Grün

Warum die Farbe Grün der katholischen Kirche gut stehen könnte, erläutert Bischof Felix Gmür von Basel in seinem zum Nachdenken anregenden Essay.

Streichen Sie Ihr Wohnzimmer grün! Das ist keine Feng-Shui-Regel. Vielmehr riet bereits Goethe, Alltagsräume in Grün zu gestalten. Grün bringe ein Gleichgewicht in Gegensätze, beruhige und wirke ausgleichend aufs Gemüt. Papst Innozenz III. behauptete im 12. Jahrhundert, Grün sei durchschnittlich und neutral. Haftet dieser Farbe ein Hauch von Langeweile an?

Wenn ich Pastoralräume errichte, liegt für mich oft ein weisses Messgewand bereit. Für solche Anlässe scheint Grün zu konventionell. Man will den besonderen Tag schliesslich in seiner Aussergewöhnlichkeit feiern!

Wer feiert grosse Feste nicht gerne mit allem Drum und Dran? Viele beschränken ihre Gottesdienstbesuche so auch auf Hochfeste wie Ostern oder Weihnachten. Die Zeit im Jahreskreis – Grün ist ihre Farbe – erscheint dagegen wenig spektakulär. Doch sie dauert am längsten und hat eine besondere Qualität. Gerade das Grün verleiht ihr diesen Ausdruck.

In der gängigen Farbsymbolik gilt Grün als Farbe des Lebens, des Wachsens, der Schöpfung und der Hoffnung. Hinweise dafür bietet die Heilige Schrift. Grün bedeutet keimendes Leben: «Das Land lasse junges Grün wachsen, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin» (Gen 1,11). Am dritten Schöpfungstag, also schon am Anfang, steht Grün für lebendige Natur, Wachstum und Fruchtbarkeit. Jesaja nimmt die Verheissung auf: «Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen, und ihr werdet aufblühen wie frisches Grün» (Jes 66,14).

Leben keimt oft unspektakulär oder im Kleinen. Glauben ereignet sich nicht nur an Hochfesten. Wachstum, auch im Glauben, ist oft langsam, braucht Zeit, geschieht im Alltag. Dieser kann durchaus eintönig oder mühsam sein. Doch wächst das Grün, reift der Mensch gerade in und durch diese Zeiten. Die Kontinuität im Glauben, die Feier der Zeit im Jahreskreis bildet den Nährboden für eine tragfähige Beziehung zwischen Gott und den Gottsuchenden. Die alltägliche Glaubenspraxis ist Basis für das Feiern der Hochfeste, die dann den aus dem Grün hervorgehenden Blüten entsprechen.

Die «grüne Zeit», die Zeit im Jahreskreis, ist bedeutsam. Man muss dranbleiben, damit sich die Verheissung auf Leben in Fülle, die Hoffnung, die in der Farbe Grün liegt, erfüllt. Dies gilt auch für die Kirche als ganze. Es bedarf der Ausdauer, echten Hinschauens und eines aufrichtigen Umgangs mit Gegensätzen und anderen Meinungen. Diese sind normal, weil unsere Kirche den Anspruch hat, Weltkirche, katholisch im wahrsten Sinne des Wortes zu sein. Hier bietet sich Goethes Deutung des Grüns zum Weiterdenken an. Langweilig ist die Farbe nämlich auch bei ihm nicht: Grün ist Mischfarbe. Sie ist ausgleichend, hält damit aber auch unausgesprochene Spannungen aus. Grün ist, so Goethe, die Einheit von Gegensätzen: Gelb und Blau, Wirkung und Beraubung, Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Kraft und Schwäche, Wärme und Kälte, Nähe und Ferne, Abstossen und Anziehen. Grün, die Farbe der Zeit im Jahreskreis. Grün, die Farbe der katholischen Kirche: Glauben im Alltag.

+Felix Gmür, Bischof von Basel


Felix Gmür

Dr. theol. Dr. phil. Felix Gmür (Jg. 1966) studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Freiburg i. Ü., München, Paris und Rom. Die Studien schloss er 1994 mit einem Lizentiat in Theologie, 1997 mit einem Doktorat in Philosophie und 2011 mit einem Doktorat in Theologie ab. Seit 2011 ist er Bischof von Basel und seit 2019 Präsident der Schweizer Bischofskonferenz (SBK).