Was ist Licht? Die meisten von uns werden im Physikunterricht gelernt haben, dass Licht aus elektromagnetischen Wellen besteht, und dass die Farbe des Lichts durch die Wellenlänge der Schwingung bestimmt wird: Rotes Licht hat beispielsweise eine grössere Wellenlänge als blaues usw. Mit der Wellentheorie des Lichts lassen sich sehr viele Lichtphänomene erklären, sei es der schöne Regenbogen oder der im Wasser steckende Pfahl, der an der Wasseroberfläche geknickt erscheint. Sobald man aber in den Mikrokosmos, in die Welt der Atome eintaucht, wird es schwieriger für die Wellentheorie.
Licht – ein rätselhafter Zwischenzustand
In der Quantenphysik, die vor etwas mehr als hundert Jahren entwickelt wurde, ist man auf eine Vorstellung des Lichts zurückgekommen, die es vor der Wellentheorie gab – die Vorstellung nämlich, dass Licht aus Teilchen besteht. Damals nannte man diese Teilchen Lichtkorpuskeln; in der Quantentheorie sind es die bekannten «Lichtquanten» oder «Photonen». Aber eigentlich gilt beides: Licht ist wellenartig und teilchenartig, genauso wie jedes Materieteilchen, beispielsweise das Elektron oder Proton, je nach experimenteller Fragestellung mal seine Teilchennatur, mal seine Wellennatur offenbart. Diese paradoxe «Teilchen-Welle-Dualität» gehört zum Fundament der Quantenphysik. Die Teilchennatur des Lichts scheint aber zunächst unserer Anschauung entgegen zu kommen. Wir könnten uns vorstellen, dass eine Lichtquelle, sei es die Sonne, eine Lampe oder eine Kerze, ein Bündel von Photonen emittiert, die dann, so ähnlich wie Wassertropfen aus dem Duschkopf, auf wohlbestimmten, schnurgeraden Bahnen auf irgendwelche Gegenstände treffen und reflektiert werden, um schliesslich in unseren Augen eine Sehempfindung auszulösen. Diese Vorstellung ist nicht verboten, aber sie verfehlt vollkommen die rätselhafte Natur der Lichtquanten.
Lassen wir den grössten «Patriarchen» der modernen Physik, Albert Einstein, sprechen: «Fünfzig Jahre intensiven Nachdenkens haben mich der Antwort auf die Frage ‹Was sind Lichtquanten?› nicht näher gebracht. Natürlich bildet sich heute jeder Wicht ein, er wisse die Antwort. Doch da täuscht er sich.» Das sagte Einstein 1951 – und noch immer geben die Lichtquanten Rätsel auf. In der fremdartigen, absurd anmutenden Welt der Quanten, sind Photonen das bizarrste. Manche Physiker beklagen, dass es bis heute keine befriedigende Theorie des Photons gebe. Die Schwierigkeit besteht darin, das Photon lokalisieren zu können. Entgegen unserer Vorstellung fliegt ein Lichtteilchen nämlich nicht auf einer bestimmten Bahn. Es ist irgendwo oder überall, solange es nicht wechselwirkt – absorbiert, gemessen, vernichtet wird. Hinzu kommt, dass die Zeit für ein Photon stillsteht. Nach der Relativitätstheorie Einsteins hängt die Zeit vom Bewegungszustand ab. Sie verläuft, für einen aussenstehenden Beobachter, mit wachsender Geschwindigkeit immer langsamer, bis sie bei Lichtgeschwindigkeit ganz stehen bleibt. Photonen fliegen immer mit Lichtgeschwindigkeit, für sie vergeht keine Zeit. Photonen sind gleichsam «nicht von dieser Welt», sie leben – wenn wir uns in sie hineinversetzen könnten – in einem «ewigen Jetzt». Nur bei seiner Entstehung in der Sonne oder in einer Lampe oder Kerze, und dann wieder bei seiner Vernichtung durch Wechselwirkung mit Materie, beispielsweise wenn es die Netzhaut unserer Augen trifft, tritt ein Photon mit «dieser Welt» in Kontakt; dazwischen ist es – ja, wo?
Wenn wir von «Licht» sprechen, nicht von Lichtquellen und nicht vom Sehen, sondern vom Licht selbst, dann meinen wir genau diesen rätselhaften, nicht fassbaren Zwischenzustand. Mit anderen Worten, Licht ist in gewisser Weise transzendent. Licht ist etwas ganz anderes als gewöhnliche Materie, das ist keine neue Erkenntnis. Seit jeher dient das Licht, in allen Kulturen rund um den Globus, als Metapher für das Geistige und Göttliche. Nun leuchtet (!) uns diese Symbolik auch auf der Ebene der modernen Physik ein. Man ist sogar versucht zu sagen, dass das physikalische Licht keine blosse Metapher, sondern bereits das geistige Licht ist. Aber damit überschreiten wir die Grenzen der naturwissenschaflichen Erkenntnis. Was wir als Physiker sicher sagen dürfen, ist, dass beim Licht die Trennwand zur göttlichen Transzendenz besonders dünn zu sein scheint – eine Metapher natürlich auch dies.
In acht Minuten auf der Erde
Auf jeden Fall sollte klar geworden sein, dass wir das «Licht der Welt» gar nicht erblicken können. Denn das Licht ist bloss Botschafter. Licht macht sichtbar – ist aber selbst unsichtbar. Was wir sehen, ist nicht Licht, sondern sind leuchtende und beleuchtete Körper. So ist es natürlich auch gemeint, wenn die Geburt eines Menschen angekündigt wird: das Neugeborene «erblickt», aus der Dunkelheit der Gebärmutterhöhle kommend, die leuchtende und beleuchtete Welt. Aber bleiben wir noch bei den Lichtquellen, die uns die Welt beleuchten. Woher kommen sie und mit ihnen das Licht?
Unsere primäre Lichtquelle, ohne die es nicht nur dunkel, sondern auch wüst und leer wäre auf Erden, ist natürlich die Sonne. Auch sie gilt verständlicherweise seit Urzeiten als Gottheit oder als Metapher oder Symbol der göttlichen Gnadenquelle. Für das Leben ist sie, ganz physisch, die Gnadenquelle. Entstanden ist die Sonne, und mit ihr die Erde und die anderen Planeten, vor ungefähr 4,5 Milliarden Jahren aus einer Wolke aus Gas und Staub, die aufgrund ihrer eigenen Schwerkraft in sich zusammenfiel, nicht im Verlauf eines Tages, sondern ungefähr einer Million Jahre. Dabei wurde sie, die Wolke, immer kleiner und kompakter, bald schon kugelförmig als «Protostern», – dichter und heisser, bis zum Punkt, wo im Innersten eine Temperatur von über 10 Millionen Grad erreicht wurde und der Prozess der Verschmelzung von Wasserstoffkernen in Heliumkerne einsetzte. Dieser Prozess liefert genügend Wärmeenergie, und zwar für viele Milliarden Jahre, um der Schwerkraft, die den Gasball stetig zusammendrückt, «Paroli zu bieten» und die Gaskugel der Sonne mit dem hundertfachen Erddurchmesser in einem stabilen Gleichgewicht zu halten. Dort strahlt sie nun, die Sonne, nach menschlichen Massstäben bis ans Ende der Zeiten.
Schauen wir noch ein bisschen genauer hin, woher das Licht stammt. Bei der genannten Kernumwandlung im tiefsten Innern der Sonne wird Energie frei in Form von Photonen. Diese finden aber nicht gleich den Weg zu uns. Ein Photon im Sonneninnern kommt keinen Millimeter weit, da wird es von einem Teilchen gestreut oder absorbiert und re-emittiert. Und so wird es in endlos vielen Zwischenschritten herumgestossen, wobei es auch dauernd seine Identität wechselt und Energie verliert, bis schliesslich nach einigen hunderttausend Jahren, an der vergleichsweise kühlen, «nur» noch 5500 Grad Celsius heissen Oberfläche der Sonne angelangt, ein Photon mit einer Wellenlänge, die dem gelben Licht entspricht, in die «Freiheit» entsandt wird. Nur acht Minuten später trifft es bei uns ein, falls es die Richtung der Erde genommen hat. Das ist eine statistische Beschreibung, das Geschick eines einzelnen Photons können wir, nach dem was oben gesagt wurde, nicht genau verfolgen.
Die Geburt eines Sterns – ein Gleichnis
Wagen wir zum Schluss noch einen Schritt über die natuwissenschaftliche Sicht hinaus. Wie wir gesehen haben, wird bei der Geburt eines Sterns wie der Sonne letztlich Gravitationsenergie in Strahlungsenergie, kurz: schwere, dunkle Masse in Licht umgewandelt. Es entsteht eine Lichtquelle, die weiterstrahlt, solange der Stern lebt. Auf der anderen Seite haben wir Strahlung bzw. Licht als Metapher des Geistigen und Göttlichen bezeichnet. Man könnte nun einer urtümlichen Assoziation zwischen Mensch und Stern folgen und die Geburt eines Sterns, die Geburt der Sonne – und zwar ganz im Verständnis der modernen Astrophysik – als Symbol oder Gleichnis für die Geburt des Göttlichen im Menschen verstehen. Bei unserer Geburt, dessen Datum sinnigerweise mit einem Sternchensymbol (*) gekennzeichnet wird, erblicken wir nicht das Licht der Welt, und wir werden – symbolisch – auch nicht schon selbst zum «Licht der Welt». Aber für Christen ist klar: Einer ist es geworden – unter dem «Stern von Bethlehem» – , und es gilt, ihm nachzufolgen und selbst zum leuchtenden Stern zu werden.
Bruno Binggeli