Schwangere sehen sich heute mit einer Vielzahl von Tests konfrontiert. Deren Folgen werden aber nicht immer klar kommuniziert, und die werdenden Eltern müssen oft schwerwiegende Entscheide treffen. Professor Barbara C. Biedermann, Ärztin sowie Mitglied der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz SBK, nimmt Stellung.
Nach dem positiven Schwangerschaftstest stellen sich den werdenden Eltern bald Fragen: Soll die Schwangere sich gewissen Tests unterziehen und wenn ja, welchen? Vielen Schwangeren ist nicht bewusst, dass bereits ein Ultraschall Folgen haben kann: Wenn die Ergebnisse ein Risiko ausweisen: Welchen Folgetests stimmen sie dann zu, und sind sie je nach Ergebnis eventuell zu einem Abort bereit? Dazu kommt, dass die nicht invasiven* Untersuchungen je nach Befund die Frage nach invasiven Tests aufwerfen und diese in etwa einem Prozent der Fälle zu einer Fehlgeburt führen.
Der regelmässige Ultraschall ist heute bei Schwangeren weitgehend Standard (die Krankenkasse bezahlt bei einer «normalen» Schwangerschaft zwei), ebenso das Erst-Trimester-Screening*. Man geht davon aus, dass etwa 10 Prozent der Schwangeren invasive Untersuchungen vornehmen lassen. Nicht selten mangelt es aber an der Beratung. So berichtet Anna**, dass sie zwar ein Screening, jedoch keine Beratung von ihrem Facharzt erhielt! Sie wurde auch nicht auf den «Praena»-Bluttest hingewiesen. Und dies, obwohl sie ein sehr hohes Risiko aufwies: Sie ist Mitte 40 und hatte zuvor ein totes Kind geboren. «Ich habe mich dann selbst im Internet kundig gemacht und mir eine Hebamme gesucht, die mich begleitete», berichtet sie. Eine Abtreibung kam für sie und ihren Mann nicht in Frage.
Behindertenorganisationen halten übrigens den neuen genetischen Bluttest* und die häufigen Abtreibungen bei einer Trisomie- 21-Diagnose für bedenklich. «Der neue Bluttest verstärkt die Meinung, ein Leben mit Downsyndrom sei unzumutbar», so Insieme. Menschen mit Trisomie 21 empfinden nicht ihr Leben als problematisch, sondern «die vielen Hindernisse im Alltag und die Werte und Vorurteile von Menschen, welche ihnen ein glückliches Leben absprechen».
Tests mit Chancen und Problemen
Christiane Faschon: Frau Biedermann, wie hat sich die pränatale Diagnostik in den letzten 10 Jahren entwickelt?
Barbara Biedermann: Über die medizinische Bedeutung der pränatalen Diagnostik gibt die Publikationsdatenbank der National Library of Medicine der USA (pubmed.gov) kompetent Auskunft: Die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema sind seit den 70er-Jahren stetig angestiegen Während früher die pränatale Diagnostik praktisch ausschliesslich dazu diente, einen Entscheid für oder gegen einen Schwangerschafstabbruch treffen zu können, stehen heute mit den Möglichkeiten der prä- und postnatalen Therapie zunehmend auch die lebenserhaltenden Optionen für das Ungeborene zur Verfügung. Im Bereich der Therapie angeborener Erkrankungen hat die Forschung in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielt.
C.F.: Werden die Fragen und Probleme, die sich aus den Tests ergeben, breit diskutiert?
B.B.: Aus meiner Sicht stellt sich die Frage der pränatalen Diagnostik heute konkret Paaren und Müttern mit Kinderwunsch. Eine gesellschaftliche Diskussion über ihre Ziele und Konsequenzen findet nach meinem Empfinden nicht statt. Einer der Gründe ist die erhebliche Komplexität von beteiligten Faktoren und deren Zusammenhänge. Es ist hier sehr schwierig, das Thema ohne unzulässige Vereinfachung auf den Punkt zu bringen.
C.F.: Erleben Sie Druck von Krankenkassen und/oder der Umgebung der Frau, pränatale Tests durchführen zu lassen?
B.B.: Ich erlebe diesen Druck als Internistin zurzeit nicht. Frauenärztinnen und Geburtshelfer sind hier eher im Brennpunkt. Wenn ich die standesrechtlichen Publikationen ansehe, entsteht Druck heute auch von juristischer Seite, etwa im Zusammenhang mit Haftpflichtfragen.
Leben und Finanzen
C.F.: Sehen Sie in diesem Kontext auch andere finanzielle Erwägungen: Einerseits, dass Ärzte diese als «Einnahmequelle» benutzen, andererseits, dass man Kosten bei Behinderungen fürchtet?
B.B.: Tatsächlich denke ich, dass das «Geschäft» mit der pränatalen Diagnostik ein lukrativer Markt ist. Es ist der wohl grösste Wunsch von werdenden Eltern, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Pränatale Tests können genau dazu eingesetzt werden: frühzeitig zu erkennen, ob Gefahr für die Gesundheit des ungeborenen Kindes besteht. Der Einzelne wie auch die Gesellschaft sind heute bereit, dafür einen hohen Preis zu bezahlen. Ich denke aber nicht, dass sich diese Tests aus marktwirtschaftlicher Sicht grundsätzlich von andern diagnostischen Tests in der Medizin unterscheiden.
C.F.: Wie steht die Schweizer Bischofskonferenz zu dieser Diagnostik?
B.B.: Nach meinem Verständnis ist die SBK dagegen, dass eine Schwangerschaft wegen des Ergebnisses eines pränatalen Tests unterbrochen wird. D. h., sie ist dann gegen einen pränatalen Test, wenn dieser ausschliesslich für einen Entscheid für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch dient. Sie ist ja grundsätzlich gegen jeden Schwangerschaftsabbruch. Heute dienen aber immer mehr pränatale Tests auch therapeutischen Zwecken, d. h., um ein Kind bereits intrauterin zu behandeln oder um während der Geburtsphase auf mögliche gesundheitliche Schwierigkeiten vorbereitet zu sein. Wenn mit einem pränatalen Test selber das Ungeborene nicht in Gefahr gebracht wird, hat die SBK in einer solchen Situation nichts dagegen einzuwenden.
C.F.: Viele Erkrankungen können nicht getestet werden; gibt es allgemein eine «Unduldsamkeit» gegen Behinderungen bei Kindern/Erwachsenen?
B.B.: Man kann heute nur eine kleine Zahl von Erkrankungen eines Kindes mit genügend grosser Sicherheit pränatal diagnostizieren. Behinderung oder Krankheit sind in unserer Gesellschaft eindeutig negativ besetzt. Das grosse ethische Problem bei der pränatalen Diagnostik sehe ich darin, dass Drittpersonen (z. B. Eltern) über das Leben eines Ungeborenen entscheiden. Dies tun sie aus ihrer persönlichen Sicht: Weil sie selber nicht krank sein wollen oder sich selber ein Leben mit Behinderung nicht vorstellen können. Hier können auch finanzielle Überlegungen wie die Angst vor hohen Betreuungskosten usw. ins Spiel kommen.
Ich halte solche Entscheide aus Sicht des ungeborenen Menschen für problematisch. Es widerspricht auch den Anstrengungen, welche der Gesetzgeber mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht und den Patientenverfügungen verfolgt: Hier legt man eindeutig Wert auf den Wunsch des betroffenen Patienten. Die persönliche Meinung der Angehörigen tritt in den Hintergrund. Damit möchte man genau das verhindern, was man bei einem Entscheid der Eltern für den Schwangerschaftsabbruch zur Verhinderung der Geburt eines behinderten Kindes scheinbar problemlos akzeptiert.
C.F.: Wo sehen Sie den Bund in der Verantwortung?
B.B: Der Bund muss garantieren, dass die Praxis im Umgang mit pränatalen Tests nicht verfassungswidrig ist. Und er muss gemeinsam mit dem Parlament gegebenenfalls Gesetzesvorschläge erarbeiten, welche den Einsatz der pränatalen Tests reglementieren, damit sie nicht missbräuchlich verwendet werden.
Lebenswertes Leben
C.F.: Wo ist die Ärzteschaft gefragt?
B.B.: Wie bei jedem diagnostischen Test müssen die Ärzte die richtige Indikation für den pränatalen Test kennen, ihn richtig interpretieren und die Bedeutung des Testergebnisses den betroffenen Personen, im konkreten Fall den Eltern eines ungeborenen Kindes, korrekt erklären. Sie müssen auf den besonderen Kontext der pränatalen Diagnostik hinweisen: d.h., dass Eltern möglicherweise aufgrund des Ergebnisses eines pränatalen Tests über Sein oder Nichtsein eines ungeborenen Menschen entscheiden müssen.
C.F.: Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema der pränatalen Diagostik?
B.B.: Die Kernaufgabe der Medizin ist die Behandlung von kranken Menschen und die Erhaltung von Gesundheit. Ein Ungeborenes abzutreiben, weil es an einer Krankheit leidet, kann nicht «therapeutisch» im medizinischen Sinn genannt werden. Ich habe grosse Achtung vor der römisch-katholischen Kirche, welche den Menschen von der Empfängnis an als Person mit Rechten und Würde sieht, die es zu schützen gilt. Sie trägt mit dieser Haltung dazu bei, dass die Schwächsten der Gesellschaft eine Stimme bekommen und hoffentlich mehr und mehr gehört werden. Als gläubige katholische Ärztin sehe ich es als meine Aufgabe an, im Alltag und in der Gesellschaft diese Ansicht zu vertreten. Es geht dabei um die eminent berührende Frage, ob menschliches Leben in Krankheit lebenswert ist oder nicht. Aus der Sicht meines Glaubens, aus existenzphilosophischer Sicht und schliesslich mit der vielfältigen konkreten Erfahrung im Umgang mit direkt Betroffenen, mit Behinderten und deren Angehörigen, möchte ich diese Frage bedingungslos bejahen.
Ich bin ziemlich sicher, dass Frauen anders mit dieser Frage umgehen als Männer, auch wenn ich selber nicht für die männliche Sicht reden kann. Jede Frau empfindet auch als Mutter – ob sie je geboren hat oder nicht.
C.F.: Danke für das Gespräch. Es besteht also ein klarer Bedarf an Diskussionen zu den pränatalen Tests und ihren ethischen Folgen. Es kann nicht sein, dass die werdenden Eltern allein diese Entscheide aufgeladen bekommen. Gesellschaftliche Player wie Gesetzgeber, die Kirchen und die Medizin sind hier gefordert.
Das Interview mit Prof. Dr. Barbara C. Biedermann führte Christiane Faschon.
Pränatale Diagnostik
Vorgeburtliche Untersuchungen bestehen aus nichtinvasiven und invasiven Untersuchungen. Die Tests berechnen mit unterschiedlicher Treffsicherheit ein Risiko.
– Nicht-invasiv sind Ultraschall, die Analyse von Blutwerten oder klinische Beobachtungen. Dazu gehört auch das so genannte Erst- Trimester-Screening (ca. 60 Prozent der Schwangeren absolvieren und bezahlen es oft teilweise auch selbst), das Ultraschall, Alter und Blutwerte kombiniert. Es bestehen dabei keine Risiken für das Ungeborene. Seit 2012 ist in der Schweiz der «Praena-Test» zugelassen. Der Bluttest filtert fetale Zellen aus dem mütterlichen Blutkreislauf. Er ermöglicht eine ausreichend zuverlässige Diagnose bezüglich Trisomie 21 beim Kind.
– Invasive Untersuchungen sind die Chorionzottenbiopsie und die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung). Sie können einzelne genetische Abweichungen feststellen, in Einzelfällen können sie eine Fehlgeburt auslösen.
– Die Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Downsyndrom steigt mit dem Alter der Mutter langsam an. Da das Durchschnittsalter der Mütter bei uns bei der ersten Geburt steigt, müsste auch die Zahl der Geburten von Kindern mit Trisomie 21 steigen. Doch sie ist gesunken: 1976 waren es 103 Kinder, 2009 noch 43. Zwei Prozent der in der Schweiz jährlich etwa 11 000 vorgenommenen Abtreibungen sind auf eine Pränataldiagnose zurückzuführen.
– Alle vorgeburtlichen Untersuchungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn die vollständig informierte Frau ihr Einverständnis dazu gegeben hat.