SKZ: Warum ist der Leitsatz 9 wichtig?
Isabel Vasquez: Der Leitsatz 9 ist die Grundlage für die Interkulturelle Katechese. Im Dokument «Katechese im Kulturwandel» wird aufgezeigt, wie wichtig es ist, dass Pfarreien und anderssprachige Missionen für die Katechese zusammenarbeiten. Sie gehören zu einer Gesamtpastoral und sollten deshalb die Möglichkeit anbieten, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund einen Religionsunterricht besuchen können. Die Verantwortung für die Katechese liegt bei den Ortspfarreien, die Sprachmissionen bieten ein Zusatzangebot. Migration ist mehr als ein soziologisches Phänomen oder eine politische Diskussion – sie ist Teil unseres Alltags. Wir als Kirche kennen das, die Bibel ist voll von Migrationsgeschichten. Als Christinnen und Christen sollen wir Menschen in ihrem Migrationsprozess begleiten und unterstützen, damit sie Beheimatung in ihrer Praxis als Katholikinnen und Katholiken erleben. Das ist das Ziel des Leitsatzes 9: Solidarität, Integration und Inklusion sollen in unserer Katechese sichtbar sein.
Wo erleben Sie die grössten Unterschiede zwischen den Ortsgemeinden und den Gemeinden der Sprachmissionen?
In Prinzip gäbe es keine. Wir alle sind Katholikinnen und Katholiken und möchten unseren Glauben leben. Überall treffe ich Menschen mit dem gleichen Ziel – Gott suchen und ihm folgen. Leider gibt es doch Unterschiede: In erster Linie bei den Ressourcen wie Räume und Finanzen sowie beim Verständnis der Kirchenstruktur. Zum Beispiel ist es für viele Menschen aus Südamerika und Afrika etwas Neues, dass Frauen predigen und Gemeindeleiterinnen sind. Auch das duale System in der Schweiz ist für viele Migrantinnen und Migranten neu. In den Sprachmissionen sind viele Katechetinnen und Katecheten Freiwillige, die pädagogische Erfahrungen aus ihrer Heimat mitbringen. Andere möchten einfach helfen, weil ihnen die Kirche wichtig ist. Beide Gruppen haben oft keine offizielle katechetische Ausbildung. Genau für diese Menschen ist das Modul «Interkulturelle Katechese», das in verschiedenen Sprachen angeboten wird, konzipiert. Dagegen ist die Arbeit in einer Ortspfarrei sehr strukturiert. Auch in der gelebten Praxis erlebe ich Unterschiede. In den Sprachmissionen sind die Traditionen, Bräuche und kulturellen Erlebnisse wichtig. Der Glaube spielt hier nicht nur eine spirituelle Rolle, sondern ist Teil einer gemeinsamen Identität. Die anderssprachigen Missionen sind oft die einzige Verbindung zur Heimat und der einzige Ort für den sozialen Kontakt mit anderen Menschen. Deswegen ist es für viele Migrantinnen und Migranten ein Bedürfnis, dabei zu sein. Das bedeutet nicht, dass die Ortspfarreien dies alles nicht haben, es ist aber anders. Schweizerinnen und Schweizer können ihr kulturelles Erbe auch ausserhalb der Pfarrei zum Beispiel in Vereinen oder Volkstanzgruppen pflegen.
Welche Chancen und Schwierigkeiten entstehen daraus?
Als grosse Chance sehe ich die Bereicherung, die diese Traditionen und Bräuche für die Kirche darstellen. Die Interkulturelle Katechese möchte diese Tür öffnen und eine Sensibilisierung für eine gemeinsame Arbeit herstellen. Gerade in Krisenzeiten sollte man zusammenhalten, das kann ein Gewinn sein. Die Schwierigkeiten sehe ich bei der Einstellung, die jeder Einzelne gegenüber der Kirche hat. Die Angst vor dem Unbekannten blockiert unseren Verstand und verschliesst die Chancen für einen gemeinsamen Weg. Kleine Schritte bei der gemeinsamen Planung und wertschätzende Kommunikation sind sicher sehr hilfreich.
Ist es sinnvoll, dass Sprachmissionen eigene Katechesen anbieten?
Ja, absolut. So wird das Ziel, welches im Dokument «Katechese im Kulturwandel« erwähnt wird, erfüllt: Katechese soll an allen Orten stattfinden, wo sie gebraucht wird. Für viele Kinder und Jugendliche, die gerade in die Schweiz gekommen sind, ist die Katechese der Sprachmission eine Beheimatung und ein erster Lernort. Die Verantwortlichen der anderssprachigen Missionen haben aber die Pflicht, die Eltern zu informieren, dass sie zu einer Ortspfarrei gehören. Die Katechese in den Sprachmissionen ist, wie bereits gesagt, ein Zusatzangebot. Ich kenne Familien, die mit beiden Orten verbunden sind, weil die Sprachmission ihre Wurzel bedeutet und die Ortspfarrei die Integration in die Schweiz darstellt. So gewinnt auch die nächste Generation an Mehrsprachigkeit und Offenheit.
Wie ist eine kultursensible Katechese möglich?
Richtiges Planen und eine gute Bedingungsanalyse sind die Grundlage jeder guten Katechese. Gerade bei der kultursensiblen Katechese ist es äusserst wichtig, sich zu überlegen, wer das Zielpublikum ist. So sind zum Beispiel Migrantinnen und Migranten vor Weihnachten häufig emotional, da sie ihre Familien in den Heimatländern vermissen. Dies gilt es in der Katechese zu berücksichtigen. Eine weitere wichtige Rolle spielen die interkulturellen Kompetenzen und die Professionalität der Katechetin oder des Katecheten. Deswegen ist die Interkulturelle Katechese Teil unserer Ausbildung und ein Angebot bei der Fachstelle in Zürich. Dort beginnt die kultursensible Katechese.
Migration bedeutet auch kulturelle und pastorale Vielfalt. Können Sie hierfür ein persönliches Erlebnis oder eine persönliche Begegnung geben?
Ich finde den Satz inspirierend: «Migration bedeutet auch kulturelle und pastorale Vielfalt». Ich wünschte mir, dass alle das so sehen: Ortspfarreien wie Sprachmissionen. Ich hoffe, dass es so wird, weil ich im Austausch mit vielen Beteiligten eine gemeinsame Freude am Glauben erlebe. Das ist das Wichtigste. Ein Bereich liegt mir besonders am Herz: die Jugendlichen und ihre Interkulturalität. So helfen zum Beispiel Schweizer Jugendliche in der Spanischen Mission bei einem Gottesdienst auf Deutsch mit. Dadurch unterstützen sie Migrantinnen und Migranten, die sich in der deutschen Sprache fit machen möchten, damit sie an einem Gottesdienst in ihrer Ortspfarrei teilnehmen können. Ich lerne vor allem viel bei der Arbeit mit dem Modul «Interkulturelle Katechese». Im Austausch kommen Katechetinnen aus Ortspfarreien und Sprachmissionen zusammen auf tolle Ideen. Diese interkulturellen Erlebnisse geben mir Kraft und lassen mich spüren, dass alles möglich ist, wenn wir zusammenarbeiten.
Interview: Rosmarie Schärer