Am 21. April 2019, am Ostersonntag, geschah das Unfassbare: In drei Kirchen auf Sri Lanka, davon zwei katholischen, brachten neun Selbstmordattentäter verheerende Bomben zur Explosion, dasselbe geschah in drei bekannten Luxushotels. Erinnerungen an den Bürgerkrieg wurden wach, der Sri Lanka jahrzehntelang erschütterte und erst 2009 ein Ende fand. Die katholische Antoniuskirche in der Hauptstadt Colombo und die Sebastianskirche in Negombo waren die Hauptziele des Anschlages mit den meisten Toten. Sie boten vor einem Jahr ein Bild der Verwüstung. Inzwischen sind sie renoviert und wieder eingeweiht. Doch der Schock unter den Menschen in Sri Lanka sitzt immer noch tief. Das fragile Vertrauen zwischen den verschiedenen Bevölkerungs- und Religionsgruppen wurde auf die Probe gestellt. Religiöse Spannungen wuchsen nach den Anschlägen und richten sich nun vor allem gegen die muslimische Bevölkerung.
Vergebung statt Rache
Mit Glockenläuten und Schweigeminuten gedachte Sri Lanka am ersten Jahrestag der Opfer der Osteranschläge. Veranstaltungen zur Erinnerung an die Opfer der Massaker gab es wegen der Corona-Pandemie jedoch nicht. In einer vom Fernsehen übertragenen Gedenkmesse sagte der Erzbischof von Colombo, Albert Malcom Kardinal Ranjith Patabendige, dass die Kirche den Selbstmordattentätern vergeben habe, die vor einem Jahr 279 Menschen töteten: «Wir schenken unsere Liebe den Feinden, die uns vernichten wollten.» Die katholische Minderheit in Sri Lanka wolle anstatt Rache die Friedensbotschaft Jesu Christi verkünden und die Spannungen abbauen. Der Kardinal erinnerte jedoch auch an die vielen Toten und fast 600 Verletzten, die für den Rest ihres Lebens vom Anschlag physisch und psychisch gezeichnet seien. Kardinal Ranjith Patabendige erklärte weiter, man sei dankbar, dass freundlich gesinnte Länder vor den Anschlägen mehrfach Geheimdienstinformationen weitergegeben hätten. Diese seien leider von der eigenen politischen Führung nicht ernstgenommen worden. Dies war eine klare Anspielung auf die Vertuschungen, die vor und nach den Anschlägen in offiziellen Kreisen stattfanden. Die Osterattentäter, die sich zur Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) bekannten, hatten ein nationales und internationales Unterstützerfeld. Obwohl mehr als 200 Menschen im Zusammenhang mit den Anschlägen seitdem verhaftet wurden, gibt es bis heute weder Anklagen noch Gerichtsverfahren gegen Verdächtige. Dies warf Kardinal Ranjith der Regierung mehrmals vor. Eine ordentliche Aufarbeitung des Terrors vor Jahresfrist sei so nicht möglich; ausserdem vermutet Kardinal Ranjith Mitwisser der Attentäter in den Behörden.
Ungenügende offizielle Untersuchungen
Zwei offizielle Untersuchungen gab es nach den Anschlägen, eine vom srilankischen Parlament und eine von der UNO. Der Bericht des srilankischen Parlaments beschuldigte Präsident Maithripala Sirisena (Jg. 1951), die Osterangriffe nicht verhindert zu haben. Der parlamentarischen Kommission zufolge war der Staatliche Nachrichtendienst (SIS), der wichtigste Geheimdienst und direkt der Sirisena unterstellt, von indischen Diensten vor den Anschlägen gewarnt worden. Der Parlamentsbericht schrieb die Anschläge der extremistisch-islamischen Organisation National Thowheeth Jama'ath (NTJ) zu. Sirisena war 2014 mit Hilfe muslimischer Wählerinnen und Wähler an die Macht gekommen. Im Juni 2019 traten alle neun muslimischen Minster seines Kabinetts zurück, und bei der Präsidentschaftswahl im November wurde er abgewählt. Der politische Hardliner und ehemalige Militäroffizier Gotabaya Rajapaksa (Jg. 1949) errang mit seiner pro-singhalesischen Agenda einen klaren Wahlsieg.1 Mehr als 70 Prozent der 22 Mio. Einwohner Sri Lankas sind Buddhisten, zwölf Hindus, zehn Muslime und gut sieben Prozent Christen.
Als Drahtzieher der Anschläge ermittelten die Behörden schnell den bei den Anschlägen ums Leben gekommenen 36-jährigen Zahran Hashim. Finanziert worden war die Anschlagsserie vom Gewürzmagnaten Mohammad Yusuf Ibrahim. Zwei seiner Söhne gehörten zu den Selbstmordattentätern. Fast alle Selbstmordattentäter stammten aus der Oberschicht des Landes. Hashim radikalisierte sich 2017, war polizeibekannt und hatte in den sozialen Netzwerken Tausende Anhänger. Er und die meisten der Attentäter kamen aus der Stadt Kattankudy an der Ostküste der Insel, einer mit 60'000 Einwohnern fast rein muslimischen Stadt. Die Muslime Sri Lankas sind sogenannte «Moors», Nachkommen der seit dem 8. Jahrhundert eingewanderten arabischen Händlern, die von den Portugiesen, die Sri Lankas Küsten im 16./17. Jahrhundert beherrschten, Mauren («Moros») genannt wurden. Kattankudy besitzt 45 Moscheen und war lange ein Zentrum des mystischen Sufi-Islams, bevor sich dort seit den 1980er-Jahren viele Studenten nach ihrer Rückkehr aus Saudi Arabien dem radikalen salafistischen Wahhabismus zuwandten. Zunächst richtete sich 2017 der Hass der Salafisten gegen die Sufis in der eigenen Stadt. Schon vor den Osterattentaten gab es Hinweise auf die extreme Gewaltbereitschaft der Salafisten: Ende November 2018 waren in der Nähe von Kattankudy zwei Polizisten auf offener Strassembrutal ermordet worden.
Drei Tage nach den Osteranschlägen wurde fast die gesamte Familie Hashims bei einem Polizeieinsatz bei Kattankudy getötet, im Mai 2019 wurde auch der Gründer des Zentrums für Islamische Beratung2 von Kattankudy, der wahhabitische Prediger Mohamed Aliyar, verhaftet. Der festgenommene Verdächtige soll eine enge Beziehung zum Chefattentäter Hashim unterhalten haben, hiess es damals in einer Polizeierklärung.
Die zweite offizielle Untersuchung führte die UNO durch. Der UN-Menschenrechtsrat (HRC) beauftragte nach den Anschlägen den UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit und ehemaligen Aussenminister der Malediven, Ahmed Shaheed (Jg. 1964), einen Bericht über Verletzungen der Religions- und Glaubensfreiheit in Sri Lanka vorzulegen. Shaheed war deshalb im August 2019 zwei Wochen auf der Insel. In seinem Bericht mit 93 Kapiteln und 18 Seiten, der Ende März 2020 veröffentlicht wurde, bekräftigt der UN-Sonderberichterstatter zwar «extreme Verletzungen der Religionsfreiheiten gegenüber christlichen, muslimischen und hinduistischen Minderheiten sowie Zeugen Jehovas seit Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka im Jahr 2009», aber nur ein halbes Kapitel widmet er den Osteranschlägen gegen die Kirchen, dem Salafismus und der Stadt Kattankudy. Mehrere Kapitel behandeln die Benachteiligung der muslimischen Minderheit in Sri Lanka und weitere die Unruhen, die nach den Ostermassakern ausbrachen und Muslime zum Ziel hatten. Die antimuslimischen Unruhen, die es nach den Terrormassakern gab und denen ein Muslim zum Opfer fiel, gingen von singhalesisch-buddhistischen Extremisten aus, nicht von christlichen Gruppen. In dem lange dauernden Bürgerkrieg zwischen Tamilen und Singhalesen standen die Muslime auf Seiten der Tamilen. Die Christen blieben neutral. Die Spannungen zwischen der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit, die zumeist buddhistischen Glaubens ist, und der muslimischen Minderheit bestünden weiter, heisst es in dem Bericht. Dass von den Hintermännern der Osterattentate noch niemand vor Gericht gestellt wurde, wie es Kardinal Ranjith Patabendige mehrmals kritisierte, erwähnt der Bericht nicht. Dagegen wurde der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit Ahmed Shaheed gegenüber der Regierung Sri Lankas vor einigen Wochen wieder aktiv, als er die Entscheidung der Regierung kritisierte, dass auch Muslime, die an Covid-19 sterben, verbrannt werden müssten, obwohl dies islamischen Begräbnisregeln widerspricht.
Bodo Bost