In der Fremde leben und glauben

(Bild: Rawpixel/shutterstock)

 

Als ich vor 30 Jahren ausgewandert bin, habe ich einen neuen Wohnort erhalten, eine neue Kultur kennengelernt und ein neues System entdeckt, in welchem sich mein soziales und ziviles Leben abspielt. Geblieben ist der Teil meiner Herkunft: meine Traditionen, meine Essensvorlieben, mein tiefer Glaube, meine Religion.

Migration ist in jeder Sicht ein Schritt in das Unbekannte. Ob gewollt oder nicht geplant; in dieser Situation ist es essenziell, etwas zu haben, was einem Halt gibt. Religion und Spiritualität sind dieser Halt, diese Stärke, welche unserem Herzen Hoffnung gibt, auch wenn alles schwieriger wird. Für viele ist die Religion verbunden mit den eigenen Wurzeln, den Traditionen, der Nostalgie nach unseren Familien, unserer Heimat. Aber mit der Zeit wird der neue Ort zu unserer Heimat; wir lernen die Sprache, die Kultur, schliessen Freundschaften und arbeiten in diesem neuen Land. Mit der Integration in die Gesellschaft erhalten wir auch deren Schutz. Umso wichtiger ist eine Beheimatung in der eigenen Religion. Beten in der Muttersprache schenkt Ruhe, Hoffnung und Frieden.

Kirche ist aufgrund der kulturübergreifenden religiösen Gemeinsamkeiten ein geeigneter Ort für interkulturelles Leben. Gerade die biblische Verkündigung hat einen hohen integrativen Wert, weil sie ein Menschenbild (Gen 18,1–14) erschliesst, das die gleiche Würde aller Menschen verschiedener Ethnien und Kulturen begründet und Glaubende inspiriert, die Würde jedes Menschen zu achten. Die interkulturelle Integration erfordert eine gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung gerade dessen, was uns verschieden macht. Leben im interkulturellen Kontext bedeutet: sowohl Beheimatung im Eigenen wie auch Begegnung und Verständigung mit anderen.

Migration ist kein Phänomen der Modernität. Sich eine andere oder bessere Lebensform zu suchen, ist Teil der Menschheit und auch ein Menschenrecht. Oft habe ich mich gefragt: Ist mein Glaube grenzenlos? Ich bin eine Katholikin hier in der Schweiz, in Spanien, in Vietnam oder in Tansania. Diese Verbundenheit ist grenzenlos. Trotzdem erleben wir oft Abgrenzungen. Können wir vom hl. Giovanni B. Scalabrini lernen, Migrantinnen und Migranten in ihrer Not zu unterstützen? Scalabrini ist berühmt für seine Fürsorge, mit der er einsamen Migranten begegnet ist und mit der er sie gestärkt hat – materiell und spirituell. Für ihn war es wichtig, dass jeder in einem Migrationsprozess eine Möglichkeit hat, seine Religiosität zu leben. Wenn ich die Scalabrini-Missionarinnen in Solothurn besuche, wird dies deutlich. Ich freue mich über die Fotos der Begegnungen zwischen den vielen Migrierten und Einheimischen. Jedes Jahr an verschiedenen Festen tauschen sie sich aus und feiern zusammen. Das gibt mir Hoffnung und zeigt mir, dass es möglich ist, ein Miteinander zu erleben in unserem Glauben. Ich hoffe, dass wir uns alle «auf den Weg zu einer interkulturellen Pastoral» machen. Das ist das Motto von migratio und betrifft uns alle. Das ist meine Heimat, ein Glaube, der verbindet, egal wo ich mich gerade befinde.

Isabel Vasquez*

 

* Isabel Vasquez (Jg. 1971) ist seit 1. September Nationaldirektorin von migratio. Davor war sie an der Fachstelle für Religionspädagogik in Zürich verantwortlich für Interkulturelle Katechese.