Vademecum!

Im Folgenden drucken wir eine Wortmeldung von Msgr. Hans Feichtinger ab, die der SKZ-Redaktion im Nachgang zur Medienkonferenz anlässlich der Herausgabe des Buches «Staatskirchenrechtliche Körperschaften im Dienst an der Sendung der Katholischen Kirche in der Schweiz» (herausgegeben von Libero Gerosa; LIT-Verlag Berlin u. a. 2014, 289 S.) zugekommen ist. Die wichtigsten Inhalte dieses Buches habe ich im Frontartikel «Ja zu Körperschaften auf verbindlicher Grundlage» der SKZ vom 3. Juli 2014 (Nr. 27–28) zusammengefasst und gewürdigt. Msgr. Hans Feichtinger wirkte in der von der Schweizer Bischofskonferenz eingesetzten Kommission, die das Buch als Schlussbericht herausgegeben hat, als Vertreter des Vatikans mit. Zwischenzeitlich ist er nicht mehr an der Glaubenskongregation in Rom tätig, sondern wissenschaftlich und seelsorgerlich in Kanada.

Da in der Wortmeldung von Hans Feichtinger Daniel Kosch und dessen Äusserungen an der Medienkonferenz vom 25. Juni 2014, während der die genannte Buchveröffentlichung vorgestellt wurde, angesprochen sind, dokumentieren wir nachfolgend das Referat von Daniel Kosch, damit die Leserinnen und Leser sich selbst ein Urteil darüber bilden können, ob die kritischen Einwände von Msgr. Hans Feichtinger zutreffend sind. Zwischenzeitlich hat sich die RKZ die Empfehlungen ihrer Kommission für Staatskirchenrecht und Religionsrecht zum Vademecum zu eigen gemacht und diese veröffentlicht (http://www.rkz.ch/index.php?&na=2 4,0,0,0,d#Positionspapiere).

Urban Fink-Wagner

 

Zur Rolle von staatskirchenrechtlichen Körperschaften

Debatten und Abstimmungen gehören nicht nur zum regulären Leben der staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz. Immer wieder gibt es auch Debatten und Abstimmungen über das staatskirchenrechtliche System selbst oder, wie man heute zu sagen lernt, über das Religionsrecht. Es gehört zu den Stärken des Schweizer Systems, dass es die verschiedenen Religionen nicht einer totalen Gleichschaltung unterwirft, sondern im Rahmen der föderalen Struktur der Eidgenossenschaft und mit einem guten Blick auf die aktuelle Situation und die Geschichte der verschiedenen Bekenntnisse eine gewisse Vielfalt von Lösungen ermöglicht. Aristoteles wäre stolz, denn Gerechtigkeit gibt jedem das Seine, nicht das Gleiche, auch wenn wir heute vor lauter postmoderner «Egalité» das manchmal verdrängen.

Evolutionen und Diskussionen

Niemand kann bestreiten, dass die religiöse Landschaft in der Schweiz in Bewegung ist und dass sich daraus auch rechtlicher Anpassungsbedarf ergibt. Anpassungen sollten nicht nur darauf zielen, die rechtlichen Regelungen inhaltlich zu optimieren, sondern auch ihre Plausibilität, bei Katholiken und Nichtkatholiken, zu gewährleisten, in der Schweiz und darüber hinaus. Die rechtlichen Regelungen über die Eidgenossenschaft hinaus plausibel zu machen, ist für die römisch-katholische Kirche in der Schweiz doppelt wichtig: zum einen, weil die Schweizer Diözesen zur Universalkirche gehören, zum anderen wegen der hohen Zahl von ausländischen Katholiken, die in die Schweiz kommen und oft hier eine neue Heimat finden. Als eines der Ergebnisse des letzten Ad-limina-Besuchs der Schweizer Bischöfe, begonnen bei Johannes Paul II. und abgeschlossen bei Benedikt XVI., fand im Jahre 2008 in Lugano eine grosse Konferenz zum Thema «Katholische Kirche und Staat in der Schweiz» statt.1 Diese Tagung gab einen wichtigen Impuls zu einer bis heute fortgeführten öffentlichen Debatte. Die im Mai 2014 in Zürich durchgeführte Volksabstimmung über die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen bestätigt, dass diese Thematik weite Teile der Gesellschaft interessiert.

Schon 2009 hat die Schweizer Bischofskonferenz in Absprache mit dem Heiligen Stuhl die Fachkommission Kirche und Staat in der Schweiz (FAKO) ins Leben gerufen, um die aktuelle rechtliche Lage genau zu studieren und Lösungsvorschläge für die Weiterentwicklung des geltenden Rechts zu erarbeiten. Vor einigen Monaten erschien das «Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz», das die Ergebnisse dieser Fachkommission komprimiert darstellt und das sich die Schweizer Bischofskonferenz ausdrücklich zu eigen gemacht hat.2 Nunmehr ist auch ein Band erschienen, der die gesamte Arbeit der FAKO in wissenschaftlicher Weise dokumentiert.3

Wie die ersten Reaktionen auf die Veröffentlichung des Vademecum und der Gesamtdokumen tation erkennen lassen, gibt es eine gewisse Skepsis im Bezug auf die Analysen und Vorschläge, die von der FAKO erarbeitet wurden, zumal auf Seiten der römisch-katholischen Körperschaften und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ) als deren Zusammenschluss. Als Mitglied der FAKO möchte ich mit diesem Beitrag besonders auf jüngste Stellungnahmen des Generalsekretärs der RKZ, Dr. Daniel Kosch, eingehen.

Die «Fachkommission Kirche und Staat» und ihr «Vademecum»

Zunächst einige Hinweise zur FAKO selbst. Ihre Arbeit konzentrierte sich auf diejenigen Kantone, in denen die Gemeinschaft der Katholiken als eigene Körperschaft öffentlich-rechtlich anerkannt ist, wie etwa das Corpus Catholicum in Graubünden, der Katholische Kantonsteil in St. Gallen oder die Römisch-katholische Körperschaft in Zürich. Immer wieder kamen Präsident und Sekretär des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, Kardinal Francesco Coccopalmerio und Bischof Juan I. Arrieta, um an den Treffen der FAKO in Zürich teilzunehmen. Neben diesen hochrangigen Vertretern der Kurie war es meine Aufgabe, die Sichtweise des Heiligen Stuhls und überhaupt eine Nicht-Schweizer-Perspektive in die Arbeit der FAKO einzubringen. Über die Jahre habe ich dabei viel lernen können. Die Mitglieder der FAKO waren insgesamt eine bunte Truppe, schöner gesagt, eine Gruppe mit signifikanter «diversity», was die Ergebnisse ihrer Arbeit sehr positiv beeinflusst hat.4 Gerade die Vorschläge im «Vademecum» werden ja von allen Kommissionsmitgliedern mitgetragen.

Der Titel «Vademecum» ist programmatisch gewählt. Er ist, um ein biblisches Motiv aufzugreifen, wörtlich gemeint als Aufruf zum Mitgehen und zum Aufbrechen. Es geht nicht um das Zerschlagen gewachsener Struktur und Kultur, aber es geht schon um Veränderungen und Erneuerungen, die etwas anderes bedeuten als ein «weiter so».

Daher gilt es zunächst, auf die grundlegende Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kirche und Körperschaften zu schauen, welche die FAKO so herausgearbeitet hat, dass sie jetzt das «Vademecum» prägen, das zugleich die Sichtweise der Bischöfe zum Ausdruck bringt. Daniel Kosch hat bei der Buch-Vorstellung am 25. Juni 2014 zwei Bilder gebraucht, um die Beziehung zwischen Kirche und Körperschaft zu beleuchten, die er zu Recht als entscheidende Grundsatzfrage ausmacht.5 Das erste Bild ist die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, die gemeinsam für einen Haushalt zuständig sind. Die Natur einer solchen Beziehung ist abhängig davon, ob der Frau die Rolle als Haushaltshilfe oder als Partnerin zukommt, selbst wenn die partnerschaftliche Beziehung «nach patriarchalem Muster funktioniert». Kosch erwähnt eine gewisse Enttäuschung vieler staatskirchenrechtlicher Gremien darüber, dass das «Vademecum» sie nicht als Partner, sondern als Haushaltshilfen betrachte.

Das zweite Bild ist das vom Hausbau, den ein Bauherr mit Lieferant und Architekt durchführt, wobei der Architekt, anders als der Lieferant, nicht nur zudienend und unterstützend wirkt, sondern ein echter Gesprächs-und Kooperationspartner ist, wenigstens wenn der Bauherr intelligent ist. Für das Leben der Kirche seien die staatskirchenrechtlichen Behörden nicht nur mehr als Lieferanten, sondern auch mehr als ein Architekt. Daher sei es reduktionistisch zu sagen, wie die FAKO es formulierte: «Sinn und Zweck der Körperschaften ist es, die materiellen Voraussetzungen für Leben und Sendung der Kirche zu schaffen.» Daniel Kosch selbst gibt zu erkennen, dass ihm die Grenzen dieser Vergleiche bewusst sind. Doch es ist zu fragen, ob er die Grenzen dort sieht, wo sie verlaufen. Das Bild von der Partnerschaft nach patriarchalem Muster ist aus meiner Sicht innerlich inkohärent. Und die Gegenüberstellung mit der Haushaltshilfe verkennt, dass jede gelungene Arbeitsbeziehung davon lebt, die Fähigkeiten, Verantwortung und die Person des Mitarbeitenden anzuerkennen und wertzuschätzen. Dies gilt gerade dort, wo es ein eindeutiges Machtgefälle vom Vorgesetzten zum Mitarbeiter gibt. Für eine gelingende Zusammenarbeit und echte Wertschätzung ist es wesentlich, dass keine Partnerschaft (im Sinne einer gemeinsamen, gleichberechtigten Verantwortung) vorgemacht wird, wo eine solche nicht besteht. Dies wäre ungerecht und unredlich. In diesem Sinne kann man die Beziehung zwischen Kirche und Körperschaft nicht mit einem elliptischen, irgendwie eheähnlichen Verhältnis vergleichen.

Das zweite Bild mit dem Zusammenspiel von Bauherr und Architekt kommt der abzubildenden Beziehung zwischen Kirche und Körperschaft etwas näher. Mir bleiben freilich Zweifel darüber, ob Kosch nicht die Bedeutung eines Lieferanten grob unterschätzt, denn die Solidität der Materialien entscheidet darüber, ob ein gutes Haus zu Stande kommt und stehen bleibt, unabhängig vom Design. Kosch selbst hat vor kurzem zum Thema «Die Kirche und ihr Geld»6 den «Primat des Evangeliums vor staatskirchenrechtlichen und finanztechnischen Fragen» hervorgehoben. Man könnte auch sagen: Der Glaube und die Gemeinschaft der Gläubigen haben Vorrang vor ihrer Verwaltung und Finanzierung. Daher ist es nur logisch und angemessen, wenn die Körperschaften und ihre Organe sich selbst so verstehen, dass sie dem kirchlichen Leben dienen.

Ekklesiologie und Geld

Kosch äussert einen Verdacht: Die Gegner des Körperschaftssystems hätten wohl «Schwierigkeiten mit der gemeinsamen Verantwortung aller Getauften für das materielle Wohl, mit dem Mitspracherecht der Gläubigen über das von ihnen bereitgestellte Geld und mit dem Prinzip der finanziellen Transparenz». Solche Formulierungen scheinen mir schon im Bezug auf die damit getroffenen Personen in der Deutschschweiz als unfair. Im Blick auf Regelungen in anderen Kantonen und in anderen Ländern stellen solche Äusserungen die katholischen Finanzverwaltungen der Welt ausserhalb der Deutschschweiz unter einen Generalverdacht. Wenn Kosch vom «ekklesiologischen Mäntelchen» spricht, mit dem die Gegner verdecken wollen, dass es ihnen «um die Macht über das Geld geht», dann ist das eine Grenzüberschreitung, selbst wenn er zugibt, dass «auch die Befürworter Eigeninteressen haben». Der RKZ-Generalsekretär fordert von Bischöfen und FAKO sprachliche Sensibilität, hier lässt er sie selbst vermissen.

Die Rolle, welche Laien in den Körperschaften spielen, unterscheidet sich nämlich von der Rolle, welche sie in der Kirche wahrnehmen. Während sie Letzteres mit ihren Hirten zusammen in synodalem Sinn tun, tun sie Ersteres alleine. Dadurch wird das Prinzip missachtet, dass in der Kirche jeweils diejenige Person für die Vermögensverwaltung letztverantwortlich ist, welcher die Leitung einer Pfarrei oder Diözese zukommt. Der durch die staatskirchenrechtlichen Körperschaften bedingte vollständige Ausschluss der kirchlichen Leitung von Entscheidungen über die Verwendung der Mittel ist deshalb kirchenrechtlich und theologisch nicht länger haltbar und auch psychologisch dem kirchlichen Leben abträglich.

Die grundlegenden Orientierungen und Entscheidungen darüber, wie die kirchlichen Finanzmittel eingesetzt werden, stehen dem Bischof bzw. Pfarrer zu, der diese Entscheidungen freilich nicht allein trifft. Das Kirchenrecht sieht dafür eine ganze Reihe von beratenden und mitentscheidenden Gremien vor (Pastoral-und Vermögensverwaltungsrat in Bistum und Pfarrei, Priesterrat, Konsultorenkollegium). Die Kompetenz der staatskirchenrechtlichen Einrichtungen darf die kirchlichen Gremien, und gerade die darin vertretenen Gläubigen und Priester, nicht schlechthin ausblenden. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die Entwicklung und die Arbeit solcher Gremien in der Schweiz dadurch gehemmt sind, dass die Körperschaften viele von deren Kompetenzen faktisch aufgesogen haben. Doch schauen wir auf den Staat: Dort bestimmt nicht das Finanzministerium, sondern die ganze Regierung und das Parlament über den Haushalt. Analog wäre zu wünschen, dass nicht die Körperschaften alleine, sondern die Bistümer und die Pfarreien, ihre geistlichen Hirten mit den darin eingerichteten Räten, die Richtlinien der kirchlichen Finanzpolitik bestimmen. Das bedeutet, dass der Anspruch auf totale demokratische Entscheidfindung relativiert wird und sich an den Prioritäten ausrichtet, welche die pastoralen Verantwortlichen entsprechend formulieren müssen.

Wie Daniel Kosch zu Recht feststellt, beruht das «Institut der öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Kirchen und Religionsgemeinschaften und das damit verbundene Steuerbezugsrecht» darauf, «dass finanzielle und organisatorische Belange des kirchlichen Lebens demokratisch und nach rechtsstaatlichen Prinzipien entschieden werden und dass die Kirchensteuerzahlenden und die Öffentlichkeit transparent über den Einsatz der finanziellen Mittel informiert werden». In der Tat sind demokratische Strukturen in der Regel geeignet, Rechtstaatlichkeit und Transparenz zu fördern – einen Automatismus gibt es freilich nicht. Zudem ist es mindestens eine Frage wert, ob die öffentlich-rechtliche Anerkennung ausschliesslich demokratisch strukturierten Gruppen vorbehalten werden muss. Für Katholiken zumindest ist es problematisch, finanzielle und organisatorische Belange ganz scharf von Fragen des Glaubens und der Pastoral zu trennen, die nicht rein demokratisch entschieden werden können.

Zahlreiche Beispiele aus Ländern, in denen die Kirche über erhebliche Finanzmittel verfügt, belegen, dass die Deutschschweizer Lösung nur eine unter vielen ist, die Transparenz und Professionalität gewährleisten. Aus universalkirchlicher Warte ist das System der Körperschaften eine extreme Lösung, in zweierlei Hinsicht: 1) Es schafft zwei rechtlich nicht nur unterschiedene, sondern getrennte Grössen: die Kirche (als Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrer Hierarchie) und die Selbstverwaltungskörperschaft der Getauften mit ihren Organen; 2) Es erlaubt den geweihten Priestern und Bischöfen eine nur indirekte, vom jeweiligen Wohlwollen der staatlicherseits organisierten Körperschaften abhängige Einflussnahme auf Entscheidungen, die für das Leben der Kirche wichtig sind. Damit entsteht eine rechtliche und faktische Distanz, die in sich problematisch ist und immer wieder konkrete Probleme verursacht.

Wie Kosch selber weiss, wird für die Zukunft entscheidend sein, dass die «Körperschaften ihr finanzielles Geschick eigenverantwortlich und in starker Rückbindung an die Botschaft des Evangeliums gestalten». Doch gerade bei diesem Projekt müssen die Bischöfe und die Priester, vor allem die Pfarrer, eine entscheidende Rolle spielen. Weder ist der Papst für die Weltkirche, noch sind die Bischöfe für ihre Diözesen oder die Pfarrer für ihre Pfarreien bloss geistliche Begleiter, die mit Impulsen und Ratschlägen agieren. Gerade Papst Franziskus macht vor, wie sehr ernsthaftes Hören auf fachkundige Berater und eigenverantwortete Entscheidungen, auch in finanziellen Dingen, wesentlich sind für die Ausübung des Hirtenamtes. Das System der Körperschaften kann nicht damit verteidigt werden, dass es den Pfarrern und Bischöfen alle finanziellen Spielräume und Entscheidungen abnimmt. Das wäre ein strukturelles Misstrauensvotum, oder es könnte nur dadurch erklärt werden, dass ein anderes «ekklesiologisches Mäntelchen», in der Regel das vom Volk Gottes, herhalten muss, um den Griff nach der Macht zu verdecken.

Freiheiten

Wenn Daniel Kosch die Eigenverantwortlichkeit der Gläubigen und – mit Urs Cavelti – die rechtliche und psychologische Unabhängigkeit der Kirche vom Staat einfordert, dann kann ich das nur unterstreichen. Seine Forderungen werden freilich erst dann realisierbar, wenn er sie nicht nur auf die Autonomie der Körperschaften bezieht, die ja eine Autonomie dem Staat gegenüber sein soll, sondern wenn er auch anerkennt, dass der Kirche selbst, d. h. den Pfarreien und Bistümern, den Pfarrern und Bischöfen, ein höheres Mass an Unabhängigkeit zusteht. Dass die Mitglieder der katholischen Körperschaften so viele sind und damit einen beachtlichen Teil der schweizerischen Gesellschaft abdecken, ist eine echte Stärke, aber – wie immer – zugleich auch eine Schwäche. Denn die Kirche muss sich unterscheiden und abheben von der Welt, «in der» sie ist. Für den Einsatz der kirchlichen Finanzmittel im Dienste des Evangeliums können die Gläubigen nicht alleine zuständig sein (schon gar nicht bloss die getauften katholischen Stimmbürger). Im Deutschschweizer System der Körperschaften darf die Verantwortung und Gestaltungsfreiheit der Seelsorger und der kirchlichen Hierarchie sich nicht auflösen; strukturell gilt es vor allem die Ebene des Bistums massiv zu stärken, die für das kirchliche Leben wesentlich ist. Daher sehe ich die engere Zusammenarbeit der kantonalen Körperschaften im und mit dem jeweiligen Bistum als eine zentrale Aufgabe der nächsten Zukunft.

Der positive Beitrag, den die Bischöfe und Priester leisten können und müssen, darf nicht unterschätzt werden, wenn es darum geht, die kirchlichen Mittel sachgerecht und evangeliumsgemäss einzusetzen, damit sie dem Glauben und der Sendung der Kirche dienen. Daher wäre es wünschenswert, wenn die Körperschaften dem Bischof bzw. dem Pfarrer (und auch der Bischofskonferenz) mehr Gestaltungsfreiheit und Kompetenzen zuerkennen, als dies momentan der Fall ist. Niemand wird fordern, dass der Pfarrer bzw. Bischof «allein» über alles Geld verfügt – doch analog dazu kann niemand verlangen, dass die Körperschaften letztlich allein entscheiden und den Bischöfen und Priestern die Rolle des Antragstellers zukommt. Dies ist nicht nur psychologisch, sondern auch (kirchen-)rechtlich und theologisch unannehmbar.

Das «Vademecum» und die Arbeit der FAKO im Ganzen wollen den Grundstein legen für Gespräche und Anpassungen, die in der Schweiz nicht mehr lange aufgeschoben werden dürfen. Es geht letztlich für den Staat um die Stärkung der Religionsfreiheit und für die Kirche um ihre Treue zu Glaube und Evangelium. Beides bedingt sich gegenseitig, und die Religionsfreiheit des Einzelnen bleibt hohl, wenn die korporative Religionsfreiheit (hier: der Kirche) nicht garantiert wird. Die Körperschaften sind Einrichtungen, die dem gesellschaftlichen und staatlichen Interesse am religiösen Leben der Menschen entspringen, da der Staat die Religion für ein Gut erachtet, das er schützt und sogar fördert. Aus kirchlicher Sicht bieten die Körperschaften eine grosse Hilfe bei der Beschaffung und Verwaltung der für das Leben der Kirche bestimmten Finanzmittel. Solange die kirchlichen Gemeinschaften (Pfarreien und Bistümer) nicht selbst öffentlich-rechtlich anerkannt werden, müssen die Körperschaften sich dafür einsetzen, dass ein solches System nicht zu sehr zu Lasten der Freiheit der Kirche selbst geht. Der Kirche dabei zu helfen, kann nicht Grund von Enttäuschung sein oder als reduktives Verständnis gelten, denn es ist eine echte Hilfe für jene, die als «geweihte Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer und Leiter in der Kirche» (LG 37) agieren. Wenn die Körperschaften neu entdecken, dass ihre Autonomie nicht gegenüber der Kirche besteht, sondern dazu da ist, deren Autonomie und Handlungsfreiheit zu sichern, dann können sie einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die katholische Kirche in der Schweiz auch weiterhin ihre Sendung erfüllen kann.

 

 

 

1 Libero Gerosa hat die Tagungsakten in drei Sprachen veröffentlicht: Chiesa cattolica e Stato in Svizzera: atti del Convegno della Conferenza dei vescovi svizzeri, Lugano, 3–4 novembre 2008 ([EUPress FTL] Lugano/[A. Dadò] Locarno 2009); Katholische Kirche und Staat in der Schweiz (= Kirchenrechtliche Bibliothek 14) ([LIT-Verlag] Wien-Zürich- Berlin-Münster 2010); Église catholique et état en Suisse (= Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht 25) ([Schulthess] Genève-Zurich-Bâle 2010).

2 Text online unter http://www.bischoefe.ch/dokumente/anordnungen/vademecum.

3 Libero Gerosa (Hrsg.): Staatskirchenrechtliche Körperschaften im Dienst an der kirchlichen Sendung der Katholischen Kirche in der Schweiz (= Kirchenrechtliche Bibliothek 15) ([LIT-Verlag] Münster 2014). Siehe auch die Statements bei der Buchvorstellung am 25. Juni 2014 in Freiburg i. Ue. unter http://www.bischoefe.ch/dokumente/communiques/studie-ueber-das-verhaeltnis-von-kirche-und-staat-in-der-schweiz.

4 Mitglieder der FAKO waren: Prof. Dr. Libero Gerosa (Vorsitzender), Professor für Kirchenrecht in Lugano; Msgr. Dr. Hans Feichtinger, damals Offizial der Glaubenskongregation; Dr. Philippe Gardaz, ehem. Waadtländer Kantonsrichter und Mitglied der RKZ-Kommission für Staatskirchen- und Religionsrecht; Prälat Dr. Martin Grichting, Generalvikar des Bistums Chur; Prof. Dr. Ivo Hangartner †, em. Professor für Staatsrecht in St. Gallen; Dr. Claudius Luterbacher, Kanzler des Bistums St. Gallen, Dr. Paul Weibel, Vizestaatsschreiber des Kantons Schwyz, Rudolf Würmli, ehem. Verwalter des Katholischen Konfessionsteils St. Gallen (als Nachfolger für Giorgio Prestele, ehem. Generalsekretär des Synodalrates der katholischen Kirche im Kanton Zürich). Trotz mehrfacher Versuche gelang es nicht, ein Mitglied aus dem Bistum Basel mit seinen vielen Kantonen zu gewinnen.

5 Daniel Kosch: Referat anlässlich der Präsentation des wissenschaftlichen Berichts der Fachkommission Kirche-Staat der SBK vom 25. Juni 2014 (nachfolgend abgedruckt auf den Seiten 635–637).

6 Daniel Kosch: Die Kirche und ihr Geld, in: SKZ 182 (2014), Nr. 18–19, 251–252.

Hans Feichtinger

Msgr. Dr. Hans Feichtinger, früher für die römische Glaubenskongregation tätig, arbeitet an einer philosophischen Dissertation und verwaltet die Pfarrei St George’s in Ottawa (Kanada).