Traum, Dienst und Treue

Papst Franziskus hob in seiner Botschaft zum 58. Weltgebetstag um geistliche Berufungen diese drei Schlüsselwörter hervor, die wir auch allgemein für die Entscheidungsfindung gut gebrauchen können.

«Alle träumen im Leben davon, sich zu verwirklichen. Es ist die Liebe, die dem Leben Sinn gibt, weil sie sein Geheimnis offenbart. Das Leben hat man nämlich nur dann, wenn man gibt, man besitzt es nur dann wirklich, wenn man sich vollständig schenkt.» So bezieht sich der Papst auf den heiligen Josef. Dieser habe nach jedem seiner von den Evangelien berichteten vier Träume seine Pläne ändern und sich selbst einbringen müssen.

Wie sehr auch in alter Zeit einem Traum Aufmerksamkeit geschenkt wurde, so galt er dennoch wenig im Vergleich zur konkreten Lebenswirklichkeit. Der heilige Josef liess sich jedoch ohne Zögern von Träumen leiten. Warum? Weil sein Herz auf Gott ausgerichtet war und ihm gegenüber schon bereit war. Seinem wachsamen «inneren Ohr» genügte ein kleiner Hinweis, um Gottes Stimme zu erkennen.

Es braucht also Vertrautheit mit Gott, eine Vertrautheit, die wir nur mit dem Horchen auf sein Wort und dem Glauben an die Kirche erreichen, um nicht der eigenen Fantasie zu verfallen. Wir brauchen Seelsorge, d. h. wir brauchen den Mitchristen bzw. die Mitchristin, die mit uns auf dem Lebensweg schreiten und denen wir alles anvertrauen können. Indem wir miteinander unterwegs sind, erfüllt sich das bekannte Wort konkret: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.»

Das zweite Schlüsselwort lautet: Dienst. Indem man sich auf eine dienende Haltung einlässt, um den Bedürfnissen anderer im eigenen Leben nachzukommen, nimmt man ganz konkret etwas Abstand von der allzu oft prioritären eigenen Wellness und entdeckt somit so Vieles, das man sonst verpasst hätte.

Das heilige Volk Gottes nennt Josef «keuschester Bräutigam» und offenbart damit seine Fähigkeit zu lieben, ohne etwas für sich zu behalten. Es geht aber nicht um eine Logik des Sich-Opferns aus reinem Pflichtbewusstsein, sondern um eine Selbsthingabe, die nur aus der Entdeckung der allumfassenden Hingabe Jesu in seiner unendlichen Liebe für mich und für alle entstehen kann.

In diesem Sinne sind wir Christinnen und Christen nicht nur gewissen Werten verpflichtet, um dadurch grosse Werke im Stile einer NRO zu leisten. Wir bezeugen einfach, dass Gott Liebe ist, und wir in dieser Liebe leben und wirken wollen, denn sie alleine hat definitiv Zukunft! Dieses Zeugnis bereitet uns auch Mühe, da es uns schwerfällt, uns von Gott lieben zu lassen. So ist es immer auch von Vorteil, vor allem als Hauptamtliche, nicht selber unsere Wirkungsstätte auszuwählen, sondern uns senden zu lassen, dorthin, wo wir eben keine eigenen Interessen oder Vorurteile haben können. Dann bleiben wir frei und offen für Neues und Unerwartetes. Dann kann sich Gott selber sozusagen besser melden.

Das dritte Schlüsselwort in der Entscheidungsfindung heisst Treue. «Josef weiss, dass die Menschen ihre Existenz nur auf einem steten Festhalten an grossen Entscheidungen aufbauen.» In einer Zeit, wo wir uns so stark und ständig nach Neuem und Abwechslung sehnen, sollten wir eher einsehen, wie sehr uns die Beständigkeit der Treue in allem hilft, die gute Entscheidung zu treffen.

+Weihbischof Alain de Raemy


Alain de Raemy

Alain de Raemy (Jg. 1959) studierte Philosophie und Theologie in Freiburg i. Ü. Am 25. Oktober 1986 wurde er in Freiburg zum Priester geweiht. Nachdem er von 1986 bis 1988 Vikar in der Pfarrei Saint-Pierre in Yverdon und von 1988 bis 1993 Pfarrer in solidum in Lausanne gewesen war, setzte er seine theologischen Studien an der Gregoriana und dem Angelicum fort. Von 1995 bis 2006 war er wieder in der Pfarreiseelsorge im Bistum Lausanne-Genf-Freiburg tätig. Am 1. September 2006 wurde er Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde im Vatikan. 2013 ernannte ihn Papst Franziskus zum Weihbischof der Diözese Lausanne-Genf-Freiburg und am 10. Oktober 2022 zum Apostolischen Administrator der Diö-zese Lugano.