deutschen und einer französischen Fassung, schliesslich soll die SchöpfungsZeit vom Bodensee bis zum Genfersee gefeiert werden können. Sie kann bei www.oeku.ch bestellt werden.

Der Glaube ist wie Wasser
Die reformierte Theologin Nadine Manson zieht in ihrem Predigtimpuls eine Analogie zwischen dem Glauben und dem Wasser: «Der Glaube macht unser Menschsein aus, so wie das Wasser unseren Leib. Der Glaube fliesst in unseren Adern und nährt uns, ob wir es wissen oder nicht, ob wir es wollen oder nicht. Den Glauben kann man sich nicht verdienen. Er ist ein Geschenk, das jedem einzelnen von Gott gegeben wird … Wie das Wasser, das auf der Erde vorhanden ist, ist der Glaube von Gott ‹im Anfang› aus Gnade geschenkt … Es gibt nichts, was dem Wasser so ähnlich ist, wie der Glaube selbst. Flüchtig in seiner Struktur, in ständiger Veränderung, die Form aller Gefässe annehmend, ohne sie zu behalten, fähig, einen Fels zu durchdringen, ohne ihm etwas entgegenzusetzen, gut zu allen Wesen, ohne von irgendjemandem etwas zu verlangen, Ursprung des Himmels und der Erde, Mutter aller Dinge: Wasser ist das Alpha und das Omega des Lebens, ein Ausdruck Gottes.»

Glaube und Ökopraxis
Der orthodoxe Theologe Ioan Moga erinnert in seinem Impuls an seine Erlebnisse mit Wasser in seiner Heimat Rumänien, einen verschmutzten Fluss, der heute wieder sauber ist, an frisches Quellwasser in einem Wald, der heute zubetoniert ist. Ökologie und Ökopraxis seien Teil des christlichen Glaubens. Ein christliches Glaubensleben ohne ein aktives ökologisches Bewusstsein sei ein Widerspruch in sich. «Indem wir Orte entdecken, fördern oder bewahren, wo lebendiges Wasser (noch) eine erfahrbare Realität ist», können wir beginnen. Denn «ohne echte Wasser-Er-Innerung bleibt das biblische Wort Jesu Christi über ‹fliessende Ströme des lebendigen Wassers› ein Code, der schwer zu entziffern ist.»

 

 

* Otto Schäfer ist promovierter Biologe und Theologe.

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

Dokumente