In freier Verantwortung

Welche Rolle spielte Dietrich Bonhoeffer im aktiven deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus? Christine Schliesser zeigt sein im Glauben an Jesus Christus gründendes Engagement auf.

Um es vorweg zu nehmen: Auch wenn Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) eine der bekanntesten Personen des deutschen Widerstands gegen das nationalsozialistische Terrorregime ist, so ist seine Rolle im Widerstand «an politischer Bedeutung […] nicht hoch einzuschätzen». So die nüchterne Feststellung seines Freundes und späteren Biografen Eberhard Bethge. Doch erschöpft sich Bonhoeffers Bedeutung freilich weder in seiner politischen Rolle noch auf die Zeit nach 1940. So gehörte der Theologe Bonhoeffer zu den wenigen Zeitgenossen, die bereits unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers 1933 ihm und den Nationalsozialisten unverhohlen kritisch gegenüber standen. Im Frühjahr 1933 schon positionierte sich Bonhoeffer deutlich in der Diskussion um einen «Arierparagraphen» in der Kirche, der Menschen mit jüdischem Hintergrund vom Pfarramt sowie getaufte Juden aus der evangelischen Kirche ausschliessen sollte. Für Bonhoeffer war klar: Dann wäre die Kirche nicht mehr Kirche. Doch es gelang ihm nicht, eine Mehrheit für seine Position zu gewinnen. Im September 1933 wurde auf der sogenannten «Braunen Synode» der preussischen Landeskirche die Einführung des «Arierparagraphen» auch in der Kirche beschlossen. Bonhoeffer erwartete nun von Seiten der Bekennenden Kirche ein klares Statement, dass dies den «Status confessionis», also den Bekenntnisfall und damit eine Kirchenspaltung bedeute. Wieder wurde er enttäuscht. Hatte Bonhoeffer zunächst die Entscheidung zum Widerstand an die Kirche selbst gebunden, genauer: an ein kirchliches Konzil, so erkannte er nun mehr und mehr, dass er selbst diesen Schritt auf eigenes Risiko würde wagen müssen.

Als Doppelagent aktiv

Über seinen Schwager Hans von Dohnanyi war Bonhoeffer bereits seit 1938 über Umsturzpläne in der militärischen Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris und Oberst Hans Oster informiert. Doch führte ihn sein Weg zunächst nochmal ins Ausland, in die USA, wo er bereits als Student ein Jahr am Union Theological Seminary in New York verbracht hatte. 1939 war es jedoch nicht die Theologie, sondern die allgemeine Wehrpflicht, die ihn antrieb. Um der Gefahr der Einberufung und damit eines sicheren Eklats, den seine Verweigerung für die Bekennende Kirche verursachen würde (ganz zu schweigen von dem Todesurteil, das jeden Kriegsdienstverweigerer in Deutschland erwartete), zu entgehen, entschied sich Bonhoeffer, die Einladung seiner amerikanischen Freunde anzunehmen. Doch kaum angekommen, wurde er von massiven Selbstzweifeln geplagt. Nicht einmal drei Wochen später war für ihn klar, dass sein Kommen nach Amerika ein Fehler war. In einem Brief an Reinhold Niebuhr schreibt er: «Ich habe kein Recht, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens in Deutschland nach dem Kriege mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volk teile.»

Zurück in Deutschland begann Bonhoeffer durch Vermittlungen von Dohnanyis ebenfalls, an den Umsturzplänen mitzuarbeiten, in einer Aussenstelle der militärischen Abwehr in München. In dieser Stellung war er «uk», also unabkömmlich, und vor einer allfälligen Einberufung sicher. Zugleich war seine Stellung die eines klassischen Doppelagenten: Nach aussen hin sollte er im Auftrag des militärischen Geheimdienstes über seine internationalen, ökumenischen Kontakte Informationen über das Ausland beschaffen. Nach innen tat er jedoch das genaue Gegenteil. Er informierte seine Kontakte im Ausland über den geplanten Umsturz in Deutschland. Damit verband sich die Hoffnung der Verschwörer, dass die Alliierten, wenn sie von den bestehenden Vorbereitungen für einen Coup d‘État und für eine deutsche Nachkriegsordnung wüssten, ihrerseits Deutschland nicht gänzlich vernichten würden. Auch hofften sie, durch ein positives Signal der Alliierten die noch zögernden deutschen Generäle für den Umsturz zu gewinnen. Doch war Bonhoeffer keiner der zentralen Akteure im Widerstand. «Das geistige Haupt des 20. Juli», so das spätere Urteil des Gestapo-Kommissars Franz Xaver Sonderegger, war Hans von Dohnanyi. Anders als Bonhoeffer war dieser auch an anderen Attentatsversuchen beteiligt, etwa beim Versuch, am 13. März 1943 in Hitlers Flugzeug eine Bombe zu platzieren, deren Sprengsatz dann allerdings versagte.

Den Widerstand stärken

Bonhoeffer selbst unternahm mehrere Reisen für die Verschwörer. Er reiste dreimal in die Schweiz, wo er sich u. a. mit Karl Barth in Zürich und mit Willem Vissert’t Hooft in Genf traf. Im April 1942 reiste Bonhoeffer gemeinsam mit Helmuth James Graf von Moltke, völkerrechtlicher Berater beim Oberkommando der Wehrmacht, nach Norwegen, um den dortigen kirchlichen Widerstand zu stärken. Eine nähere Zusammenarbeit mit dem von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg initiierten sog. Kreisauer Kreis, der Pläne für die Neugestaltung eines Nachkriegsdeutschlands schmiedete, ergab sich für Bonhoeffer aber nicht.

Die wichtigste Reise, die Bonhoeffer im Auftrag der Verschwörer unternahm, führte ihn im Mai 1942 in das schwedische Sigtuna. Dort traf er mit George Bell, Bischof von Chichester, zusammen. Als Mitglied des Oberhauses, des House of Lords, hatte Bischof Bell Zugang zur britischen Regierung. Bonhoeffer informierte ihn über die Umsturzpläne der Verschwörer und teilt ihm die Namen der daran Beteiligten mit. Bell liess sich überzeugen, doch blieben seine Bemühungen bei der britischen Regierung ohne Erfolg. Das Treffen sollte beiden dennoch unauslöschlich in Erinnerung bleiben. So schrieb Bonhoeffer anschliessend an Bell: «Dieser Geist der Gemeinschaft und christlichen Brüderlichkeit wird mich durch die dunkelsten Stunden tragen, und selbst, wenn die Dinge schlimmer kommen, als wir hoffen und erwarten, wird das Licht dieser wenigen Tage in meinem Herzen nie verlöschen.»

Seelsorger für seine Mitverschwörer

Neben seinen Reisen im Auftrag der Konspiration verfasste Bonhoeffer u. a. eine Kanzelabkündigung, die nach einem erfolgreichen Staatsstreich verlesen werden sollte. Zudem engagierte sich Bonhoeffer auch in Diskussionen um eine Neuordnung Deutschlands nach Ende der NS-Herrschaft. So regte er 1942 die Erarbeitung der «Freiburger Denkschrift» des Freiburger Kreises an. Zwar beteiligte er sich auch mit inhaltlichen Impulsen, doch waren bei der Ausarbeitung u. a. der Historiker Gerhard Ritter und der Wirtschaftswissenschaftlicher Constantin von Dietze federführend. Nach den Erfahrungen mit der Weimarer Republik legten sie – wie auch Bonhoeffer – ihren politischen Überlegungen zwar die Notwendigkeit eines Rechtsstaats zugrunde, allerdings weniger in Form einer liberalen-parlamentarischen Demokratie als vielmehr in Richtung einer starken Obrigkeitsorientierung. Darüber hinaus war Bonhoeffer als Pfarrer und Theologe auch ein wichtiger Gesprächspartner und Seelsorger für seine Mitverschwörer. Für diese stellte nicht zuletzt der Bruch ihres auf Hitler persönlich abgelegten Treueeids ein schwerwiegendes moralisches Dilemma dar, das sie als Christenmenschen umso tiefer empfanden. Hier waren Bonhoeffers theologische Überlegungen etwa zur freien verantwortlichen Tat, die für das Wohl des Nächsten sogar die eigene moralische Unschuld zu opfern bereit ist, hilfreich.

Inspirierendes Vermächtnis

Am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer, zusammen mit Hans von Dohnanyi und dessen Frau Christine, verhaftet. Das Reichssicherheitshauptamt der SS hatte Auffälligkeiten bei Devisentransaktionen bei der ihr ohnehin verhassten Münchner Abwehrstelle bemerkt. Hatten Bonhoeffer und seine inhaftierten Mitverschwörer anfangs noch Hoffnung auf Entlassung, wurde mit dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 diese Hoffnung fast gänzlich zunichte. Als dann die von Dohnanyi verfasste Chronik des Grauens – eine Dokumentation der Nazi-Verbrechen für deren spätere juristische Aufarbeitung – gefunden wurde, war das Schicksal der Verschwörer endgültig besiegelt. Am 9. April 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde Bonhoeffer im KZ Flossenbürg gehängt.

Bonhoeffer war kein zentraler Player im deutschen Widerstand. Und doch reicht sein Vermächtnis über Länder- und Generationengrenzen hinweg. Bis heute inspiriert Bonhoeffer als jemand, dessen Leben und Denken, Glaube und Tat, Christusfrömmigkeit und Verantwortung gerade in ihrer spannungsvollen Einheit überzeugen. Vor diesem Hintergrund kann seine Bedeutung im deutschen Widerstand kaum hoch genug geschätzt werden.

Christine Schliesser

 

* Zu den Jahrestagungen der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft (deutschsprachige Sektion) am jeweils ersten Wochenende im September in Eisenach (D) sind alle an Bonhoeffer Interessierten herzlich eingeladen. Informationen: www.dietrich-bonhoeffer.net/ibg


Christine Schliesser

PD Dr. Christine Schliesser (Jg. 1977) ist Privatdozentin für Systematische Theologie an der Universität Zürich. Sie ist Studienleiterin am Zentrum Glaube & Gesellschaft der Universität Freiburg i. Ü. und Research Fellow in Historical Trauma and Transformation der Universität Stellenbosch (Südafrika). Sie engagiert sich im Vorstand der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft.