«Oberwil war ein Meilenstein»

Während 30 Jahren schuf der Zuger Architekt Hanns Anton Brütsch Kirchen. Er gilt als einer der Erneuerer des modernen Kirchenbaus. Jetzt ist ein Buch über ihn und sein Gesamtwerk erschienen.

Inneres der Kirche in Suhr AG, 2020. (Bild: Ruedi Zai)

 

SKZ: Wie kam es zu diesem Buch?
Heinz Horat: Der Architekt Ruedi Zai ist in einem Haus von Brütsch aufgewachsen und lebt jetzt wieder dort. Er hatte die Idee, über Brütsch ein Buch zu machen und kam deshalb auf mich zu. Während meiner Zeit als Denkmalpfleger in Zug arbeitete ich auch mit Brütsch zusammen. Er konnte Denkmalpfleger nicht ausstehen und nannte uns «Denkmalpflegel».

Kann in seinen Sakralbauten eine Entwicklung festgestellt werden?
Anhand seiner Kirchen kann man katholische Kirchenarchitektur vor und nach dem Konzil abhandeln. Die erste Kapelle Rotmoos LU stammt von 1949, also deutlich vor dem Konzil, die beiden letzten Kirchen Bettmeralp VS und Zweisimmen BE aus dem Jahr 1978. Rotmoos war noch eine gerichtete Langhauskirche, dann kam 1956 die berühmte Kirche Bruder Klaus in Oberwil ZG – eigentlich ein nachkonziliärer Bau, aber vor dem Konzil gebaut. 1967 folgte St. Michael auf der Rodtegg LU, eine wahre «Kirchenburg». Mit dieser Kirche fing die Diskussion an, ob sich die Kirche solche Prunkbauten noch leisten könne. Ob man nicht näher zum Volk, zur Hauskirche müsse. Die letzten beiden Kirchen von Brütsch sind dann auch multifunktionale Räume. Es fasziniert mich auch, dass bei ihm keine zwei Kirchen gleich waren.

Brütsch wollte die Kirchen als «Gesamtkunstwerke» gestalten.
Er hat während seines ganzen Lebens intensiv mit zwei Künstlern zusammengearbeitet: mit dem Maler Ferdinand Gehr und dem Bildhauer Josef Rickenbacher. Oberwil ist als Gesamtkunstwerk ein absoluter Wurf. Die Kirche ist – im Gegensatz zu anderen Kirchen aus den 50er-Jahren – immer noch sehr gut. Aber auch die Pfarrkirche Heiliggeist in Suhr AG mit den Glasmalereien von Gehr ist gelungen.

Warum ist Suhr gelungen?
Die Kirche hat eine eigenartige Lage: Sie liegt in einem industriellen Umfeld. Der Turm ist wie der Zugang, der das Ganze signalisiert. Nach dem Vorplatz kommt eine sehr strenge Fassade, eigentlich eine abstossende Fassade, die auch zu einem Lagerhaus gehören könnte. Wenn man die Kirche betritt, schwingt die Fassade als Betondach durch den Raum; diese Schwingung wird durch die vollständig verglasten Seitenfassaden aufgenommen. Die Chorwand ist wieder geschlossen. Diese architektonische Mischung aus geschlossenen und offenen Bereichen zusammen mit der Farbgebung der Glasbilder von Gehr ergibt eine in sich geschlossene Stimmung. Man kann hier nicht sagen, der Ambo oder der Altar sei das Hauptobjekt – hier wirkt alles stark zusammen.

Brütsch war mit seinen Ideen dem Zweiten Vatikanum voraus…
Es gab schon lange vor dem Zweiten Vatikanum Reformtendenzen. Sie hatten aber selten Konsequenzen. Mit der Kirche Bruder Klaus in Oberwil schuf Brütsch zum ersten Mal einen Zentralbau und stellte den Altar in den Raum hinein. Den Tabernakel musste er noch auf dem Altar lassen. Doch der Raum selbst und die Position des Altars waren hochmodern und konsequent. Nach dem Konzil musste man nichts anderes tun, als den Tabernakel auf eine Stele neben den Altar zu setzen; alles andere ist bis heute geblieben. Oberwil, zehn Jahre vor dem Konzil, war ein Meilenstein. Zeitgleich baute er für die Menzinger Schwestern das Seminar Bernarda mit der Kapelle. Im Gegensatz zu Oberwil eine kalte, intellektuelle Architektur. Der Altar stand ebenfalls frei im Raum und hier hatte Brütsch sogar die Bänke rund um den Altar angeordnet. Das war möglich, da es sich um eine Privatkapelle handelte.

Welche Kirche gefällt Ihnen am besten?
Oberwil fasziniert mich noch heute. Die Kapelle Rotmoos liegt wunderbar in einer verlorenen Landschaft. Auch Suhr beeindruckt mich sehr. Rodtegg gefällt mir als Gesamtanlage ebenfalls sehr gut. Eigentlich gefallen mir alle erwähnten Kirchen gut.

Interview: Rosmarie Schärer

 

* Heinz Horat (Jg. 1948) ist Kunsthistoriker. Er war von 1987 bis 2001 Denkmalpfleger des Kantons Zug.

Buchempfehlung: «Hanns Anton Brütsch. Architekt BSA SIA.» Von Heinz Horat, hg. von Ruedi Zai. Zug 2021. ISBN 978-3-85761-336-4, CHF 59.–.