Einige Frauen und Paare suchen nach Alternativen zu Kondomen, Spiralen, hormonalen Kontrazeptiva und anderen Mitteln der Empfängnisverhütung. Elisabeth (EB) und Rainer Barmet (RB) bieten seit 2005 Grundkurse für Natürliche Empfängnisregelung (NER) an.
SKZ: Wie kam es dazu?
EB: Wir waren zu Beginn unserer Ehe auf der Suche nach einem für uns passenden Weg im Bereich Sexualität. Die NER hat uns begeistert. Gleichzeitig machten wir aber auch die Erfahrung, dass nur wenige Grundkurse hierfür in der Schweiz angeboten wurden.
RB: Ausbildungsseminare für Multiplikatoren gab es zu dieser Zeit gar keine, nur in Deutschland und Österreich. Deshalb haben wir einen Ausbildungskurs für angehende Kursleiter in der Schweiz organisiert und ihn auch besucht. Seitdem leiten wir Grundkurse in NER.
Warum ist aus Ihrer Sicht die symptothermale Methode nach J. Rötzer in Gesellschaft und Kirche so wenig bekannt?
RB: Aus meiner Sicht lässt sich die mangelnde Kenntnis über die NER theologiegeschichtlich mit der Veröffentlichung von Humanae vitae in Verbindung bringen. Dieses lehramtliche Schreiben spaltete in der Frage der Empfängnisregelung die Kirche und seitdem, so scheint es mir, hat sich die Kirche von diesem Thema verabschiedet. Darüber hinaus kämpft die NER innerkirchlich gegen den Ruf, eine veraltete Methode zu sein. Davon konnte sie sich noch nicht befreien. Natürlich spielen auch finanzielle Aspekte eine Rolle, dass diese Methode in der Gesellschaft so wenig bekannt ist. An der NER verdienen weder die Ärzte noch die Pharmaindustrie, einzig für die Krankenkassen wäre sie finanziell attraktiv. Letztere könnten viel Geld sparen.
EB: In unseren Kursen begegnen wir Frauen, die oft nach vielen Jahren hormonaler Empfängnisverhütung erstmals von der NER hören. Es sind wenige Gynäkologen, welche sie auf die NER aufmerksam machen oder diese als alternative Möglichkeit aufzeigen – und dies sowohl bei Kinderwunsch als auch zur Vermeidung von Schwangerschaften. Hinzu kommt, dass die Sicherheit der symptothermalen Methode allgemein sehr in Frage gestellt ist.
Wie «sicher» ist denn diese Methode?
EB: Die korrekte Anwendung der Zervixschleimbeobachtung in Kombination mit der Temperaturmessung gibt eine absolute Sicherheit. Die Temperaturmessung allein ist zu wenig verlässlich. Es kann sein, dass Frauen, die über lange Zeit die Antibabypille verwendet haben, wenig bis keinen Zervixschleim mehr bilden. Diese Frauen haben aber die Möglichkeit, durch Ertasten des Muttermundes ihren persönlichen Zyklus zu eruieren und fruchtbare von unfruchtbaren Tagen zu unterscheiden.
RB: Die NER ist wissenschaftlich mit Tausenden von Zyklen belegt und weist gegenüber anderen Verhütungsmöglichkeiten einen sehr hohen Sicherheitsgrad auf, was gänzlich im Widerspruch zu ihrem Ruf steht. Der Pearl-Index (PI)** liegt bei korrekter Anwendung zwischen 0 und 0,9, je nach Zeitpunkt im Zyklus: In der etablierten Temperaturhochlage nach dem Eisprung gilt ein PI 0; in den ersten Zyklustagen vor der fruchtbaren Phase liegt der PI bei 0,2 oder 0,9, je nach angewandter Regel, die mehr oder weniger Tage zu Beginn des Zyklus als unfruchtbar frei gibt. Damit ist die NER so sicher wie hormonelle Mittel und weit sicherer als ein Kondom.
Wie wurde sie entwickelt?
RB: Mitte des 20. Jahrhunderts forschte der österreichische Arzt Josef Rötzer, wie andere Ärzte auch, im Bereich des weiblichen Zyklus und der Verhütung. Das wissenschaftliche Interesse an diesen Themen war damals sehr gross. Darüber hinaus motivierte ihn die kirchliche Sexualmoral, seine Forschungen voranzutreiben. Seiner Ansicht nach macht die kirchliche Sexuallehre nur Sinn, wenn sie auch lebbar ist. Zusammen mit seiner Frau, die ihren Körper beobachtete, entwickelte er die symptothermale Methode. Für Rötzer selbst ist sie eigentlich weniger eine Methode als vielmehr eine Lebensweise. Leider wurde sein Buch nach der Einführung der Antibabypille publiziert. Diese versprach die sexuelle Freiheit, die symptothermale Methode hingegen erfordert, sich am natürlichen Hormonzyklus der Frau zu orientieren und die eigenen sexuellen Bedürfnisse nach diesem zu richten. Letzteres stand den damaligen gesellschaftlichen Strömungen entgegen. Die NER führt seit Beginn ein Rand- und Nischendasein.
Wann kann diese Methode nicht angewendet werden?
RB: Es gibt Medikamente, die den hormonellen Zyklus der Frau sehr aus dem Lot bringen. In diesem Fall eignet sich die Methode nicht, da der Zyklus nicht beobachtet werden kann. Im Spitzensport oder bei Magersucht beispielsweise kann es vorkommen, dass der Zyklus aussetzt. Und da mit der NER ein Lebensstil und ein Einklang mit dem Zyklus verbunden sind, passt sie in der Regel auch nicht zu einem Sexualleben mit ständig wechselnden Sexualpartnern.
Welche Anforderungen stellt die NER an die Frau?
EB: Die Anforderungen sind zugleich der Gewinn. Die Methode bedingt, dass sich die Frau mit ihrem eigenen Körper auseinandersetzt. Das ist für viele Frauen zunächst eine Herausforderung, auch für die Partnerschaft. Die Frau lernt ihren Körper kennen und sich als Frau mit ihrem ganz persönlichen hormonellen Zyklus anzunehmen. Sich ganz annehmen zu können, ist eine sehr schöne und stärkende Erfahrung. Gerade dieser Aspekt macht die Methode auch sinnvoll für Frauen ohne sexuelle Beziehung. Die Frau lernt zudem, den eigenen Beobachtungen körperlicher Veränderungen (Bsp. Zervixschleim) zu vertrauen und gewinnt von Zyklus zu Zyklus an Sicherheit. Dieses Vertrauen in die eigenen Beobachtungen will erworben sein.
Und vor welche Herausforderung stellt die NER den Mann?
RB: Er muss sich im Wunsch nach Geschlechtsverkehr am Zyklus der Frau orientieren. Darin liegen Verzicht und Gewinn. Das Wissen um die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage ermöglicht es, sich darauf einzustellen. Ich glaube, das entspricht uns Männern. Die sexuelle Beziehung ist rhythmisiert. Aber vielmehr sehe ich einen Gewinn für die Ehe. Die Paare gestalten und verantworten die Sexualität gemeinsam. Die NER ist ein partnerschaftlicher Weg. Nicht die eigenen Bedürfnisse stehen im Vordergrund, sondern die Annahme der unterschiedlichen Wünsche und des weiblichen Zyklus. Die Methode erfordert, über das gemeinsame sexuelle Leben bewusst und stets im Gespräch zu bleiben. Sexualität wird durch die NER zu einem natürlichen Gesprächsthema in der Ehe.
EB: Die Gestaltung unserer Sexualität richtet sich nach meinem Körper. Mein Mann orientiert sich an mir als Frau; er unterstützt mich dadurch in meiner eigenen Annahme; er achtet und schätzt mich in meiner Körperlichkeit. Die NER ist für mich eindeutig ein Weg zur Stärkung der Frau.
Wer besucht Ihre Kurse?
EB: Es gibt zwei Hauptgruppen: Einerseits kommen Paare, die sich bewusst für eine natürliche Empfängnisregelung entscheiden. Andererseits bilden die «Pillenmüden» eine grosse Interessengruppe. Sie sind auf der Suche nach einer Alternative, weil die Nebenwirkungen der Pille wie Kopfschmerzen, Gewichtszunahme, geringes Empfinden, keine Lust auf Sex usw. als zu grosse Last und eine zu starke Verminderung der Lebens- und Liebesqualität erlebt werden.
Nennen Sie mir noch ein Highlight aus Ihren Kursen?
EB: Ein junges Paar, beide um die 20, machte sich nach dem Kurs auf den Weg der NER. Sie nahm seit fünf Jahren die Pille, was bedeutet, dass der Körper nach Absetzung der hormonellen Verhütung zuerst einen fruchtbaren Zyklus bilden muss. Das braucht Zeit! Um Sicherheit in ihrem ganz persönlichen Zyklus zu bekommen, muss sie ihn über einen längeren Zeitraum beobachten. Ich bin beeindruckt, wie beide sich dieser Herausforderung und den damit verbundenen Konsequenzen auch im Blick auf ihr Sexualleben stellen. Für die meisten der Kursbesucher geht eine neue Welt auf. Sie bekommen ein anderes Lebensgefühl und erfahren sich in ihrer Körperlichkeit und in ihrer Sexualität intensiver. Manche werden im Kurs auch wütend auf die Ärzte, die sie bislang nicht über diesen Weg informierten. Die Kursteilnehmerinnen melden uns gelegentlich zurück, dass die Gynäkologen die schriftlichen Zyklusbeobachtungen nicht deuten können. Sie bemerken mangelnde Kenntnis und werden aufgrund solcher Erfahrungen zu Pionierinnen, indem sie nicht nur dem Arzt, sondern auch in ihrem Bekanntenkreis von der NER zu erzählen beginnen.
Interview: Maria Hässig