SKZ: Wie ist der Kolumbansweg entstanden?
P. Kolumban Reichlin: Vor einigen Jahren schlossen sich in Bangor in Nordirland, von wo der heilige Kolumban zu seiner Missionsreise aufbrach, Menschen, die sich für das Leben und Wirken des heiligen Kolumban interessieren, zu Vereinigungen «Freunde des heiligen Kolumban» zusammen. In diesem internationalen Freundeskreis reifte allmählich die Idee, einen Kolumbansweg von Bangor über Luxeuil und Bregenz nach Bobbio in Norditalien zu realisieren.
Warum machten Sie sich auf den Kolumbansweg?
Nachdem ich im August 2020 die Verantwortung für die Propstei St. Gerold übergeben hatte, durfte ich eine halbjährige Sabbatzeit verbringen. Da ich mich gut erholen kann, wenn ich in Bewegung bin, dachte ich schon früh daran, mich auf einen Pilgerweg zu begeben. Der Kolumbansweg reizte mich nicht nur, weil er mit meinem Namenspatron zu tun hat. Ich hatte ursprünglich geplant, den ganzen Weg von Bangor nach Bobbio zu gehen, was in sechs Monaten auch zeitlich in etwa hätte machbar sein sollen. Leider kam die Covid-19-Pandemie dazwischen. Dann wurde Ende Juni der Schweizer Abschnitt offiziell eröffnet. Auf der entsprechenden Webseite fand ich konkrete Etappen- und Übernachtungsvorschläge sowie weitere hilfreiche Informationen. Ich entschloss mich spontan, dieses Teilstück in Angriff zu nehmen.
Und dann begann Ihr Weg …
Ich bin Mitte Oktober bei herrlichem Herbstwetter in Basel gestartet. Der erste Teil des Weges geht fast alles dem Rhein entlang, dann folgt er der Aare und später der Limmat bis nach Zürich. Danach führt der Weg nach Pfäffikon und alternativ via Rapperswil oder Tuggen nach Wattwil. Ich habe mich für die Variante über Tuggen entschieden, da Kolumban dort gewirkt hat. Damals lag Tuggen noch am See. Kolumban und seine Gefährten sind vermutlich so weit als möglich Wasserwegen gefolgt, das war der einfachste Weg. Grundsätzlich führt der ganze Kolumbansweg an Orten entlang, von denen man weiss, dass Kolumban dort gewirkt oder ein Kloster gegründet hat. Ich bin dann durch das Toggenburg nach St. Gallen gewandert und weiter nach Bregenz. Von dort geht der Weg dem Rheintal entlang nach Hohenems (A). Eine Variante führt zurück in die Schweiz nach Haag und von dort über Sargans nach Chur. Ich habe die östliche Variante aber über den Wallfahrtsort Rankweil nach Feldkirch gewählt. Die offizielle Route führt via Balzers (FL), Malans und Trimmis nach Chur. Ich bin jedoch nach Ruggell und dann dem Rheinufer entlang nach Chur marschiert. Von dort habe ich mich wieder für eine eigene Route entschieden und bin dem sogenannten Polenweg via Rothenbrunnen gefolgt und dann dem Hinterrhein entlang über Thusis nach Muldain aufgestiegen. In Alvaschein bin ich wieder auf den offiziellen Weg gestossen, der von Chur über die Lenzerheide führt. Da ich auf der Wegetappe nach Bivio bereits in den Schnee geraten bin und der Septimerpass nochmals 500 Meter höher liegt, habe ich den Weg in Bivio beendet und die beiden letzten Etappen nach Vicosoprano und Castasegna ausgelassen.
Welcher Abschnitt gefiel Ihnen am besten?
Der Weg führt grundsätzlich durch eine Bilderbuchlandschaft. Besonders fasziniert haben mich die langen Wegstrecken den Flüssen entlang. Das war eine völlig neue Erfahrung. Ich war bis dahin noch kaum zu Fuss im Mittelland, sondern eher in den Bergen unterwegs. Die warme Herbstsonne liess das Laub der Sträucher und Bäume goldig-bunt aufleuchten, verstärkt noch durch die Spiegelungen in den Flussgewässern. Es war schlichtweg traumhaft. Besonders reizvoll und mir bis dahin vom Wandern unbekannt waren auch der Weg durch das Toggenburg sowie die Wegstrecke von Chur nach Bivio.
Waren Sie im Geist mit dem heiligen Kolumban auf dem Weg?
Natürlich war mein Namenspatron immer wieder in meinen Gedanken. Ich habe mich gefragt, wie er und seine Gefährten damals wohl gereist sind, wie die Begegnungen
mit der einheimischen Bevölkerung möglich war, wie sie sich sprachlich, menschlich und spirituell verständigt und verstanden haben, welchen Eindruck der heilige Kolumban auf die Bevölkerung gemacht hat, sein Eifer in der Verkündigung und seine innige Gottverbundenheit.
Pilgern ist in den letzten Jahrzehnten wieder modern geworden.
Es sind in den letzten Jahrzehnten offensichtlich aus einem Bedürfnis heraus neue Pilgerwege entstanden bzw. wiederbelebt worden wie etwa der Franziskusweg oder die Via Francigena. Jede Zeit und Generation sucht sich gemäss ihren aktuellen Herausforderungen Wege und Möglichkeiten des Ausgleichs und der Verinnerlichung und Selbstfindung. Ich betrachte dies als eine wunderbare, hoffnungsvolle Gegebenheit. Auch Menschen, die nicht kirchlich sozialisiert sind oder sich als nicht religiös bezeichnen, erfahren das pilgernde Unterwegssein als sinnstiftend und als Lebenshilfe. Wenn man allein unterwegs ist, beschäftigt man sich unweigerlich mit sich selbst, mit seiner eigenen Biografie und setzt sich mit der Frage nach dem Sinn und Ziel des eigenen Lebens und der Menschheit auseinander. Attraktiv macht das Pilgern zu Fuss sicher auch die damit verbundene Überraschungskomponente sowie sein kultureller, sportlicher, gesundheitlicher und gesellschaftlicher Aspekt.
Wie haben Sie den Weg erlebt?
Es war in erster Linie ein Naturerlebnis. Mitte/Ende Oktober war eine beschauliche, ruhige Zeit. Es waren fast keine Menschen unterwegs, obwohl das Wetter sehr angenehm und noch warm war. Das hat mich überrascht. Ich hatte viel Zeit für mich selbst. Ich hatte das Gefühl, ich wandere durch die Schweiz und bin ganz allein. Das hatte ich so nicht erwartet. Ich war wirklich ein einsamer Pilger.
Nachdem Sie nun das Schweizer Teilstück gegangen sind: Gibt es auch kritische Anmerkungen?
Die vorgeschlagene Wegführung ist, soweit ich ihr gefolgt bin, nach meinem Dafürhalten sehr gut gewählt. Asphaltierte Etappen halten sich in Grenzen und der Weg führt grösstenteils über einsame, ruhige Flusswege, durch lichte Wälder und abwechslungsreiche Landstriche. Was ich nach zwei Tagen geändert habe, ist die Einteilung der Tagesetappen. Die Webseite gibt 21 Etappen vor, sodass der Weg in drei Wochen zu schaffen ist. Die einzelnen Etappen umfassen jedoch grossmehrheitlich zwischen sechs und acht Stunden Fussmarsch, was mit einem vollbepackten Rucksack und für Menschen ohne regelmässige Fusspilger- oder Wanderpraxis ordentlich anspruchsvoll sein kann. Da ich aufgrund des Sabbathalbjahres viel Zeit hatte und mir auch Zeit lassen wollte, habe ich mir selbst vier- bis fünfstündige Tagesetappen zusammengestellt. Das verschaffte mir die nötige Zeit für kulturelle Unternehmungen, die Besichtigung interessanter Städte und Dörfer, den Besuch von Museen, das stille Verweilen in Kirchen und Kapellen, den Genuss von Kaffee und Kuchen, für ausgiebiges Schlafen sowie für die Lektüre und das «dolce far niente».
Was gab Ihnen das Pilgern auf dem Kolumbansweg?
Das Unterwegssein als Fusspilger ist ein ganzheitliches, Körper, Geist und Seele umfassendes Geschehen. Das weitgehend alleinige Unterwegssein in der Natur war für mich körperlich belebend, geistig anregend und seelisch heil- und wirksam. Zunächst hat sich noch das eine und andere innerlich gemeldet, das ich anschauen, verarbeiten und loslassen konnte. Nach zwei, drei Tagen aber ist es ruhig geworden und ich war vollumfänglich offen und empfänglich für den Augenblick, seinen Reichtum und seine Schönheit. Es waren für mich in jeder Hinsicht bereichernde Tage, auf die ich mit grosser Dankbarkeit zurückblicke.
Interview: Rosmarie Schärer