Im Archiv des Steyler Missionsordens in Rom fand sich ein kleines blaues Notizbuch (Bild) mit der Aufschrift «Œuvre Caritative Pontificale». Es gehörte Pater Wilhelm Schmidt (1868–1954, Bild), dem Gründer der Wiener Schule für Völkerkunde. Es beweist, dass der österreichische Ethnologe während seines Exils in der Schweiz (1938–1954) in engem Kontakt mit militärischen Nachrichtendiensten stand und mit Hilfe des Vatikans Wehrmachtsdeserteure unterstützte, die in Schweizer Lagern interniert waren. Schliesslich nutzte er das Geld des Vatikans subversiv für nachrichtendienstliche Operationen gegen den NS-Staat.
Einer von ihnen war Walter Ferber (1907–1996), ein Journalist aus Deutschland, der mehr als vier Jahre im Konzentrationslager Dachau gefangen gehalten wurde. Nach seiner Überstellung am 24. Oktober 1942 ins Infanterie-Ersatz-Btl. 19 in München gelang ihm von Héricourt aus am 25. November 1942 die Flucht in die Schweiz, wo er den Internierungs- und Arbeitslagern Witzwil und dann Murimoos zugewiesen wurde. Schmidt, der von 1942 bis 1948 als ordentlicher Professor für Ethnologie und Sprachwissenschaft an der Universität Freiburg i. Ü. tätig war, nahm Ferbers Fall zum Anlass, um beim Vatikan um Hilfe anzusuchen. Sein Schreiben an den Papst Pius XII. vom 19. Juni 1943 fand Gehör. Einen Monat später überwies das vatikanische Staatssekretariat 12 840 Schweizer Franken auf sein Bankkonto in Freiburg i. Ü. Ferbers Entlassung aus Murimoos gelang im August 1943. Er erhielt in der Folge von Schmidt eine monatliche Zuwendung aus der päpstlichen Kasse. Zusätzlich zu dieser finanziellen Hilfe sorgte Schmidt dafür, dass Ferber bis Kriegsende im Diözesanseminar in Freiburg i. Ü. untergebracht wurde. Ferber galt als ein Sprachrohr für die Anfangs 1940 in Dachau zusammengeführten Geistlichen. Im April 1943 veröffentlichte er anonym in den Apologetischen Blättern in Zürich einen Bericht über medizinische Menschenversuche für die Luftwaffe und die U-Boot-Flotte, die eine hohe Sterblichkeitsrate aufwiesen, darunter auch polnische Geistliche. Im Mai 1945 publizierte er unter seinem Pseudonym Walter Feuerbach «55 Monate Dachau. Ein Tatsachenbericht».
Schmidts blaues Notizbuch listet alle Ausgaben detailliert auf und gibt genau Auskunft darüber, für wen und wofür das päpstliche Geld bestimmt war. Neben Ferber war der Wiener Medizinstudent Wilhelm Bruckner (1919–1972) ein weiterer Nutzniesser. Als Mitglied der klandestinen österreichischen Frontmiliz war er 1941 nach einer langen Odyssee in die Schweiz geflohen, wo er mit anderen Wehrmachtsdeserteuren die österreichische Widerstandsgruppe Patria aufbaute. Im April 1944 erhielt Bruckner vom Schweizer militärischen Nachrichtendienst die Erlaubnis, zehn Wehrmachtsdeserteure aus den Schweizer Internierungslagern für seine Organisation zu rekrutieren. Im Herbst 1944 stellte Schmidt die Verbindung zwischen Bruckners Nachrichtendienst und der britischen Special Operations Executive (SOE) her. Daraus resultierte die Gründung der Patria am 1. Oktober 1944 mit dem Ziel, Südtirol für Österreich militärisch zurückzuerobern. Die SOE versorgte die Patria zwar mit Maschinenpistolen, Munition und Uniformen der Waffen-SS und Wehrmacht; Bargeld wurde vom militärischen Nachrichtendienst der Schweiz und Grossbritanniens nur in bescheidenem Umfang zur Verfügung gestellt. So war es Schmidts Aufgabe, alles, was darüber hinausging, aus seinen Vatikanmitteln zu bezahlen. Am 9. Oktober 1944 zahlte er beispielsweise 200 Schweizer Franken an Bruckner und Freunde. Dies beweist, dass Schmidt die Patria von Anfang an auch mit vatikanischen Geldern unterstützte. Ob Papst Pius XII. und seine Kurienkardinäle über den tatsächlichen Verwendungszweck der Vatikangelder eingeweiht waren, ist eine Frage, die noch nicht geklärt ist.
Peter Rohrbacher*