Wegbereiter zur Ökumene
Ich habe schon oft an Tagungen oder Besinnungswochenenden als Referent über Bruder Klaus teilgenommen.1 Mit der Zeit fiel mir der Auftrag schwerer, weil ich mit dem immer gleichen Vorbehalt überfallen wurde: Ja, das ist der Mann, der Frau und Kinder im Stich liess! Da muss man sich – übrigens erstaunlicherweise in den letzten Jahren mehr als früher – mit einem Wust von Einwürfen abgeben, die den Zugang zum Thema verbauen. Da kann ich immer nur die beiden gleichen Dinge wiederholen. Erstens, Bruder Klaus hat Haus und Hof nicht im Stich gelassen. Der war mit seinem ältesten erwachsenen Sohn längst wohlbestellt. Zweitens, was die Frau betrifft. Sie hat sich natürlich damit sehr schwer getan, aber sie gab schliesslich die Einwilligung. Und dann war es nicht einfach eine Trennung. Die Frau durfte ihn, auch mit ihren Kindern, regelmässig besuchen.
Verschiedene Rätsel
Bruder Klaus gibt ohnehin verschiedene Rätsel auf. Er bleibt hartnäckig im Gespräch. Was das Stanserverkommnis vom 22. Dezember 1481 betrifft, wurde stets korrekt informiert, dass das Gemälde beim Eingang der Sachsler Pfarrkirche, wo Bruder Klaus inmitten der Tagsatzungsdelegierten in Stans auftaucht, nicht der historischen Wirklichkeit entspricht. Es war der Vertraute von Bruder Klaus, Pfarrer Heimo Amgrund von Stans, der Klaus im Ranft aufsuchte und sich mit ihm beriet und mit dem Ergebnis in die Tagsatzung zurückeilte. Bruder Klaus wurde erst am Schluss in die Bundeskonferenz eingeschaltet. Allerdings hat Luzern schon seit Beginn der Verwicklung die Hilfe des Einsiedlers gesucht. Sieben offizielle Ratsbotschaften und mehrere Läufergänge in den Ranft sind in den luzernischen Rechnungsbüchern nachgewiesen und beweisen den ständigen Einfluss des Eremiten auf die Verhandlungen und die Vorentwürfe zur Einigung. Die Städteorte hatten sich mit ihrem Konzept der inneren Ruhe und Ordnung weitgehend durchgesetzt. Aber gerade bei der Frage der Aufnahme von Freiburg und Solothurn, welche den Städten die Parität mit den Ländern in der Eidgenossenschaft bringen sollte, drohten nicht bloss die Verhandlungen zu scheitern, sondern der alte Bund zu zerbrechen. Was Bruder Klaus durch Vermittlung des Stanser Pfarrers der Tagsatzung übermittelte, ist bekanntlich unbekannt. Fest steht, dass die Städteorte sofort in einem Punkt nachgaben, indem man das aussenpolitische Mitsprachrecht der neuen städtischen Bundesgenossen einschränkte. Populär war das Stanser Ergebnis in den Inneren Orten nicht, aber die moralische Autorität von Bruder Klaus, Diplomatie und Realpolitik der Konfliktparteien brachten den Kompromiss zustande. Zum Stil und zur Beratungsstrategie von Bruder Klaus passte es, dass er seine Besucher nie einfach mit Gebet und Ermahnungen entliess. Er ging den Problemen immer sachlich und unbefangen auf den Grund. Ich gewann eine persönliche Beziehung zu Bruder Klaus, als ich auf das Büchlein des reformierten Kirchenhistorikers an der Universität Zürich, Fritz Blanke, «Bruder Klaus von Flüe, seine innere Geschichte», Zürich 1948, stiess. Diese packende Darstellung der inneren Berufung und der mit schweren Depressionen verbundenen Midlife-Crisis erleichterte das Einfühlvermögen. Das war für mich schon ein ökumenischer Zugang zu Bruder Klaus. Ohne jetzt auf das Fasten einzugehen – obwohl Bruder Klaus deswegen weitherum berühmt wurde –, bleibt für mich das Erstaunlichste die anscheinend rückhaltlose Akzeptanz bei seinen eigenen Landsleuten, diese ist geradezu sensationell. Und der Umstand, dass sein ältester Sohn Hans eine schillernde Figur und korrupt war, beschädigte den Ruf des Eremiten nicht. In der übrigen Eidgenossenschaft war er sowieso geschätzt. Es kam auch vor, dass unter den unzähligen Besuchern, welche die seelsorgerliche und politische Intensivstation Ranft aufsuchten, Politiker in persönlichen Gewissensnöten dorthin pilgerten. Bruder Klaus besass ein ausgesprochenes Charisma für seelisch Leidende.
Überkonfessionell anerkannt
Bis tief in die Reformationszeit blieb Bruder Klaus eine überkonfessionell anerkannte prophetische Gestalt für die Schweiz. Zwingli sah in dessen Abneigung gegen fremde Solddienste einen Bundesgenossen im Kampf gegen die Reisläuferei. Zwinglis Nachfolger in Zürich, Heinrich Bullinger, schrieb einen anerkennenden, ausführlichen und sympathisch berührenden Bericht über das Leben des Einsiedlers im Ranft. Auch Bullinger unterstreicht Bruder Klausens Abneigung gegen das Söldnerwesen. Das war natürlich provozierend und politisch brisant, weil Obwalden und die anderen Urschweizer Orte den Solddienst verteidigten, nicht aus Kriegslüsternheit, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. So gingen die Jahre und Jahrzehnte ins Land. Der eidgenössische Bund konnte nicht mehr expandieren, weil sich die konfessionellen Lager gegenseitig blockierten. An der Tagsatzung existierte das Vetorecht der einzelnen Stände. Mehrheitsbeschlüsse waren nur durchsetzbar, wenn es um die Gemeinen Herrschaften ging. Ohne Einstimmigkeit lief sonst nichts. Die katholischen Stände suchten den Status quo zu bewahren. Die reformierten Orte waren offener für zugewandte Städteorte. 1571 stellte Genf ein Gesuch zum Eintritt in die Eidgenossenschaft, was von den Inneren Orten abgelehnt wurde. 1584 kam es zu einer verstärkten Allianz Genfs mit Bern und Zürich. Das war eine Bündelung der reformierten Kräfte mit dem gemeinsamen reformierten Bekenntnis von Zürich und Genf, der Confessio Helvetica Posterior von 1566. Das liess die katholischen Inneren Orte hellhörig werden.
Protestanten im Ranft
In diesem politisch und atmosphärisch brisanten Kontext rafften sich die reformierten Orte Zürich, Bern, Basel und Schaffhausen auf, um den alten Bund mit den katholischen Orten wieder fester zu knüpfen und von auswärtigen Sonderbündnissen abzumahnen. So schickten sie im November 1585 eine Ratsabordnung in die katholischen Orte. Diese hielt vor einer eigens einberufenen Landsgemeinde auf dem Rathaus einen Vortrag. Infolge des Martinsfeiertages blieben die reformierten Gäste einen Tag länger in Sarnen. «Um die Zeit zu vertreiben», wie es in den Quellen heisst, entschloss sich die Mehrheit der reformierten Delegierten zu einem Ausflug aufs Flüeli und in ein «Tobel», genannt Ranft. Der Berichterstatter schreibt, dass sie dafür von Sarnen aus rund eine Stunde brauchten. Animiert zu dieser Exkursion wurden sie durch die Aufwartung beim damals regierenden Landammann von Obwalden namens Niklaus von Flüe, dem Enkel von Bruder Klaus, einem versierten und weit gereisten Politiker, der zehnmal Landammann war, 93 Jahre alt wird und auf dem Flüeli im Schübloch wohnte. Dessen Vater war der Bruderklausen-Sohn Walter von Flüe, der seinerzeit nebst und nach seinem älteren Bruder Hans auch Landammann von Obwalden gewesen war. Niklaus von Flüe gab sich mit den reformierten Politikern ab, zeigte ihnen den Rock seines Grossvaters, begleitete sie in den Ranft, wo den Besuchern die kreuzförmigen Risse in der Kapellmauer auffielen und ihnen die angebliche Weissagung von Bruder Klaus einfiel, dass es um die Eidgenossenschaft schlecht stünde, wenn die Kapelle solche Spalten aufweise. In Sachseln liessen sich die interessierten Herren noch von einem Messpriester ausführlich über Bruder Klaus orientieren.
Keine Polemik, nur gewisse Vorwürfe
Wir gehen nun auf das Referat2 der reformierten Abgeordneten in Sarnen ein. Es ist für das Ende des 16. Jahrhunderts, mehr als 30 Jahre vor dem mörderischen Dreissigjährigen Krieg, ein eindrückliches Dokument. Man spürt, da ist eine Generation am Werk, die von den Reformationsvorgängen nicht mehr unmittelbar betroffen ist. Es mögen im Einzelfall noch die Söhne sein, aber sicher mehrheitlich die Enkel der damals führenden und handelnden Personen. In dieser Abhandlung dominiert die captatio benevolentiae. Man will gute Stimmung machen. Man beschwört die Einheit der Eidgenossenschaft. Die angesprochenen Orte mögen sich nicht verführen lassen durch verlockende Angebote von ausländischen Interessenten, die mit hinterlistigen Machenschaften, durch Korruption, mit Schmiergeld operieren und die Eidgenossen billig kaufen möchten. Der Vortrag macht sich für Genf stark, und die Abordnung kann nicht verstehen, was die katholischen Orte für einen Vorteil daraus ziehen sollten, wenn Genf schwach werden oder fallen würde. Wenn Zürich und Bern Genf die Hand reichen, richtet sich dies nicht gegen den eidgenössischen Bund. Die beiden Städte handeln nicht heimtückisch und heimlich uneidgenössisch. Und die Obwaldner Versammlung wird inständig gebeten, sich der Aufnahme Genfs in die Liste gemeineidgenössischer zugewandter Orte nicht länger zu widersetzen.
Theologische Ausführungen
Und dann wird es theologisch. Gottes Wort lehrt uns, heisst es in der Abhandlung, dass der Glaube eine Gabe des Heiligen Geistes ist und frei den Menschen eingegossen wird und nicht erzwungen werden kann. Krieg, Wehr und Waffen können das Gewissen nicht vergewaltigen. Was haben unsere reformierten Vorväter getan? Nichts anderes als aus der heiligen Schrift des Alten und des Neuen Testaments ein Glaubensbekenntnis erstellt mit Vater Unser, mit den zwölf Glaubensartikeln und den zehn Geboten. Dieses Glaubensgut ist doch allen christlichen Kirchen gemeinsam. Daraus resultiert Gottesfurcht, Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, Nächstenliebe, verbunden mit guten Werken. Wir bekennen uns zu unserem Erlöser Jesus Christus, als Mensch geboren von der hochgelobten Jungfrau Maria und gestorben am Kreuz. Er ist für uns der einzige Fürsprecher und Mittler vor Gott. Er ist die Wahrheit, das Leben und der Weg. Und an die Adresse der katholischen Urschweizer wird zusätzlich eigens betont: Wir anerkennen und verehren die Mutter Gottes. Das ist in unserer Konfession gedruckt und auch biblisch belegt, und wir lassen es nicht zu, dass die Jungfrau Maria geschmäht wird. Das wäre bei uns strafbar. Überhaupt, man kann mit uns reden. Sofern man uns aus der Schrift eines Besseren belehrt, wollen wir das gern hören und in Dankbarkeit annehmen. Und im Übrigen: Unser «äusserlicher» Gottesdienst ist verschieden. Jede Konfession meint, in ihrer Liturgie besser zu feiern. Aber im «Hauptstück» stimmen wir überein, «worauf der christliche Glaube gebaut ist». Und da wir alle an den einen Gott glauben und an unseren Herrn Jesus Christus, «so mögen die christ lichen Äusserungen nicht so viel bedeuten, dass der äussere Friede, die Ruhe und die Einigkeit nicht bestehen könnten». Übrigens zeigt die Erfahrung in der Eidgenossenschaft wie in Deutschland, dass die «beiden Religionen sich freundlich miteinander vertragen können». Darum müssten gegenseitige Schmähungen, Beleidigungen und Verleumdungen, die zur Zerstörung der Eidgenossenschaft führten, aufhören. Wenn ausländische Potentaten sich bei den katholischen Ständen unter dem Vorwand des Schutzes des katholischen Glaubens einschmeicheln, so soll man doch denen nicht abnehmen, es läge ihnen etwas an der Religion. Da gehe es nur um handfeste Machtinteressen. Bemerkenswert an diesem Exposé ist Folgendes: Am Ende des 16. Jahrhunderts wird von den führenden reformierten Orten bereits ein ökumenisches Gespräch angeboten mit Inhalten und Argumenten, die aus unserer Zeit stammen könnten. Es wird auch keine Wiedervereinigung anvisiert. Man geht von zwei Konfessionen und Kirchen aus, die verschieden feiern, aber doch im Kern denselben Glauben miteinander teilen und gut miteinander leben können. Die Gesandtschaft blieb erfolglos. Die fünf katholischen Orte zogen den Rektor des Jesuitenkollegiums in Luzern bei, der sich mit Petrus Canisius besprechen sollte. Die ablehnende Antwort erfolgte zwar erst im April des nächsten Jahres mit der Ermahnung, alle eidgenössischen Heiligen wie Felix und Regula, Beatus und Meinrad zu verehren, die mit Bruder Klaus auf einer Linie stünden und im alten katholischen Glauben gestorben seien. Sinngemäss auf einen Punkt gebracht: Ihr Reformierte steht nicht mehr in der lückenlosen Kontinuität, in der Bruder Klaus stand. 1588 bemerkte ein Zürcher Prädikant in einem «Gegenbericht» zur katholischen Antwort, die Reformierten würden Bruder Klaus und seiner Lehre mehr folgen als die Katholiken.
Erstaunliches Zeugnis der Gesprächsbereitschaft
Ich bin im Rahmen der Vorbereitung dieses Referats erstmals auf diese Quelle gestossen. Es ist ein erstaunliches Zeugnis einer Gesprächsbereitschaft zum ökumenischen Dialog bereits in der zweiten bis dritten Generation nach dem kirchlichen Bruch. Auch wenn handfeste politische Interessen im Hintergrund standen, brauchen wir an der Ehrlichkeit des theologischen Ansatzes nicht zu zweifeln. Vortrag und Anwesenheit der reformierten Delegation wurden durch die Nähe der Gedenkstätten von Bruder Klaus eingerahmt. So kam eine gewisse positive Atmosphäre in die Tagung hinein, die durch den Besuch im Flüeli-Ranft und durch die Begegnung mit dem Bruderklausen-Enkel noch eine spezielle Note erhielt. Und beide Seiten beriefen sich in der Folge auf das Erbe von Bruder Klaus. Bruder Klaus behielt seinen guten Ruf und Ruhm in der Schweiz. 1887 richtete Sachseln zum Gedenken an den 400. Todestag von Bruder Klaus ein grosses Fest aus. Bundespräsident Numa Droz, Neuenburger und Protestant, erfreute durch eine in gediegenem Deutsch vorgetragene Rede beim Festbankett mit seinem überaus versöhnlichen Ton und versprach im Namen des Bundesrates, nach der turbulenten Kulturkampfzeit der 1870er-Jahre eine konfessionelle und politische Versöhnungspolitik in der Schweiz zu pflegen. Um das Wort zu unterstreichen, waren auch zwei weitere freisinnige Bundesräte zu diesem Anlass nach Sachseln gereist, der Solothurner Bernhard Hammer und der Zürcher Friedrich Wilhelm Hertenstein, beide «Ökumeniker» der damaligen Zeit. In Bern sorgte seinerseits der langjährige Obwaldner Landammann, Ständerat und Nationalrat und Tafelmajor des Festes, Nicolaus Hermann, für Entspannung im Bund.
Aufruhr um die Heiligsprechung
Das änderte sich in der konfessionellen Gereiztheit der 1940er-Jahre. Mitten im Zweiten Weltkrieg, in der Neujahrsansprache 1942, übergab der katholisch- konservative Bundespräsident Philipp Etter die Eidgenossenschaft dem Machtschutz Gottes und der Fürbitte des «Landesvaters» Bruder Klaus. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund beschwerte sich. Bald darauf sorgte die geplante Heiligsprechung für ein neues kulturkämpferisches Fressen um den grossen Faster im Ranft. Eine protestantisch inspirierte Wochenzeitschrift schrieb im November 1944, Bruder Klaus sei ein «trojanisches Pferd», das der politische Katholizismus ins Schweizerhaus schmuggle. Besonnenere protestantische Stimmen drückten dies subtiler aus. Bis jetzt habe man in der Schweiz Bruder Klaus als vorreformatorische, gesamteidgenössische prophetische Gestalt würdigen können. Mit der Heiligsprechung würde er nun katholisch vereinnahmt. Am Tag der Heiligsprechung 1947 reiste der in diesem Jahr wieder amtierende Bundespräsident Etter nicht nach Rom, weil es damals als ungeschriebenes Gesetz galt, dass der Bundespräsident im Präsidialjahr das Land nicht verlässt. Die Schweiz war offiziell nicht vertreten. Dabei war beim Akt der Heiligsprechung das gesamte diplomatische Korps im Vatikan präsent, unter anderen England, die USA, China, die Türkei. Noch 1917 waren an den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 500. Geburtstag von Bruder Klaus auch protestantische Bundesräte im Festzug in Sachseln mitmarschiert.
Anwalt der Laien
Tempi passati. Heute geniesst, abgesehen von den eingangs geschilderten Vorbehalten, Bruder Klaus in der ganzen Schweiz wieder hohen und überkonfessionellen Respekt. Bruder Klaus eignet sich als«Ökumeniker». Seine Wirksamkeit fällt in die Zeit vor der Glaubensspaltung. Da gilt in diesem Fall die Gnade der frühen Geburt. Die Abhandlung der reformierten Stände und deren Besuch in Sarnen, Flüeli-Ranft und Sachseln zeugt von einer Fernwirkung von Bruder Klaus. Bruder Klaus war Mystiker. Aus Gottesverehrung und Eucharistie schöpfend, verströmte er einen offenen Geist. Bruder Klaus fehlte jede rechthaberische Sturheit. Modern ausgedrückt, er war kein Ideologe. Er machte sich über den Zustand seiner real existierenden Kirche keine Illusionen. Und er brauchte keine Kunde aus dem fernen Rom, um an Skandale zu kommen. Die hatte er in seiner nächsten Umgebung. Die Pfarrei Sachseln war in seiner Zeit lange Zeit zerrüttet. Und Niklaus von Flüe hat sich hier vor seiner Zeit im Ranft eingebracht, hat die Anliegen seiner Kirchgenossen gegen einen unklugen und habgierigen Priester wie auch die Rechte der Kirchgenossen von Stans gegenüber den Ansprüchen des Klosters Engelberg bei der Bestellung des Pfarrers verteidigt. Heute würden wir formulieren, er war ein Anwalt und Freund von Mitbestimmung und vom Ernstnehmen der Laien. Bruder Klaus war Pragmatiker, kein Dogmatiker. In Dingen politischer Art und in verzwickten Angelegenheiten war er, wie wir heute sagen würden, aktenkundig. Er suchte Wege und Auswege im behutsamen und nüchternen Abwägen, immer auch menschlichen Anliegen und Schwächen Rechnung tragend. Einen mailändischen Gesandten bat er einmal um Verständnis für seine nicht immer pflegeleichten Obwaldner Mitbürger. Dieser Mailänder Politiker Bernardino Imperiali suchte wegen drohender kriegerischer Verwicklungen zwischen dem Herzogtum Mailand und den Eidgenossen, voll mit Akten eingedeckt, Bruder Klaus zu einem ausgiebigen Spitzengespräch auf und fand ihn zu seiner Verblüffung bereits über alles informiert vor («informato del tutto»), wie er anschliessend in einem Rapport festhielt.
Bruder Klaus als Helfer der Kirche
Bruder Klaus war mit einem unerschöpflichen Einfühlungsvermögen ausgestattet. Die Ökumene hat sehr viel mit Atmosphärischem zu tun. Wir westliche Zeitgenossen denken logisch und schlussfolgernd. Aber das ist längst nicht alles. Astreine Theologie und sachliche Argumentation, das zeigt auch die Theologie- und Kirchengeschichte, bilden nur einen kleinen Bruchteil. Das meiste bei den handelnden Personen wird von der eigenen Biografie gesteuert. Analog gilt das auch für den politischen Betrieb. Aus dem umfangreichen Quellenmaterial kann man entnehmen, dass Bruder Klaus diese Zusammenhänge durchschaut hat, ohne sie beim Namen zu nennen. Sein Wirken war und ist auf alle Fälle vorbildlich.
Wir stehen seit neuestem vor einer neuen ökumenischen Situation, nämlich der innerkatholischen. Wir leben hierzulande in einer faktisch gespaltenen katholischen Kirche. Die Problematik ist akuter als bei den reformierten Besuchern im Flüeli-Ranft von 1585, die einfach eine Kirchensituation geerbt haben und unbefangener damit umgehen konnten. Die Lage in der römisch-katholischen Kirche ist aktuell sehr gespannt, im Bistum Chur praktisch aussichtslos. Da könnte Bruder Klaus helfen.