Sonnen- und Schattenseiten

Der Mensch ist, was er isst. Aber auch was er liest, denkt, fühlt. Und genau wie es für Körper, Geist und Seele wichtig ist, Energie aus guten Quellen zu schöpfen, ist es dies auch für die Energieproduktion.

Im Jahr 2020 wurden 19 Personen mit erneuerbaren Energietechniken vertraut gemacht. (Bild: zvg)

 

Die Grillen zirpen um die Wette mit dem Gesang der Vögel und der leichte Wind lässt die Sonnenblumen ruhig hin- und herwiegen. Miriam Beatriz Alfaro sucht nach den richtigen Worten. Nicht, weil sie etwa nervös ist oder die Antwort nicht weiss. Die kolumbianische Kleinbäuerin scheint einfach von der Sache selbst so entzückt zu sein, dass ihr diese zu beschreiben nicht leichtfällt, ja gleich die Sprache verschlagen hat. «Was bedeutet für mich der Garten, der Hof, das Land?» Mit träumerischem Blick antwortet sie: «Dankbarkeit. Dankbarkeit für Gottes Schöpfung. Er hat uns ein Stück Erde gegeben, wo wir leben und anbauen können. Viele Menschen haben nichts auszusäen und wünschen sich dies sehnlichst.»

Doch die Bevölkerung von Matanza, einem ländlichen Gebiet im Departement Santander im Nordosten von Kolumbien, wo auch Miriam zu Hause ist, muss sich trotz dieser Idylle auch einigen Herausforderungen stellen. Wasserknappheit, Monokulturen oder Abholzung sind alles Probleme, mit denen die Kleinbauernfamilien täglich zu kämpfen haben. Ohne Wasser gedeiht bekanntlich nichts, die Monokulturen führen nebst Nährstoffknappheit der Böden auch zu Verlust der Biodiversität und die Folgen der Abholzung sind neben Erdrutschen auch ein erhöhter CO2-Gehalt in der Atmosphäre. Zudem spüren die Bäuerinnen und Bauern die Folgen des Klimawandels immer stärker auf ihren Feldern, wo sie auf planbare Sonnen- und Regenzeiten angewiesen sind. «Früher hatten wir geregelte Jahreszeiten. Jetzt haben wir am Morgen Sommer, am Nachmittag Winter, das macht es für uns extrem schwierig», sagt Marta Hernández Blanco, eine Kleinbäuerin. Zu welchem Zeitpunkt etwas gesät werden kann, wann mit der Ernte zu rechnen ist – dieses traditionelle Wissen ist bei den heutigen Wetterverhältnissen in Kolumbien nutzlos. Die Kleinbauernfamilien kämpfen also mit Problemen, zu denen sie selbst nichts beigetragen haben. Ihre Motivation, etwas für ihr eigenes Wohlergehen sowie für das ihrer Nachbarschaft und der Erde zu unternehmen, ist jedoch gross. Unterstützung dafür leistet Censat, eine Partnerorganisation von Fastenaktion, die der lokalen Bevölkerung in Santander mit dem Aufbau effizienter, umweltfreundlicher Energiesysteme hilft.

Gemeinsam für den Wandel

Einige Frauen der Region haben sich zu Gemeinschaftsgruppen zusammengeschlossen. Gemeinsam meistern sie alles von Aussaat über Wiederaufforstung bis hin zu lokalen Kampagnen, bei denen sie aufmerksam machen auf die Gefahren von Abholzung, unkontrollierter Abfallverbrennung oder gewisser Chemikalien und Düngern. Nebst dem ökologischen Aspekt ist aber auch der ökonomische und der soziale sehr wichtig. Jede Bäuerin hat ein eigenes Feld, zu dessen Gedeihen die ganze Gruppe beisteuert. Sie unterstützen sich gegenseitig, geben sich Halt und Kraft und können so etwas bewirken. Sie arbeiten ausschliesslich mit natürlichen Mitteln, was gut für ihre Gesundheit ist sowie zum Wohlergehen der Erde, der Ernte und dementsprechend der Einnahmen beiträgt. Aber auch die Natur zeigt sich dankbar: Langsam kommen wieder Vögel, die sie lange Zeit nicht mehr erblickt haben, sowie Iguanas (eine Reptilienart) und Waldtiere in die Gegend zurück, was eine echte Bereicherung ist. «Wenn ich mit meiner Familie anfange, zeige ich, dass ein Wandel möglich ist, und dann ziehen andere nach», sagt Rosa Ysabel Rincón, eine Kleinbäuerin, die sich begeistert für die Gemeinschaft einsetzt und aktiv einen ökologischen sowie sozialen Wandel anstrebt.

Gemeinschaftsenergien ausbauen

Ein Wandel ist auch auf den Dächern von Kolumbien zu sehen. Schwarz glänzen sie auf kleinen Familienhäusern bis hin zu einem gemeinschaftlichen Ausbildungszentrum in der Region: die Sonnenkollektoren. Im Jahr 2020 wurden trotz Corona-Vorschriften und daraus resultierenden Einschränkungen 19 Personen mit solchen erneuerbaren Energietechniken vertraut gemacht. Diese Projekte fördern die Aus- und Weiterbildung der Bevölkerung und stärken die Gemeinschaft sowie deren Wille, sich Gehör zu verschaffen und sich fürs Klima einsetzen zu können. So wurden nebst den Sonnenkollektoren auch energieeffiziente Kochöfen, Solartrockner für Früchte und Gemüse und Biogasanlagen gebaut, die gemeinschaftlich genutzt werden können. Auch Miriam Beatriz Alfaro ist in den Genuss einer solchen Biogasanlage gekommen, in denen Fäkalien – meist von Schweinen – in Biogas umgewandelt werden. Zum einen wird dadurch die Umwelt weniger verschmutzt, da der Tierkot durch die Biogasanlage in hochwertigen, natürlichen Dünger umgewandelt wird, zum andern erlaubt ihr dies nun, mit dem gewonnenen Biogas den Kochherd zu betreiben und darauf für die ganze Nachbarschaft Kaffee zu kochen. Auch finanziell ist die Biogasanlage eine willkommene Unterstützung für die Familie: Sie können das Geld einsparen, das sie früher für Gasflaschen ausgeben mussten, und die leidenschaftliche Köchin kann nun Kuchen backen, deren Verkauf einen bedeutenden Zustupf generiert.

«Die Idee hinter diesen Gemeinschaftsenergien ist die Entprivatisierung und Dezentralisierung von Energie», sagt Tatiana Roa, Koordinatorin von Censat. Die Nutzerinnen und Nutzer der Energie sollen die Kontrolle über diese haben und selbst entscheiden können. Vor allem die Bevölkerung in abgeschiedenen Gegenden hat teilweise keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu verlässlicher und sauberer Energie. (Zum Kochen wird zwar oft Holz verfeuert, was bei gemässigtem Gebrauch als erneuerbar und nachhaltig eingestuft werden kann, jedoch schlecht für die Gesundheit ist. Dementsprechend wird diese Art der Energie nicht als sauber bezeichnet.) Weiter leidet die ländliche Bevölkerung auch darunter, dass sie nicht oder kaum in die politischen Prozesse mit eingebunden wird. Wie und wo zum Beispiel Stromnetze ausgebaut werden, wird über ihre Köpfe hinweg entschieden. Dieses Problem zeigt sich auch an anderen Orten, wie zum Beispiel in Brasilien. Indigene, die traditionsgemäss ganz im Einklang mit der Natur leben, werden vertrieben und / oder sehen sich konfrontiert mit den Konsequenzen von etlichen Staudämmen in ihrem Lebensraum. Sie fühlen sich bedroht in ihrer Lebensweise sowie hintergangen in ihren Rechten als Bürgerinnen und Bürger und ihrer Würde als Menschen.

Respekt zeigen

Erneuerbare Energiesysteme sind zentral, damit der globale Temperaturanstieg auf 1,5° Celsius beschränkt bleibt, wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart. Dies darf jedoch keinesfalls auf Kosten von Mensch und Natur geschehen. Die Beispiele aus Kolumbien zeigen auf, dass eine ökologisch wie auch sozial verträgliche Transition hin zu erneuerbaren Energien durchaus möglich ist. Und mehr als das: Durch solche Projekte entstehen Gemeinschaften und Freundschaften, die wiederum wichtige Energiequellen für uns Menschen darstellen. Auch die daraus resultierenden finanziellen Vorteile geben Kraft und Energie, da sie Entwicklung ermöglichen.

Behandeln wir also die Erde unter unseren Füssen wie Körper, Geist und Seele und nähren wir sie nur mit den besten Zutaten, auf feinste Weise zubereitet: mit einer Prise Dankbarkeit, einem Schuss Liebe und einer grossen Portion Respekt.

Selina Stadler

Informationen zur Ökumenischen Kampagne 2022 unter www.fastenaktion.ch


Selina Stadler

Selina Stadler studierte Journalismus und Organisationskommunikation an der ZHAW in Winterthur. Nach verschiedenen Radio- und Fernsehpraktika arbeitete sie drei Jahre in Peru als Englischlehrerin. Seit 2021 ist sie Verantwortliche Kommunikation Ökumenische Kampagne bei Fastenaktion, ehemals Fastenopfer. (Bild: Jean-Pierre Grueter)