Gottesdienst geht alle an

50 Jahre Laien und Liturgie

Was ist ein Laie? Im Duden steht: «Nichtfachmann, Nichtpriester». Das jüngste Konzil hat sich ausführlich mit den Laien befasst, eine positive Bestimmung geben aber die kirchlichen Dokumente bis heute nicht. Laien sind gemäss can. 207 § 1/CIC 1983 (und der «Laien-Instruktion » von 1997) Nicht-Kleriker, nach LG 31 auch Nicht-Ordensleute. Ich beziehe mich auf den ursprünglichen Wortsinn: Mit Laien sind alle gemeint, die zum Volk (griech. laos), zum Volk Gottes gehören. Laien sind alle Getauften, deren «wahre Gleichheit» (LG 32) das Konzil mehrfach zum Ausdruck bringt.

Wie aber stellt sich das «gemeinsame Priestertum » in der Liturgie dar? Wie wird es im Gottesdienst realisiert? Was hat sich in den vergangenen 50 Jahren getan? Was steht heute an? Zum Thema Laien und Liturgie können an dieser Stelle nur ein paar Beobachtungen und Fragen geteilt werden. Anlass und Ausgangspunkt sind das doppelte 50-Jahr-Jubiläum der Liturgiekonstitution und des Liturgischen Instituts der Schweiz.

An der Liturgie teilnehmen

Alle Gläubigen sollen zur «vollen, bewussten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden» (SC 14). «Teilnahme» (participatio), Schlüsselbegriff der Liturgiekonstitution, ist kein Aktivierungsprogramm, sondern eine theologische Kategorie.1 Gemeint ist nicht Mitwirkung an einem vom Priester vollzogenen Ritual oder an einem von der Liturgiegruppe gestalteten Gottesdienst, sondern Mitwirkung am Tun Christi, an dessen Erlösungswerk. Dieses vollzieht sich nicht an den Gläubigen, sondern nur mit und durch sie.2 Priester und andere Liturgievorstehende halten nicht einfach Gottesdienste ab, sondern sind selbst Teilnehmende. Umgekehrt kann liturgisches Handeln nicht an den Pfarrer oder an die Pastoralassistentin abgetreten werden; es ist «Recht und Pflicht» aller Getauften (SC 14). Sie sind verantwortliche Träger des Gottesdienstes, sind Liturginnen und Liturgen. Gewiss sollen und können nicht alle alles tun, aber alles geht alle an. «Die Liturgie betrifft in all ihren Teilen alle.»3 Darauf weist bereits die Herkunft des Wortes hin: Liturgie ist Werk (Christi) für das Volk, ebenso wie Werk des Volkes.

Vor fünfzig Jahren war diese Sicht nach jahrhundertelanger Klerikerliturgie neu und ungewohnt, trotz Vorbereitung durch die Liturgische Bewegung. Kleriker und Nicht-Kleriker mussten sich gleichermassen in ihrer jeweiligen liturgischen Rolle zurechtfinden. Das Konzil sieht zwei Wege, Liturgie und Laien einander näher zu bringen und die Teilnahme aller zu fördern: liturgische Bildung (SC 14–20) und Erneuerung der Liturgie (SC 21– 40). Die Gläubigen sollen zur Liturgie hingeführt, mit deren Sprache und Zeichen vertraut werden. Mehr noch: Sie sollen sich darin vertiefen und ihr Leben durch die Liturgie prägen lassen. Auf der anderen Seite muss aber auch die Liturgie den heutigen Menschen entsprechen. Dazu brauchte es zunächst eine grundlegende Reform der überkommenen Formen; es verlangt aber auch je neu eine Anpassung dieser Formen an die Eigenarten der Völker und Kulturen und an das Fassungsvermögen der Gläubigen. Mit anderen Worten: Liturgie und Laien finden sich, indem sie sich aufeinander zubewegen: Liturgie soll menschenfähig, die Menschen sollen liturgiefähig werden.4 Die Tätigkeit des Liturgischen Instituts (im Folgenden: LI) der letzten fünfzig Jahre spiegelt diese doppelte Bewegung wider. Sie ist gekennzeichnet vom Bemühen, der neuen Sicht von Liturgie zum Durchbruch zu verhelfen, Laien und Liturgie einander näher zu bringen. Ein paar Schlaglichter und Zitate aus der Geschichte des Instituts sollen dies illustrieren.5

Liturgie verstehen

Bei der Gründung des LI sah man seinen Zweck hauptsächlich darin, Bischöfe und Priester in liturgischen Fragen zu beraten. Es ging anfänglich vor allem darum, den Klerus über die liturgischen Neuerungen zu informieren, zuhanden der Bischöfe Ausführungsbestimmungen vorzubereiten sowie Materialien (Handreichungen, liturgische Bücher) herauszugeben. Dass Aufklärungsarbeit unter dem Klerus nötig war, illustriert eine Notiz aus dem Jahr 1965 an Anton Hänggi im Vorfeld eines Vortrags, den dieser vor einer Dekanatsversammlung halten sollte: «Es geht eine lähmende Meinungsbildung um: Die Liturgie-Erneuerung sei ein persönliches ‹Hobby› einiger Liturgiker. Bitte sagen Sie doch deutlich, dass es nicht so ist!»6

Die Teilnahme aller baut auf der liturgischen Bildung des Klerus (vgl. SC 14. 18. 19). «Auf das Wagnis der Reform muss (…) mit Geduld und Sorgfalt eingegangen werden. Die Seelsorger müssen sich um die liturgische Bildung der Gläubigen bemühen und sie durch ihr Beispiel führen», heisst es 1966 in einem Tagungsbericht in den «Neuen Zürcher Nachrichten » (NZN).7 Doch das LI wollte die Bildungsarbeit von Anfang an nicht nur auf den Klerus fokussieren. Bereits 1963 wurde unter seinem Patronat eine Reihe von Lektorenkursen durchgeführt, organisiert vom Arbeitskreis für Ministrantenbildung des Schweizerischen Katholischen Jungmannschaftsverbandes. An ihnen nahmen rund 300 Männer und Jungmänner ab 15 Jahren teil. Man betrachtete die Lektoren noch hauptsächlich als Hilfe für den Priester: «Besonders die Seelsorger in ‹Einspännerpfarreien› werden um diesen Dienst froh sein. Aber auch jene Seelsorger, die in grösseren Pfarreien den ganzen Sonntagvormittag mit Zelebrieren, Binieren, Trinieren, Vorbereiten, Vorlesen, Anstimmen, Kommentieren, Taufen und Predigen eingespannt sind, werden eine Entlastung dort, wo sie durch ausgebildete Laien möglich wird, dankbar annehmen.»8

In den ersten Jahrzehnten war das LI bemüht, möglichst auf alle Anfragen aus Pfarreien und von kirchlichen Vereinen (Volksverein, Cäcilienverein usw.) für Kurse oder Vorträge einzutreten.9 Die Institutsleiter übernahmen Lehraufträge u. a. bei den Theologischen Kursen für Laien (ab 1966) und am Seminar für Seesorgehilfe (von 1974 bis 1985).

Ab 1970 führte das LI Einführungs- und Weiterbildungskurse für Kommunionhelfer durch. Darin ging es nicht nur um Handwerkliches. Man erschloss den Teilnehmenden den Sinn der Liturgie, erklärte den Aufbau und die Elemente der Messe und gab Hinweise zur Krankenkommunion. Eine Kursausschreibung zuhanden der Seelsorgenden versichert: «Es geht bei diesen Kursen keineswegs – wie gelegentlich gemeint wird – um praktische Übungen zum Kommunionausteilen.»10 Solche Übungen hätten angesichts der hohen Zahl von bis zu 100 Teilnehmenden pro Halbtageskurs gar nicht durchgeführt werden können. Bis in die 1990er-Jahre wurden allein durch das LI jährlich zwischen 300 und 600 Personen zum Kommunionhelferdienst ausgebildet. Dazu kamen weitere Kursangebote auf diözesaner oder pfarreilicher Ebene. Das ergibt eine stattliche Zahl kirchlich engagierter Frauen und Männer! Heute sind die Teilnehmerzahlen an den Einführungskursen für Kommunionhelferinnen und -helferbescheidener. Dafür sind die praktischen Übungen zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Kurses geworden.

Liturgische Bildung braucht Übung, nicht nur an einem Kurstag, sondern vor allem durch das Feiern selbst. Liturgie zu verstehen ist ein nie abgeschlossener Prozess. Denn was sich in der Liturgie ereignet, ist grösser, als die Feiernden je erfassen können.

Liturgie (mit-)gestalten

In den 1970er-Jahren erschienen nach und nach die liturgischen Bücher in der Muttersprache. Damit waren Reform und Anpassung der Liturgie nicht abgeschlossen. Nun ging es darum, den Schritt vom Buch zur Feier zu vollziehen. Die neuen liturgischen Bücher boten Gestaltungsfreiräume, die es ermöglichten, ja erforderten, die Vorgaben je neu vor Ort umzusetzen und an die Situation der jeweiligen Feiergemeinde anzupassen. Das LI und andere Bildungsinstitutionen setzten in der Folge vermehrt auf Kurse zur Gestaltung der Liturgie.

Einer «zeitgemässe Liturgie für Jugendliche » widmete sich beispielsweise die 1971 von der Schweizer Kongregations-Zentrale Zürich (später: Arbeitsstelle Jugend + Bildungsdienst) durchgeführte Arbeitstagung im neuen Jugend- und Bildungszentrum Einsiedeln. Adressaten waren in erster Linie Katechetinnen und Katecheten, es nahmen aber auch Priester und weitere in der Jugendarbeit tätige Personen teil. Die Tagung stiess auf grosses Interesse und wurde in der Folge jährlich als mehrtägige Veranstaltung unter dem Titel «Seminar Jugend + Liturgie» angeboten, auch unter Mitwirkung des LI.

Der Kurs «Gottesdienstgestaltung», ab 1975 regelmässig von der Frauen- und Müttergemeinschaft in Zusammenarbeit mit dem LI organisiert, ging der Frage nach: «Wie können Laien bei der Vorbereitung und Gestaltung von Gottesdiensten mitwirken?» Dazu waren «liturgische Arbeitskreise und (…) alle, die aktiv am Pfarreileben teilnehmen» für ein Wochenende nach Schwarzenberg eingeladen.11 Die Liturgiegruppe erlebte in den 1980er-Jahren einen Aufschwung. Das LI sah darin ein «wichtiges Werkzeug zur guten Gestaltung der Liturgie»12 und führte selber «Kurse für Gottesdienstgestaltung» durch, die sich an «Gottesdiensthelfer» und Mitglieder von Liturgiegruppen richteten. In den Neunzigerjahren kamen Kurse für «Laien als Gottesdienstleiter» bzw. «Laien in Gemeinden ohne Priester» hinzu. Auch der Studiengang «Liturgie im Fernkurs» sollte Laien zur Leitung von Gottesdiensten befähigen. 1994/1995 fand die erste Staffel mit 75 Teilnehmenden statt.

Thomas Egloff, Leiter des Instituts von 1981 bis 1997, bemerkte 1982: «Zeichen der Hoffnung bedeuten mir die vielen für die Gestaltung des Gottesdienstes engagierten Laien.»13 Zehn Jahre später fiel seine Bilanz anlässlich des 30-jährigen Konzilsjubiläums allerdings negativ aus: «Von den Idealen und Zielen der Liturgischen Erneuerung sind viele Liturgiefeiern (…) oft weit entfernt. Weitgehend wird noch nicht verstanden, dass die ganze versammelte Gemeinde Trägerin des Gottesdienstes ist und demnach der Vorsteher nicht der alleinige ‹Liturge› sein kann. Daher kommen auch die verschiedenen liturgischen Dienste, die von Laien übernommen werden können und sollen, nicht zum Tragen. Unpersönliches Persolvieren vorgegebener Texte und Riten steht überbordender Spontaneität und vermeintlicher Kreativität gegenüber. Das Nichtbeachten theologischer Strukturen und gewachsener Formen führt leicht dazu, dass man Gottesdienste immer neu ‹erfinden› zu müssen glaubt.» Ähnlich kritisch äusserten sich Stimmen anlässlich des Vierzig-Jahr-Jubiläums: «Trotz all des eifrigen und kreativen Machens fehlt oft der Grund, es fehlt das Leben.»14 Hier zeigt sich die Problematik einer «Gottesdienstgestaltung», die sich auf das Illustrieren von Themen und die Erarbeitung von Gottesdienstmodellen beschränkt. Nicht je eine neue Liturgie gilt es zu gestalten, sondern die Liturgie je neu. Das erfordert von allen Beteiligten rituelle Kompetenz, die – nicht auf dem Papier, sondern im Feiern selbst – dem Glauben eine authentische Gestalt zu geben vermag, im Sprechen und Singen, in der Haltung und Bewegung, in der Gestik und in den Zeichenhandlungen. Wie das Verstehen lässt sich auch das Gestalten von Liturgie je weiter vertiefen, es handelt sich um einen «körperlichen und geistlichen Weg».15

Obschon gewisse Defizite festzustellen sind, haben das LI, die Liturgischen Kommissionen und weitere Institutionen in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Gebiet der Liturgie Beachtliches geleistet. Es lässt sich kaum abschätzen, was das liturgische Engagement der vielen Frauen und Männer zum Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der «Laien» in der Kirche der Schweiz beigetragen hat.

Dem Glauben Gestalt geben

Die Frage nach der tätigen Teilnahme aller Gläubigen an der Liturgie bzw. nach dem Verhältnis von Liturgie und Laien präsentiert sich in der heutigen kirchlichen Situation nochmals anders und in verschärfter Weise. Das Volk Gottes zur Liturgie hinführen und die Liturgie dem Volk anpassen, diese doppelte Bewegung, von der oben die Rede war, setzt voraus, dass «Liturgie» tatsächlich gefeiert wird und «Volk» anwesend ist. Beides ist heute nicht mehr selbstverständlich.

Viele Getaufte sind im kirchlichen Leben und im normalen Gemeindegottesdienst nicht mehr anzutreffen. Obschon die Liturgie erneuert worden ist, erscheint sie ihnen fremd und nicht attraktiv genug, um sich mit ihr zu beschäftigen. Der Gottesdienst vor Ort hängt grösstenteils von den Hauptamtlichen ab. Wo diese fehlen, gibt es in den Pfarreien kaum regelmässige Gottesdienste. Kirchen werden wegen mangelnder Frequentierung geschlossen oder umgenutzt. Eine Mehrzahl der Pfarreiangehörigen fühlt sich auch nach 50 Jahren nicht wirklich für das gottesdienstliche Leben in der Pfarrei verantwortlich.

Oberflächlich gesehen erscheint diese Entwicklung dramatisch. Sie bildet aber m. E. die Chance, vielleicht sogar die Voraussetzung für eine tiefergehende Erneuerung, die sich nicht allein auf die Liturgie bezieht, sondern – wie es die Liturgiekonstitution wünscht – das christliche Leben als Ganzes umfasst (SC 1).

«Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer» (Antoine de Saint-Exupèry, Die Stadt in der Wüste).

Das Bild vom Schiffbau scheint mir recht passend für die heutige Situation der Liturgie: Die Verantwortlichen in der Kirche bemühen sich, Menschen «zusammenzutrommeln», um mit ihnen Gottesdienst zu feiern. «Baupläne» sind vorhanden: Formen, Abläufe, Gebete und Riten; doch trotz attraktiver Angebote «springen» die Leute nicht wirklich auf. Man müsste die Sache einmal umkehren: Statt von der (bestehenden) Liturgie, ihren Texten und Riten, auszugehen, die Menschen zu ihnen hinzuführen und sie ein Stück weit daran mitgestalten zu lassen, müssten die (abwesenden) Menschen selbst den Ausgangspunkt bilden für die Beschäftigung mit Liturgie. Was ist ihnen wichtig, woran glauben sie? Was erhoffen sie sich, woran zweifeln sie? Was begeistert sie, wo sind sie lebendig (und geben so Gott die Ehre!16)? Was wäre für sie Grund und Motivation, Gott und das Leben zu feiern?

Die Sehnsucht der Menschen nach «dem weiten endlosen Meer» braucht heute nicht einmal geweckt werden. Sie ist weitgehend vorhanden, man muss sie nur ernst nehmen. Die «Generation Y» («Why») fragt nach Sinn und Grund des Lebens. Liturgische Bildung könnte in einem weiten Sinn auch heissen: Die Menschen von heute, auch die «Kirchenfernen» und liturgisch «Unmusikalischen», zu unterstützen, ihren (religiösen) Erfahrungen und Überzeugungen, dem, was sie vom Evangelium verstanden haben und leben, in Sprache und Zeichenhandlungen einen für sie stimmigen Ausdruck zu verleihen. Nicht, um sie stärker an die Kirche zu binden, sondern um Bewusststein und gemeinsames Handeln zu fördern. Dazu wird es zumindest zwischenzeitlich nötig sein, sich von herkömmlichen religiösen Ausdrucksformen zu lösen, die in unseren volkskirchlich geprägten Gegenden historisch oder biographisch belastet, verbraucht oder klischiert sind.17 Schon Romano Guardini hat 1964 in seinem berühmt gewordenen Brief an den Deutschen Liturgischen Kongress in Mainz darauf hingewiesen: «Ist vielleicht der liturgische Akt und mit ihm überhaupt das, was ‹Liturgie› heisst, so sehr historisch gebunden – antik oder mittelalterlich oder barock –, dass man sie der Ehrlichkeit wegen ganz aufgeben müsste?»18 Vorhandenes aufgeben bedeutet wohl zunächst, Sprachlosigkeit, Leere, Stille auszuhalten. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Entfernen der Bänke im Kirchenraum. Diese symbolisieren in gewisser Weise fraglos übernommene, fixe Strukturen. Der leere Kirchenraum verändert nicht nur die Wahrnehmung, er fordert alle, die den Raum aufsuchen und die darin Gottesdienst feiern, auf, sich die Frage zu stellen: Wo habe ich meinen Platz in der Kirche? Welche Rolle spiele ich darin (und im Gottesdienst)?19

Liturgie bleibt spannend

Die Aussage, alle Gläubigen seien kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet zur Teilnahme an der Liturgie, birgt Sprengkraft in sich. Die Auswirkungen sind auch nach fünfzig Jahren nicht absehbar. Teilnahme bedeutet nicht nur Recht und Pflicht zur Mitwirkung an einer stattfindenden Liturgie, sondern Recht und Pflicht, dafür zu sorgen, dass Liturgie überhaupt stattfindet, zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen. Christus, der eigentliche Liturge, handelt nicht nur im Gegenüber zu denen, die sich in seinem Namen zusammenfinden, sondern auch in ihrer Mitte und durch sie. Liturgie ist nicht ausschliesslich der Versammlung vorgegeben, sie wächst auch aus ihr heraus!

Damit die Getauften ihre Rolle und Aufgabe als priesterliches Volk wahrnehmen können, muss ihnen Recht und Pflicht zur Liturgie von den «Hirten» der Kirche auch tatsächlich zugestanden, zugemutet und zugetraut werden, müssen sie dazu ermutigt, ausgebildet und ermächtigt werden. Damit sie sich auch in der Liturgie nicht in erster Linie als vom Kirchenpersonal Versorgte und Betreute wahrnehmen, sondern als verantwortlich Handelnde. Der Weg zu einem solchen Bewusstsein ist weit. Es ist kein einfacher, aber ein unumgänglicher Weg, denn er hat mit der Freiheit des Christenmenschen zu tun.

Die Schweiz hat in Politik und Kirche Erfahrungen mit partizipativen, basisdemokratischen Umgangsformen und Strukturen. Vielleicht könnte sie auch eine gewisse Vorreiterrolle spielen, wenn es darum geht, an der Quelle und auf dem Höhepunkt kirchlichen Lebens, in der Liturgie, die Partizipation aller zu verwirklichen.

1 Vgl. etwa Martin Stuflesser: Participatio actuosa – Zwischen hektischem Aktionismus und neuer Innerlichkeit, in: Liturgisches Jahrbuch 59 (2009) 147–186.

2 Vgl. Josef-Anton Willa: Gottes Volk – z ur Liturgie berufen, in: Schweizerische Kirchenzeitung 171 (2003), 678 – 681.

3 Rudolf Pacik: Laien und Liturgie, in: Protokolle zur Liturgie 2 (2008), 89–108, hier 90.

4 Vgl. Benedikt Kranemann / Eduard Nagel / Elmar Nübold (Hrsg.): Heute Gott feiern. Liturgiefähigkeit des Menschen und Menschenfähigkeit der Liturgie. Freiburg i. Br. 1999.

5 Zur Geschichte und zum heutigen Tätigkeitsfeld des LI vgl. Peter Spichtig: 50 Jahre Liturgisches Institut, in: Schweizerische Kirchenzeitung 181 (2013), Nr. 27–28, 432– 434.439.

6 Schreiben vom 20. Januar 1965 (Archiv LI).

7 Wesentliche ökumenische Aspekte der Liturgie. Besinnung auf das Wesentliche im katholischen und protestantischen Gottesdienst, in: NZN , Nr. 59, 11. März 1966 (Bericht über eine ökumenische Tagung zur Liturgie, veranstaltet von der Volkshochschule Zürich).

8 Kursausschreibung durch die Liturgische Kommission der Schweiz und den Arbeitskreis für Ministrantenbildung (im Januar 2003) (Archiv LI).

9 Dieser Grundsatz, den Thomas Egloff im Jahresbericht des LI 1982 formuliert, muss später relativiert werden.

10 Brief vom 26. Februar 1976 (Archiv LI).

11 Kursprospekte (Archiv LI).

12 Jahresbericht des LI 1982 (Archiv LI).

13 Jahresbericht des LI 1982 (Archiv LI).

14 Martin Werlen: Spiritualität aus der Liturgie als ein christliches Lebensprogramm für die Gegenwart?, in: Martin Klöckener / Benedikt Kranemann: Gottesdienst in Zeitgenossenschaft. Positionsbestimmungen 40 Jahre nach der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Freiburg / Schweiz 2006, 103–111, hier 107.

15 David Plüss: Was ist liturgische Kompetenz? Überlegungen zu einem liturgiedidaktischen Curriculum aus evangelisch-reformierter Perspektive, in: Zwischen Tradition und Postmoderne. Die Liturgiewissenschaft vor neuen Herausforderungen. Freiburg / Schweiz 2010, 106 –138, hier 124.

16 «Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch», heisst es bei Irenäus von Lyon.

17 Anders sieht es etwa in der ehemaligen DDR aus, wo die traditionellen Riten und Gebräuche weitgehend unbelastet sind und neu entdeckt werden.

18 Romano Guardini: Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung, in: Liturgisches Jahrbuch 14 (1964), 106; vgl. hierzu neuerdings: Birgit Jeggle-Merz: Den heutigen Menschen im Blick. Wie Kirche liturgiefähig wird, in: Wie heute Gott feiern? Liturgie im 21. Jahrhundert, in: Herder Korrespondenz Spezial, April 2013, 5 –9.

19 Vgl. dazu das Projekt «Nimm deinen Stuhl und komm» vom 18. August bis zum 15. September 2013 in der Kirche St. Johannes Luzern ( www.johanneskirche.ch ).

Josef Willa (Bild: unifr.ch)

Josef Willa

Dr. theol. Josef-Anton Willa ist Mitarbeiter am Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg i. Ü.