Von Engeln inspiriert, im Lobgesang vereint

Engeln begegnen wir in Kirchen nicht nur auf Wandbildern, in Glasfenstern oder als Figuren. In jeder heiligen Messe stimmen wir in das Lob der Engel ein.

«Darum preisen wir dich in deiner Kirche und vereinen uns mit den Engeln und Heiligen zum Hochgesang von deiner göttlichen Herrlichkeit.»1
So oder ähnlich hören wir am Sonntag in der Eucharistiefeier, wenn das Sanctus eingeleitet wird: Mehr oder weniger ausführlich, summarisch oder als Aufzählung in einzelnen Klassen, kommen die Engel zur Sprache. Es ist die Kirche im Gottesdienst, die aktiv die irdischen und himmlischen Stimmen vereint. Wenn wir nach der Rolle der Engel im Gottesdienst fragen, muss eigentlich eine Rückfrage folgen: Wie verstehen wir Gottesdienst? Als ein gruppengebundenes Handeln, das symbolisch die Inhalte der Heilsgeschichte erinnernd darstellt? Als Vorgeschmack und Teil eines himmlischen Kultus, der von einer übergreifenden Wirklichkeit getragen wird? Je nach Antwort werden auch Engel eine andere Rolle haben.

Vereint mit der himmlischen Liturgie

So thematisiert die orthodoxe Liturgie die himmlische Hierarchie der Engel – die selbst unter den Serafim, den Kerubim, den Thronen, Gewalten, Mächten, Prinzipien und Erzengeln stehen – und zitiert sie zu Beginn des Hochgebets ausdrücklich. Der Gesang der Engel im Himmel ist gewissermassen immer da; Liturgie eröffnet den Menschen die Möglichkeit, in ihr Konzert einzustimmen. Die Gemeinde, die jetzt feiert, bildet einen zehnten Chor. Die Chrysostomos- bzw. Basiliusliturgie der östlich-orthodoxen Kirchen stellt dar, wie die himmlische Welt am irdischen Gottesdienst teilnimmt: Die Liturgen singen den Hymnus der Kerubim, die irdische Gemeinde stimmt das Trishagion aus Jes 6,32 an – diese Handlung setzt eine geglaubte Verbindung und wesensmässige Einheit von himmlischer und irdischer Liturgie voraus.

Auf der anderen Seite tut sich die kritisch reflektierende Theologie mit dem «Lob der Engel» schwer: Es ist empirisch nicht fassbar und rückt in den Verdacht, eine abgehobene Konstruktion zu sein. Eine biblische Grundlage ist aber gegeben: Verschiedene Texte sprechen vom Lobpreis der himmlischen Wesen, nicht nur das besagte Trishagion, das als einer der ältesten christlichen Hymnen auch in das Sanctus eingeflossen ist.

Biblische Grundlagen

Die hebräische Bibel kennt die Vorstellung von einem Thronrat Gottes (Ps 82, Ps 89), einem himmlischen Heer, das auch Verantwortung für irdische Angelegenheiten übernimmt. In der Jerusalemer Tempeltheologie wird die Verbindung zwischen Himmel und Erde im Kult sichtbar: durch die Bilder der Kerubim an den Wänden des Tempels oder durch die Skulpturen über der Bundeslade. Im Lobpreis aber kommt die Gemeinschaft Israels mit den Engeln am deutlichsten zum Ausdruck (Ps 29,1; Ps 103,19–21; Ps 148).

Ein anderer Hinweis auf eine Kultgemeinschaft von Engeln und Menschen ist der Gesang der drei Jünglinge im Feuerofen im Danielbuch (Dan 3,52–59). Himmlische Wesen wie auch Menschen werden zum Lob Gottes aufgefordert:
«Da sangen die drei im Ofen wie aus einem Mund, sie rühmten und priesen Gott mit den Worten: Gepriesen bist du, HERR, du Gott unserer Väter, / gelobt und gerühmt in Ewigkeit. Gepriesen ist dein heiliger, herrlicher Name, / hochgelobt und verherrlicht in Ewigkeit. Gepriesen bist du im Tempel deiner heiligen Herrlichkeit, / hoch gerühmt und verherrlicht in Ewigkeit. Gepriesen bist du, der in die Tiefen schaut und auf Kerubim thront, / gelobt und gerühmt in Ewigkeit. Gepriesen bist du auf dem Thron deiner Herrschaft, / hoch gerühmt und gefeiert in Ewigkeit. Gepriesen bist du am Gewölbe des Himmels, / gerühmt und verherrlicht in Ewigkeit. Preist den HERRN, all ihr Werke des HERRN; / lobt und rühmt ihn in Ewigkeit! Preist den HERRN, ihr Himmel; / lobt und rühmt ihn in Ewigkeit! Preist den HERRN, ihr Engel des HERRN; / lobt und rühmt ihn in Ewigkeit!»

Im Neuen Testament treten an und für sich viele Engel auf. Aber nur wenige Stellen sprechen von einer liturgischen Gemeinschaft von Menschen und Engeln. Der Hebräerbrief beschreibt eine Verbindung von irdischem und himmlischem Gottesdienst. Doch steht hier der himmlische Christus, der Hohepriester, im Zentrum; die Engel sind dienende Geister (Hebr 1,14) aus der himmlischen Thronsphäre, während die Menschen als Geschwister an die Seite Jesu treten:
«Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten. […] Lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit!» (Hebr 4.14.16)

Auch die Johannesapokalypse beschreibt den himmlischen Kult, an dem die Gemeinde in der Bedrängnis Anteil hat – aber erst am Ende der Zeiten, in der Verwandlung. Irdische und himmlische Liturgie bleiben hier voneinander unterschieden.

Inspiration für das menschliche Gotteslob

Das Neue Testament, das hat die kritische Exegese festgestellt, geht mit Engeln anders um: Durch das Auftreten Jesu als menschgewordener und erhöhter Gottessohn ändert sich die Rolle bzw. der Dienst der Engel. Ihr Lobpreis erweitert sich, richtet sich an Gott und seinen inthronisierten Sohn.

In den Evangelien tauchen Engel nur am Anfang und am Ende der Jesusgeschichte auf. In Lk 1,1–25 tritt ein Engel am Räucheraltar – einem ausgesprochen kultischen Ort – Zacharias entgegen; seine Botschaft endet mit einem Lobgesang des Zacharias (Lk 1,67–79). Ebenso die Verkündigung an Maria: Der angelische Auftritt endet mit dem Magnifikat (Lk 1,46–55). Das Gotteslob der Menschen ist durch Engel bewirkt, in ihm setzt sich die himmlische Gottesanbetung fort. Und in der Weihnachtsnacht findet der ewige Verherrlichungsdienst der Engel ein einziges Mal auf Erden statt: Wenn die Freudenbotschaft von der Geburt des Retters zu den Menschen kommt und der ganze Hofstaat das Gloria singt, um den Menschen Frieden auf Erden zu verkünden (Lk 2,9–14). Diese Stimmung hat den Evangelisten zu drei Hymnen inspiriert, von Zacharias, Maria und Simeon, die wir heute in der Liturgie als «Magnificat», «Benedictus» und «Nunc dimittis» kennen. Auch im Sanctus der Serafim in der Mitte des Gottesdienstes ist nicht einfach von der Ehre Gottes im Himmel und auf Erden die Rede, sondern das Sanctus preist auch den, der für das Heil der Menschen gekommen ist.

Im 20. Jahrhundert war es der Theologe und Archäologe Erik Peterson, der in den 1930er-Jahren mit seinem «Buch von den Engeln» das Bewusstsein für die «Himmlische Liturgie» als Wesensmerkmal des Gottesdienstes wieder in den Vordergrund rückte. Gottesdienst, so Peterson, übersteigt die menschliche Sphäre in den Dimensionen von Raum und Zeit. Das Zweite Vatikanische Konzil griff in der Liturgiekonstitution das Thema auf, auch wenn von Engeln nicht mehr wörtlich die Rede ist:
«In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes, der Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes. In der irdischen Liturgie singen wir dem Herrn mit der ganzen Schar des himmlischen Heeres den Lobgesang der Herrlichkeit. In ihr verehren wir das Gedächtnis der Heiligen und erhoffen Anteil und Gemeinschaft mit ihnen. In ihr erwarten wir den Erlöser, unseren Herrn Jesus Christus, bis er erscheint als unser Leben und wir mit ihm erscheinen in Herrlichkeit» (SC 8).

Schutzengelgebete

Auch für Schutzengel gibt es Spuren, die bereits die Bibel legt, auch wenn der Unterschied zu heutigen Vorstellungen von Schutzengeln gross ausfällt. Von einem individuellen Schutz durch Engel berichten schon die Psalmen (Ps 91,11). Konkrete Schutzengel wie Rafael handeln stets auf Befehl Gottes und führen seinen Willen aus, sie können auch einen Verstorbenen in die postmortale Welt hinübertragen, wie Lazarus in Abrahams Schoss (Lk 16,22). Das katholische Kirchenjahr gestattete im 16. Jahrhundert ein eigenes Schutzengelfest, das 1615 in den Römischen Kalender aufgenommen wurde. Im Tagesgebet heisst es: «Gott, in deiner Vorsehung sorgst du für alles, was du geschaffen hast. Sende uns deine heiligen Engel zu Hilfe, dass sie uns behüten auf all unseren Wegen, und gib uns in der Gemeinschaft mit ihnen deine ewige Freude.»

Eine grosse Wirkungsgeschichte hatte der Glaube an den Schutzengel aber in der privaten Frömmigkeit, in den Abendgebeten. Im heutigen Kirchgesangbuch tritt der Schutzengel wieder zurück; in den wenigen Liedern und Gebeten sind Engel wieder mehr als Boten Gottes angesprochen.

Ann-Katrin Gässlein

 

1 Präfation von den Märtyrern (MB 435); Hirten der Kirche (MB 437): «Durch ihn preisen wir dich in deiner Kirche und vereinen uns […].»

2 «Und einer rief dem anderen zu und sagte: Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen. / Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit» (Jes 6,3).

Literatur

  • Hafner, Johann Evangelist, Von Sachbearbeitern zu transzendenten Kuscheltieren. Schutzengel und himmlische Begleiter, in Welt und Umwelt der Bibel 4 (2008), 34–39.
  • Schwindt, Rainer, Der Gesang der Engel. Theologie und Kultgeschichte des himmlischen Gottesdienstes, Freiburg / Basel / Wien 2018.
  • Frey, Jörg / Jost, Michael R., Gottesdienst und Engel. Eine thematische und forschungsgeschichtliche Einleitung, in: dies. (Hg.), Gottesdienst und Engel im antiken Judentum und frühen Christentum, Tübingen 2017, 1–24.

Ann-Katrin Gässlein

Ann-Katrin Gässlein (Jg. 1981) ist katholische Theologin und Religionswissenschaftlerin. Sie arbeitet an der Professur für Liturgiewissenschaft an der Universität Luzern sowie in der Cityseelsorge in St. Gallen.