Im Kanton Zürich gibt es zwei sich ergänzende Wege religiöser Bildung. Der bekenntnisunabhängige Religionsunterricht (Kultur und Religion) wird von staatlich ausgebildeten Lehrpersonen am Lernort Schule erteilt. Er ist obligatorisch und behandelt in seinem Lehrplan 21 neben ethischen auch religionsbezogene Themen. Daneben gibt es den konfessionellen Religionsunterricht, der von kirchlich ausgebildeten Lehrpersonen erteilt wird und am Lern- und Erfahrungsort Pfarrei stattfindet. Er ist frei wählbar und hat die religiöse Bildung und Beheimatung in der Pfarrei zum Ziel.
Ergänzende Katechese in den Missionen
Gemäss dem Pastoralkonzept der Katholischen Kirche im Kanton Zürich besuchen alle katholischen Kinder den Religionsunterricht, der von den deutschsprachigen Ortspfarreien angeboten wird. Auch Erstkommunion und Firmung von Kindern und Jugendlichen der anderssprachigen Missionen finden nach Möglichkeit in den Pfarreien statt. Dies dient der Beheimatung in dem Land, wo sich die Heranwachsenden für längere Zeit oder sogar dauernd aufhalten werden. Die Missionen bieten zusätzlich Katechese an, damit Kinder und Jugendliche auch die Glaubenssprache und -praxis ihres Herkunftslandes und ihre kulturellen Wurzeln kennen.
Der Ursprung des Lehrmittels
Die konkrete Praxis zeigte, dass das Pastoralkonzept nicht so einfach umzusetzen war. Berührungsängste gab es auf beiden Seiten: «Ist euer Religionsunterricht katholisch genug?», so die einen. «Kann man ohne pädagogische Grundlagen guten Religionsunterricht erteilen?», so die anderen. Es brauchte etwas Verbindendes, das die unterschiedlichen Kulturen des religiösen Lernens wertschätzte und Basis eines gemeinsamen Lernens miteinander, voneinander und übereinander sein konnte.
Zusammen mit Katechetinnen einiger anderssprachiger Missionen, Pfarreien der deutschsprachigen Schweiz und der Fachstelle Religionspädagogik wurde das Lehrmittel «Interkulturelle Katechese» entwickelt. Da die Muttersprache zur kulturellen Identität gehört und sich mit ihr das Erleben von Heimat verbindet, ist das Lehrmittel in mehreren Sprachen verfasst. Es liegt in Deutsch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch und Englisch vor. 2018 gibt es die Übersetzung ins Polnische. 2014 wurde das Lehrmittel im Rahmen eines Innovationspreises für Integration vom Kanton Zürich ausgezeichnet.
Aufbau des Lehrmittels
Das Lehrmittel für die Primarstufe ist niederschwellig und praxisbezogen. Es besteht aus der Broschüre «Religionspädagogische Basics» und neun Lektionen für die Primarstufe für die Klassen 1–3 und 5–6. Dazu gibt es CDs mit den Lektionen und Liedern. Die Themen wurden von Katechetinnen der Missionen und Katechetinnen der Fachstelle Zürich unter interkulturellen Aspekten ausgewählt und die Lektionen gemeinsam entwickelt. Es ist für katechetisch Tätige mit und ohne Migrationshintergrund gedacht, die ihre pädagogische Kompetenz kultursensibel erweitern möchten oder in katechetischen Prozessen als «Kulturvermittlerinnen» tätig sein wollen. Ziel des Lehrmittels ist es, kultursensible Haltungen zu fördern und katechetisch Tätige mit und ohne Ausbildung zu ermutigen, kultursensible Lehr- und Lernprozesse zu initiieren. Das Lehrmittel bezieht die Eltern in Form von Transferaufgaben in die Katechese mit ein. In diesen probieren sie zusammen mit ihrem Kind das im Unterricht Gelernte in der Praxis aus.
Kultursensible Kompetenz
Interkulturelle Katechese ist keine bestimmte Lernmethode und kein bestimmtes Konzept, sondern eine innere Haltung, die bestehende Lernprozesse wie ein roter Faden durchwebt. Kultursensible Kompetenz begegnet anderen – egal aus welcher christlichen Kultur und Prägung – auf Augenhöhe und sieht sie als gleichwertig. Sie kennt die eigene christliche Kultur, ist in ihr beheimatet und gleichzeitig bereit, kennenzulernen, was für Menschen mit Migrationshintergrund wertvoll ist. Sie erlebt kulturelle Vielfalt als bereichernd und herausfordernd. Es geht um ein Lernen voneinander, miteinander und übereinander. Im Austausch geschieht eine Blickerweiterung und kulturelle Sensibilisierung.
Interkulturelles Lernen
Das Lehrmittel «Interkulturelle Katechese» wird in Form eines Weiterbildungsmoduls von der Fachstelle für Religionspädagogik Zürich angeboten. Dieses wird vorwiegend von Katechetinnen der Missionen, aber auch der Ortspfarreien besucht. Attraktiv für Katechetinnen aus den Missionen ist zudem, dass zum Weiterbildungsmodul ein begleitender Deutschunterricht an einer Sprachschule angeboten wird, der von der Kantonalkirche des Kantons Zürich finanziert wird.
Interkulturelles Lernen ist überraschend, bunt, spannend und lebendig. Sprache ist auch Kultur, und das gilt es zu verstehen, nicht nur mit dem Kopf, sondern mit allen Sinnen. Worte und Begriffe, die für uns ganz selbstverständlich sind, können in der anderen Sprache etwas ganz anderes bedeuten. Diese Art zu lernen macht neugierig auf die Schätze der anderen Kultur, auf die Lebendigkeit eines verwurzelten Glaubens und auf ein pädagogisches Rüstzeug für die Katechese. Lernprozesse, die partizipativ sind, fördern Beziehungen. Fragen werden diskutiert wie z. B.: «Wie macht ihr das und warum?» – «Warum braucht ihr so viel Pädagogik in der Katechese?» – «Warum ist in der Mission das Lernen ‹par cœur› so wichtig» – «Was können wir voneinander lernen, wo ist das Verbindende?»
Natürlich gibt es Situationen, die herausfordern, weil sie anders sind als gewohnt: Es braucht einen langen Atem, verschiedene vertrauensbildende Massnahmen und den Einbezug verschiedener Schlüsselpersonen, bis das Modul Interkulturelle Katechese in einer Mission starten kann. Doch wenn es klappt, wird der Gewinn bald erlebbar. So gibt es bereits Anschlussmodule in Portugiesisch und Spanisch.
Im Weiterbildungsmodul treffen Katechetinnen zusammen, die deutschsprachig, zweisprachig oder nur muttersprachlich sind. Es braucht Übersetzerinnen und alle Arbeitsmaterialien sind zweisprachig. Der Rhythmus des Lernens ist langsamer und elementarer, sinnenfroh und heiter. Nonverbale Sprache gewinnt an Bedeutung: Körpersprache, Gestik und Mimik. Anderssprachigen Katechetinnen wird bewusst, wie wichtig Sprache für die Integration ist. Der Besuch der Deutschkurse, die parallel zum Modul angeboten werden, nimmt deshalb zu.
Kultur des Lernens
Verbindlichkeit wird von anderssprachigen Katechetinnen flexibel verstanden. In jedem Modul gibt es einen festen Kern von Teilnehmenden, dazu immer wieder ein neues Gesicht. Anmeldungen nach gewohntem System funktionieren nicht, dafür kurzfristige Zusagen und Selbstorganisation per WhatsApp. Die Einstellung «erst die Arbeit, dann das Vergnügen» funktioniert nicht. Interkulturelles Lernen geschieht über Beziehung: Es braucht Zeit fürs Ankommen, um sich auszutauschen, miteinander zu essen – dann erst geht Lernen. Auch die Zeitgefässe sind anders: Da anderssprachige Katechetinnen unter der Woche einen Beruf ausüben, kann das Modul oft nur samstags und sonntags angeboten werden.
Das Potenzial des interkulturellen Lernens liegt im gegenseitigen Austausch: Welche Themen, Formen und Methoden entsprechen uns und welche wenden wir in der Praxis der Katechese an? Wir versuchen das, was uns ungewohnt oder fremd erscheint, zu kommunizieren. So kann das Verständnis für kulturelle und religiöse Unterschiede und verbindende Werte und Formen wachsen.
Interkulturelle Katechese ist Zukunft
Interkulturelles Lernen wird nicht nur an der Fachstelle, sondern auch in den Pfarreien erprobt. Hier tun sich neue Möglichkeiten auf, Missionen mit den Ortspfarreien katechetisch zu vernetzen. In zwei katechetischen Pilotprojekten wird versucht, das Potenzial der anderssprachigen Missionen für die Ortspfarreien zu entdecken und zu fördern und umgekehrt. In St. Gallus Zürich führt die Kulturvermittlung zu einem lebendigeren Pfarreileben. In Schlieren ist das Seelsorgeteam bereits interkulturell zusammengesetzt und spiegelt die Vielfalt der Kulturen in der Pfarrei wider. Mit unserem Angebot wollen wir ermutigen, sich auf interkulturelle Begegnungen in der Katechese einzulassen. Auch wenn zu Beginn nicht gleich der Mehrwert sichtbar wird, so überwiegt doch die Erfahrung: Katholisch zu sein bedeutet herrlich weit, vielfältig, lebendig und sinnenfroh. Und das auf einer gemeinsamen Basis: unserem christlichen Glauben.
Uta-Maria Köninger