Pastoralräume sind für das kirchliche Leben, was Kreisel im Strassenverkehr. Ein Mitarbeiter inspirierte mich mit seiner Kreisel-Allegorie. Verkehrsampeln regeln den Verkehr statisch: stop or go! Sie engen den Blick auf meine Fahrspur ein. Verkehrskreisel regeln dynamisch. Ich achte auf den Verkehrsfluss.
Dieses Bild passt für das, was Umstrukturierungsprozesse in den Diözesen beabsichtigen. Im Bistum Basel ist es der bald abgeschlossene Prozess der Pastoralraumbildung. Mit ihm einher geht die Überführung der (Leitungs-)Aufgaben der Dekanate auf die Pastoralräume.
Bringen diese Umstrukturierungen dem kirchlichen Leben das, was die Kreisel dem Verkehrsfluss? Inwiefern darf von Dynamisierung gesprochen werden? Kommt tatsächlich Bewegung ins kirchliche Leben?
Strukturen dienen dem Leben einer Organisation. Strukturen sind weder Selbstzweck noch Allheilmittel. Blauäugig ist, wer meint, allein durch die Umstrukturierung werde alles besser. Verbittert wirkt, wer diese Prozesse als kraftlose Mangelverwaltung für ein sinkendes Schiff bezeichnet.
Ampelphase Rot, Gelb, oder Grün
Im Vorwort zum Kerndokument des Pastoralen Entwicklungsplans «Den Glauben ins Spiel bringen» (Bistum Basel, 2004) stellt der damalige Bischof Kurt Koch die Frage: «Wollen wir uns einem stets rasanter werdenden Bedeutungsverlust des Christentums und der Kirche in der heutigen gesellschaftlichen Öffentlichkeit einfach resignativ ergeben und allein die verbliebenen volkskirchlichen Restbestände verwalten, oder glauben wir daran, dass das Evangelium, das uns anvertraut ist, derart Leben fördernd ist, dass wir auch heute neue Christen und Christinnen für das Evangelium gewinnen können?» (Den Glauben ins Spiel bringen, S. 2).
Gegen Ende dieses Dokuments steht dann – unter dem treffenden Titel «Mit Strukturen günstige Rahmenbedingungen schaffen» – die für mein Thema wichtige Absicht: «Eine Pastoral, die nötig ist, um den Glauben in einer ausdifferenzierten Gesellschaft ins Spiel zu bringen, übersteigt oft die Möglichkeiten der heutigen Pfarreien. Sie bedingt ein Denken für das grössere Ganze und benötigt pfarreiübergreifende Konzepte, damit die verschiedenen pastoralen Tätigkeiten zusammenwirken und auch unter den Pfarreien Schwerpunkte gebildet werden können. Die Pastoral muss deshalb in grösseren Organisationsräumen gestaltet werden. Wir nennen sie Pastoralräume. Dabei geht es nicht darum, pastorale Aktivitäten aus dem Nahraum zu entfernen, sondern es geht darum, auf vielfältigere Weise Menschen nahe sein zu können» (ebd., S. 31).
Wegzeichen 1: Bewegen durch vielversprechende Erfahrungen
Kirchliches Leben in Pastoralräumen vom Typ B* gewinnt an Fahrt, weil Gleichgesinnte sich finden, Kirchenchöre gemeinsam ihr Klangvolumen steigern, Seelsorgerinnen und Seelsorger besser ihren Charismen entsprechend eingesetzt, organisatorisch-administrative Prozesse konzentriert werden. Bei Pastoralbesuchen tönt das dann etwa so: «Jede der fünf Pfarreien hat nun nicht mehr nur ihren Seelsorger oder ihre Seelsorgerin, sondern fünf. Die Jubla-Scharen gestalten gemeinsame Anlässe und nun haben alle Pfarreien einen Jugendarbeiter. Die Pfarreiräte begegnen sich und fragen nach einem übergeordneten Rat (Pastoralraumrat) für die Begleitung des kirchlichen Lebens. Die staatskirchenrechtlichen Gremien besprechen sich regelmässiger und beginnen, eine gemeinsame Immobilienstrategie anzudenken.» Diese Bewegungen führen da und dort in den Pastoralräumen zur Neuumschreibung der Pfarreien oder zur Fusion von Kirchgemeinden.
Wegzeichen 2: Bewegen durch Leitungspersonen
Mehrere Pastoralräume, die als Typ A errichtet wurden, haben sich bereits zu einem Pastoralraum vom Typ B weiterentwickelt. Haben sich Leitungspersonen und Pfarreigruppierungen anfangs noch gewehrt, enger zusammenzugehen, realisieren sie nach der Pastoralraumerrichtung schnell, dass mehr möglich ist:
- regelmässigere Kontakte und gemeinsames Tun machen die Gartenhäge durchlässig;
- Ideen provozieren weitere Ideen;
- Projekte, die man allein nicht stemmen kann, werden realisierbar;
- die gegenseitige Unterstützung bringt spürbare Entlastung.
Die Bildung von Pastoralräumen installiert eine weitere Führungsebene. Im Bistum Basel sind es nun vier ausgebildete Ebenen: Pfarrei – Pastoralraum – Dekanat – Bistumsregion/Bistum. Sie werden ab dem 1. August 2018 wieder auf drei Führungsebenen reduziert, indem die Führungsaufgaben der Dekane, Dekanatsleiter und Dekanatsleiterinnen den Leitungspersonen der Pastoralräume oder den Leitungspersonen der regionalen Bischofsvikariate übertragen werden. Die Chancen dieser Umstrukturierung liegen im direkteren Führungskontakt der regionalen Bischofsvikariate mit den Leitungspersonen der Pastoralräume. Sie führen z. B. die Mitarbeitergespräche. Diese thematisieren auch die Entwicklung der Pastoral (Pastoralraumkonzept) und stossen so fortwährend Veränderungsprozesse an. Die Basis der Leitungspersonen mit grösserer Verantwortung wird drei Mal breiter, wenn 33 Dekanate 99 Pastoralräumen gegenüberstehen.
Die Risiken sehe ich einerseits in der Rekrutierung der Leitungspersonen. Bereits für die Dekanate konnten in den vergangenen Jahren nicht immer Leitungspersonen gefunden werden. Werden sie für die Pastoralräume zur Verfügung stehen und gelingt die geforderte Bildung der Führungskompetenzen? Bricht schnell viel zusammen, wenn die Leitungspersonen ihre Aufgaben nicht wahrnehmen (können)? Wird den Leitungspersonen in den regionalen Bischofsvikariaten zu viel aufgeladen?
Anderseits zeigt die bevorstehende Restrukturierung, dass einige errichtete Pastoralräume noch zu klein angelegt sind. Eine Pastoralraumkonferenz, die weniger als sieben Personen im pastoralen Dienst umfasst, wird für den geistlichen Austausch und bei der Suche nach pastoral-theologisch begründeten Entscheidungen Kooperationen mit benachbarten Pastoralraumkonferenzen eingehen.
Wegzeichen 3: Bewegen durch Freiwillige und Ehrenamtliche
Bei der Pastoralraumbildung ist auffallend, dass Mitglieder staatskirchenrechtlicher Behörden regelmässig eine treibende Kraft sind. Mag sein, dass manche durch ihr berufliches Umfeld mit Umstrukturierungsprozessen vertrauter sind. Sie überwinden deshalb leichter Verlustängste und suchen schneller nach Kooperationslösungen. Ihr berufliches Wissen und Können kommen da und dort der Pastoralraumerrichtung zugute.
Risikobelastet sind Errichtungen, die ungleiche Kirchgemeinden zusammenführen: mehrere kleine mit einer grossen, arme mit reichen, traditionsbewusst-selbstgefällige mit aufbrechend-fordernden. Diskussionsthemen sind die demokratischen Rechte der Kirchgemeinden bis hin zum Pfarrwahlrecht.
In den Projekt- und Arbeitsgruppen der Errichtungsprozesse engagieren sich viele Leute. Sie lernen sich kennen. Sie streiten miteinander. Sie suchen Konsenslösungen. Sie lobbyieren für die Chancen des Pastoralraumes. Diese Aufbrüche ziehen Kreise. Menschen kommen sich näher und finden im guten Sinne aneinander Gefallen.
Risiken liegen in überhöhten Erwartungen. Sie können den Zeitbedarf für den Errichtungsprozess betreffen, gewünschte pastorale Veränderungen, Personalmutationen oder schlicht persönliche Interessen. Aus Enttäuschung werfen die einen das Handtuch, andere werden zu Opponenten des Errichtungsprozesses.
Zwei Dauerbrenner: Grösse und Nähe
Ob «Klein, aber fein» oder «Gross und stark», die räumliche Ausdehnung und die Anzahl der Gläubigen allein sind nicht entscheidend für einen dynamischen Pastoralraum. Die Grösse allein ist keine Grösse! Mächtigeren Einfluss auf die Prozesse haben kirchliche Traditionen in den Dörfern oder politische Aversionen zwischen ihnen, auch die Angst des Kleinen, der Grosse benachteilige ihn, und schliesslich die aktuelle Konstellation der Personen in den Gremien und in den Seelsorgeteams.
Nah garantiert nicht Nähe! Eine lebendige Beziehung steht und fällt nicht mit dem metrischen Abstand, sondern mit dem zeitlichen Beistand. Das Ideal kleinräumigen kirchlichen Lebens (Pfarrfamilie, integrierte Gemeinde) stösst spürbar an Grenzen. Es ist anspruchsvoll geworden, Menschen für ein Engagement in der Kirche zu gewinnen. Öfters findet man sie nicht mehr in der Kerngemeinde, sondern im weiteren Kreis der Wohlgesinnten oder Abwartenden. Vor die Alternative gestellt, die Binnenbeziehungen zu verstärken (Wagenburg-Mentalität) oder Aussenbeziehungen zu suchen (Exodus-Mentalität), plädiert Papst Franziskus klar für Letzteres.
Eine Ermutigung
Jüngst beendete Papst Franziskus seine Ansprache an den Pastoralkongress der Diözese Rom unter dem Titel «Ein neuer Exodus des auserwählten Volkes» mit den Worten: «Ich lade euch ein, auch einige Schwierigkeiten und Krankheiten, auf die ihr in euren Gemeinden gestossen seid, in dieser Weise zu deuten: als Wirklichkeiten, die vielleicht nicht mehr zum Verzehr geeignet sind, die keinem Hungrigen mehr angeboten werden können. Das bedeutet keineswegs, dass wir nichts mehr hervorbringen können, sondern dass wir neue Zweige einpfropfen müssen: Pfropfen, die neue Früchte bringen werden. Mut und voran! Die Zeit gehört uns. Voran!»1
Markus Thürig