Welt neu gestalten: Wirtschaft ist Care

Der synodale Prozess "Siebte Schweizer Frauensynode 2020" hat begonnen und diskutiert ein Care-zentriertes Zusammenleben: Was könnte selbstverständlicher sein als die Gleichung "Wirtschaft ist Care"? Was sollte Ökonomie sein wollen, wenn nicht die Sorge um unser aller Wohlbefinden, von ungefähr sieben Milliarden menschlichen Würdeträgerinnen und Würdeträgern, die zusammen mit unzähligen anderen Lebewesen den verletzlichen und einzigen Lebensraum Erde bewohnen, der uns gegeben ist und der auch zukünftigen Generationen noch ein Leben in Würde ermöglichen soll?

Warum wirkt das Motto, unter dem sich am 6. Mai 2017 dreissig Frauen in Richtung auf der siebten Schweizer Frauensynode aufgemacht haben, dennoch provokativ? Warum löst es Kopfschütteln und krampfhaftes Nichtwissenwollen in diversen Chefetagen aus? Weil man seit Jahrzehnten, nein, Jahrhunderten von einem Trick profitiert, den man lieber nicht öffentlich diskutiert haben will: Die Leitwissenschaft Ökonomie definiert sich selbst zwar auf Seite eins ihrer Lehrbücher als "Theorie der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse". Ab Seite zwei aber dreht sie sich nur noch ums Geld, genauer, um geldvermittelte Tauschakte, und schliesst damit nicht nur die Leistungen der aussermenschlichen Natur (von lat. nasci = geboren werden), sondern auch die unbezahlte Hälfte menschlicher Bedürfnisbefriedigung aus. Der spektakuläre Themenwechsel, der sich zwischen den ersten Seiten und dem Rest der Lehrbücher vollzieht, wird kaum je begründet. Aber er zeitigt weitreichende Folgen: Laut einer aktuellen Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam besitzen heute acht Männer mehr als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, nämlich: Bill Gates, Amancio Ortega, Warren Buffett, Carlos Slim, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Larry Ellison und Michael Bloomberg.1 Dass die aussermenschliche Natur sich längst mit Dürren, Hurrikanen und Gletscherschmelze gegen eine Menschheit zur Wehr setzt, die vergessen zu haben scheint, dass sie selbst Natur ist, wissen wir inzwischen alle.

Kapitalakkumulation. Umweltzerstörung. Und?

"Kapitalakkumulation" nannte es Karl Marx. Von Kapitalakkumulation sprechen Linke und Gewerkschaften bis heute, doch auch sie haben meist nur die Ausbeutung der bezahlten einheimischen Arbeiter im Blick. "Umweltzerstörung" nennen es die Grünen. Nur selten aber machen sie den Zusammenhang zum Thema, der zwischen der Ausplünderung aussermenschlich-natürlicher Ressourcen und der Ausbeutung all der Menschen besteht, die man trickreich in die Natur hinein definiert hat, um nicht auf Augenhöhe mit ihnen streiten zu müssen: die haupt- und nebenamtlichen Hausfrauen und -männer, die Angehörigen "fremder Kulturen", die Bewohnerinnen und Bewohner ehemaliger Kolonien, die Nonkonformistinnen, die aus dem Hamsterrad des Leisten- und Kaufenmüssens schon ausgestiegen sind.

Welt neu gestalten: Wirtschaft ist Care

Nun denn: Die Kirchenfrauen haben sich jedenfalls am 6. Mai 2017 auf den Weg gemacht. Sie laden alle zum Mitgehen ein, die schon lange finden, an unserem Zusammenleben und -wirtschaften müsse sich grundlegend etwas ändern: bezahlte und unbezahlte Care-Arbeiterinnen und -arbeiter, Manager und Bankerinnen, Migrantinnen und Asylbewerber, die zu Hungerlöhnen Schweizer Senioren pflegen, Hebammen, Strassenreiniger, Journalistinnen, Wissenschaftler, Spitex-Angestellte ... Auf irgendeine Weise sind wir nämlich alle betroffen von der Theorie und Praxis, die sich als Bedürfnisbefriedigung ausgibt, uns aber gleichzeitig zwingt, unsere Wohnungen mit Unnötigem zu verstopfen und Bomben zu produzieren, um "Arbeitsplätze zu sichern". Die Kirchenfrauen samt allen, die sich ihnen anschliessen wollen, werden mit Wirtschaftswissenschaftlerinnen ins Gespräch kommen und mit Journalisten, die immer noch hartnäckig "Arbeit" mit "Erwerb" verwechseln. Sie werden prüfen, welches Weltbild Geschichts-, Politik- und Religionslehrmittel unseren Kindern vermitteln – und gegebenenfalls Revisionen einfordern. Sie werden Hebammen in ihrem Kampf für einen menschenwürdigen Lebensbeginn unterstützen. Sie werden mit der Initiative Care-Revolution2 zusammenarbeiten und mit den Care-Slammerinnen3, die sich auf die Bühne stellen und von ihren Alltagen erzählen. Sie werden laufende Volksinitiativen und Gesetzgebungsprozesse prüfen auf die Frage hin, ob sie dem Ziel "Wirtschaft ist Care" dienen, zum Beispiel die Vollgeld-Initiative, die Pflege-Initiative oder die Kriegsgeschäfte-Initiative. (Über die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen haben wir zwar im vergangenen Juni abgestimmt. Aber das Konzept ist damit nicht vom Tisch!) Sie werden ihre religiösen Herkünfte daraufhin befragen, was sie zu einer Care-zentrierten Ökonomie zu sagen haben: Wie könnte eine von Christinnen, Musliminnen, Humanistinnen, Atheistinnen, Buddhistinnen, Jüdinnen usw. gemeinsam getragene Bewegung für ein Care-zentriertes Zusammenleben aussehen?

Ziel des Prozesses ist die siebte Schweizer Frauensynode, die im Herbst 2020 in der Innerschweiz stattfinden soll – ein Schritt auf dem Weg in eine Gesellschaft, die weiss, dass sie aus geborenen, verletzlichen, sterblichen Menschen besteht, die fähig sind, in bezogener Freiheit die Welt menschenwürdig zu gestalten.

 

 

Biblioblog

In seinem Biblioblog lädt Thomas Markus Meier seit geraumer Zeit dazu ein, die neue Bibel-Einheitsübersetzung genau zu lesen. Er findet Veränderungen und entdeckt Verbesserungen. Er habe noch keine Bibelübersetzung entdeckt, die "we-ani" nicht mit "Ich aber" oder ähnlich übersetzt, sondern sehr ungewohnt mit "Ich bin es". Gen 6,17 setze nach dem "we-ani" einen Punkt. Kommen so neutestamentliche Selbstoffenbarungsworte in die Vor-Exodus-Tradition? "Ich bin es. Siehe, ich will" die Sintflut über die Erde bringen … Entsprechend in Gen 9,9: "Ich bin es. Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch …" Meier meint, dass ihm dies noch zu vergleichen, recherchieren, nachzudenken geben wird.

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1 www.presstv.ir/Detail/2017/01/16/506379/Oxfam-Bill-G Bill Gates, Amancio Ortega, Warren Buffett, Carlos Slim, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Larry Ellison, Michael Bloomberg.

2 https://care-revolution.org

3 http://careslam.tumblr.com

Ina Prätorius

Ina Praetorius

Dr. Ina Praetorius (*1956) studierte Germanistik und Evangelische Theologie. Als freie Autorin arbeitet sie zu Postpatriarchaler Ethik, Theologie und Spiritualität. Sie lebt mit ihrer Familie in Wattwil (SG).