Niklaus Wolf von Rippertschwand (1756–1832) als Beispiel
Selig- und Heiligsprechungen haben der katholischen Kirche in den vergangenen Jahren mehrmals die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit beschert. Als Papst Franziskus im April 2014 seine Amtsvorgänger Johannes Paul II. (1920–2005) und Johannes XXIII. (1881–1963) heilig- und im Oktober Paul VI. (1897–1978) seligsprach, gaben sich Staatsoberhäupter und Regierungsdelegationen die Ehre, während Millionen von Gläubigen und Schaulustigen auf dem Petersplatz oder am Fernsehen die Zeremonien verfolgten. Dankbar haben die Medien jüngst auch die anlässlich der Familiensynode verkündete Kanonisation von Louis (1823–1894) und Zélie Martin (1831–1877), die erste Heiligsprechung eines Ehepaars, aufgenommen.
Die mediale Berichterstattung hat ausführlich die Lebensentwürfe der neuen Vorzeigekatholiken beleuchtet und – je nach Medium mit mehr oder weniger kritischem bis verständnislosem Unterton – die formalen Kriterien in Erinnerung gerufen, die für den erfolgreichen Abschluss eines Selig- und Heiligsprechungsverfahrens notwendig sind: neben einem heroischen Tugendgrad insbesondere der Nachweis eines Wunders durch seine respektive ihre Fürbitte. Damit wurde allerdings nur auf eine Seite des komplexen Systems der Selig- und Heiligsprechungen hingewiesen, zumal insbesondere die rasche Kanonisation von Johannes Paul II. den Blick auf die langwierigen und zähen Verhandlungen versperrt, die im Normalfall dem päpstlichen Entscheid vorangehen. Wer eine Antwort auf die in Anlehnung an einen wegweisenden Aufsatz des britischen Historikers Peter Burke formulierte Frage, wie man ein Seliger und Heiliger des 21. Jahrhunderts wird,1 sucht, muss über die rein formalen Anforderungen hinausblicken. Dies geschieht im Folgenden in zwei Schritten: Zunächst wird ausgehend von der historischen Entwicklung der Heiligsprechungspraxis der Blick auf einen im 20. Jahrhundert einsetzenden Wandel der Funktion von Selig- und Heiligsprechungen gelenkt. In einem zweiten Schritt werden die daraus folgenden Chancen auf eine Beatifikation an einem konkreten Beispiel ausgelotet, nämlich der noch hängigen Causa des Luzerners Niklaus Wolf von Rippertschwand (1756–1832), in die letzthin nach längerer Stagnation wieder Bewegung gekommen ist. An diesem Beispiel soll gezeigt werden, wie sehr die Selig- und Heiligsprechungspraxis trotz einem grundlegenden Funktionswandel des Systems noch immer in barocken Traditionen verhaftet ist.
Vom spärlichen Einsatz einer Patronageressource zur Hochkonjunktur der Selig- und Heiligsprechungen
Selig- und Heiligsprechungen durch den Papst sind ein Phänomen des Spätmittelalters und der Neuzeit.2 Im frühen Christentum kürten die Gläubigen zunächst selber, später mit Erlaubnis des Bischofs, ihre Heiligen, indem sie deren Gebeine aus dem Grab hoben und ihre Bilder nach eigenem Gutdünken auf Altären platzierten. Erst im Laufe des Mittelalters begannen die Päpste zunehmend, Heiligsprechungen als ihr Vorrecht zu betrachten. Nach der Bestätigung des Bilder- und Heiligenkults auf dem Konzil von Trient (1545–1563) sicherten schliesslich Sixtus VI. (1521–1590) und insbesondere der Barberini-Papst Urban VIII. (1568–1644) dem katholischen Oberhaupt endgültig das Entscheidungsmonopol, indem sie im nun standardisierten Verfahren dem Papst die letztgültige Entscheidung über eine Heilig- und eine erst jetzt als Vorstufe festgelegte Seligsprechung reservierten. Dem päpstlichen Richtspruch ging fortan eine komplexe Abfolge von Prozessen voran, die den Entscheid auf eine "rationale" Basis stellen sollten: Die Schriften des und über den Kandidaten werden von Theologen auf Rechtgläubigkeit und Tugendhaftigkeit durchleuchtet, Augen- und Ohrenzeugen über sein Leben und den Ruf der Heiligkeit befragt und die durch seine Fürbitte bewirkten Wunder von Ärzten auf ihren "übernatürlichen" Charakter geprüft. Gleichzeitig verbot Papst Urban VIII. die "öffentliche" – verstanden als von der Kirche gepflegte – Verehrung nicht approbierter Kultfiguren: Die Titulierung als "Heilig" oder "Selig" wurde verboten, ebenso das Rezitieren von Messe und Offizium, das Anbringen von Votivtafeln in den Grabkirchen, die Darstellung auf Altarbildern oder die Abbildung mit Nimben – ein Katalog, den Benedikt XIV. (1675–1758) modifizierte und geringfügig lockerte.
Dank diesen Reformen hielten die Päpste fortan ein Instrument in ihren Händen, mit dessen Hilfe sie die Geschicke der katholischen Kirche in mehrerlei Hinsicht lenkten. Zum einen favorisierten die Päpste zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Heiligkeitsmodelle, um mit deren Hilfe die Stossrichtung ihrer Kirchenpolitik zu untermauern. So zeigt eine Kollektivbiographie der in der frühen Neuzeit Kanonisierten, wie die Päpste darum bemüht waren, den Gläubigen Figuren – insbesondere Männer – als Vorbilder an die Hand zu geben, die das Wiedererstarken der katholischen Kirche repräsentierten. Unter den Heiliggesprochenen finden sich deshalb nur wenige leidende Märtyrer oder weltabgewandt lebende Mystiker – die vorherrschenden Heiligkeitstypen des Frühchristentums respektive des Mittelalters –, sondern vielmehr die Gründer neuer Ordensgemeinschaften wie der Jesuit Ignatius von Loyola, Glaubensverkünder wie der Missionar Franz Xaver oder "gute Hirten" wie der Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo.3
Zum anderen wussten die Päpste Selig- und Heiligsprechungen als Ressource in den auf Patronage und Klientelismus beruhenden Beziehungen mit den weltlichen und geistlichen Bittstellern einzusetzen. Eine Selig- und Heiligsprechung bedurfte guter Beziehungen zum Kirchenoberhaupt und war gleichzeitig Indikator für eine religiös-spirituelle oder politische Nähe zwischen bestimmten Königen, Fürsten oder Ordensgemeinschaften und dem jeweiligen Papst.4 Das Prestige dieser Ressource steigerten die Päpste durch den spärlichen Einsatz zusätzlich. Zwischen 1588 und 1767 – der ersten Kanonisation nach dem Tridentinum und der letzten vor der Französischen Revolution – wurden nur 55 Kandidaten zu Ehren der Altäre erhoben. Die Herkunft dieser neuen Heiligen deutet an, wie wichtig die pressure group und deren Einfluss beim Papst für den Erfolg des Unterfangens war: 26 dieser Heiligen stammten von der italienischen Halbinsel, 17 waren Spanier, während die französische Monarchie nur vier ihrer Kandidaten durchbrachte.
Erst im 20. Jahrhundert scheinen die Päpste – in auffälliger Gegenläufigkeit zur Bedeutung von Heiligen in der heutigen Gesellschaft – mit dieser Strategie gebrochen zu haben. Die grosse Anzahl neuer Heiliger weist darauf hin, dass Kanonisationen ihren Wert als Patronageressource eingebüsst haben. Allein Johannes Paul II. krönte während seines Pontifikats (1978–2005) weit mehr als 1000 neue Selige und knapp 500 neue Heilige und brachte dabei viele seit langem offene Verfahren zum Abschluss. Auch Papst Franziskus hat in seinen ersten Amtsjahren angedeutet, dass er weiterhin nicht zögerlich mit Selig- und Heiligsprechungsanträgen umzugehen gedenkt.
Die "Heimatfront": Die Verehrung eines Seligsprechungskandidaten im Kanton Luzern
Was bedeutet diese Praktik für die unzähligen Kandidaten, die sich im Vorhof des Heiligenhimmels tummeln? Erhöht die deutlich intensivierte Frequenz der Selig- und Heiligsprechungen die Chancen auf einen baldigen Abschluss hängiger Verfahren? Und wenn nicht auf besonderer Gunstbezeugung des Papstes, auf welchen Faktoren beruht dann der päpstliche Entscheid? Die Fülle neuer Heiligen erschwert, ja verunmöglicht jeglichen Versuch, für unsere Zeit charakteristische Heiligkeitsmodelle herauszuarbeiten. Hohe Anzahl, Globalität und eine in Bezug auf die Lebensläufe grosse Vielfalt an Typen scheinen die einzigen Merkmale heutiger Kanonisationspolitik zu sein.
Eine Annäherung an die aufgeworfenen Fragen soll deshalb nicht mittels einer Kollektivbiographie, sondern an einem Einzelfall erfolgen, nämlich am Beispiel des Luzerners Niklaus Wolf von Rippertschwand. "Vater Wolf" hatte in der Umbruchszeit um 1800 zunächst als Bauer und Politiker gewirkt, bevor er sich nach seinem Rückzug aus der Politik einen so grossen – wenngleich nicht unumstrittenen – Ruf als charismatischer Heiler und "Wunderdoktor" erwarb, dass bei seinem Tod (1832) kein Zweifel über seine fama sanctitatis bestand. Gläubige pilgerten in der Hoffnung auf Heilung von Krankheiten oder anderen Beschwerden zu seinem Grab in Neuenkirch, während seine ehemaligen Weggefährten die Grundlage dafür legten, dass der Ruf der Heiligkeit über die Generation seiner Mitlebenden hinaushallte. Bereits wenige Wochen nach Wolfs Tod veröffentlichte sein Freund Dekan Joseph Rudolf Ackermann (1795–1846) eine erste Biographie, in der er Wolfs Heilpraktiken rechtfertigte und das Bild eines potenziellen Heiligen zeichnete.5
Hagiographien sind trotz der neuen Medien ein Hauptmittel der Kultpropaganda geblieben, sowohl für die Stärkung der "Heimatfront" als auch mit Blick nach Rom. Ackermanns Werk erfuhr zahlreiche Neuauflagen und Neudrucke, und auch an neueren hagiographischen und spirituellen Publikationen, die im Wesentlichen auf Ackermanns Aufzeichnungen basieren, besteht kein Mangel – ganz im Gegensatz zu wissenschaftlichen Abhandlungen zu Wolfs Leben und Wirken.6 Nicht wenige im katholischen Milieu bekannte Schriftsteller – etwa Ida Lüthold-Minder (1902–1986), Verfasserin von mehr als dreissig christlichen Büchern, oder der für seine meditative Ratgeberliteratur bekannte Kapuziner Anselm Keel (1919–2008)7 – haben den Vater-Wolf- Stoff verarbeitet. Mehr als über Wolf sagen diese Bücher etwas über die Verfasser und die Zeit ihrer Publikation aus. So haben die Autoren ungeachtet der Tatsache, dass die (biographischen) Wege in den Heiligenhimmel heutzutage vielfältig sind, versucht, die Wolfs Biographie und Spiritualität inhärente Botschaft stets zu aktualisieren, ihn auf dem Selig- und Heiligsprechungsmarkt als für die heutige Zeit wichtigen Vorzeigekatholiken zu positionieren und so zu einem Seligen oder Heiligen des 21. Jahrhunderts zu stilisieren.
Wolf sei, schreibt zum Beispiel Max Thurian, eine "exemplarische Gestalt eines Laien", "der sich beruflich, sozial und politisch verantwortungsbewusst engagiert und zugleich für das Reich Gottes" eingesetzt habe.8 Solche Laienseelsorger, als deren zukünftiger Patron Wolf vorgeschlagen wird, seien, so die Meinung der Hagiographen, gerade in der heutigen Kirche dringend notwendig. Den Rahmen für das Verfassen von Hagiographien, wie generell für die Verehrung eines potenziellen Seligen in seiner Heimat, bilden noch immer die Dekrete Urbans VIII. aus dem frühen 17. Jahrhundert. Genauso alt wie diese Dekrete sind allerdings die Strategien, um die Möglichkeiten einer Verehrung eines Nicht-Beatifizierten auszureizen. So wird auf eine Titulierung als "Heilig" und die Beschreibung von "Wundern" oftmals nicht verzichtet, aber im Vorwort auf den nicht-kanonischen Gebrauch dieser Begriffe hingewiesen. Eine eigene Kirche oder Kapelle darf Vater Wolf zwar nicht geweiht werden, seit 1952 befinden sich seine sterblichen Überreste allerdings in der damals neu gebauten Unterkirche der Pfarrkirche in Neuenkirch, deren Bezeichnung als "Wallfahrtskapelle" Vater Wolf als inoffiziellen Kapellpatron ausweist. Statt eines Heiligenfestes findet bereits seit 1841 alljährlich im September ein sogenanntes "Glaubensfest" zu Wolfs Ehren statt, das zu seinen besten Zeiten mehrere tausend Pilger nach Neuenkirch gelockt hat. Und obwohl Vater Wolf nicht offiziell als Fürbitter anerkannt ist, führen Gläubige ihre Gebetserhörungen, die von der Vater-Wolf-Stiftung dokumentiert, gesammelt und in einer regelmässig erscheinenden Zeitschrift publiziert werden, auf seine Fürbitte zurück.
Von Luzern nach Rom: Heiligsprechung und "Diplomatie"
Die Stärkung der "Heimatfront" und die finanzielle und ideelle Unterstützung durch die Gläubigen sind jedoch nur eine Seite erfolgreicher Kultpropaganda. Gekrönt werden Selige und Heilige noch immer in Rom. Gerade das Beispiel Vater Wolfs zeigt, wie langwierig diese Verhandlungen trotz der offensichtlichen Verankerung der Verehrung sein können, wenn es sich nicht um einen weltweit bekannten und vom Papst persönlich geförderten Kandidaten wie Johannes Paul II. handelt. Erste Überlegungen für die Einleitung eines Seligsprechungsverfahrens für Vater Wolf wurden in den 1930er-Jahren formuliert, allerdings erst 1955 auf Initiative des Katholischen Volksvereins des Kantons Luzern in die Tat umgesetzt. Mit dem vom Bischof von Basel geleiteten Prozess über den Ruf der Heiligkeit, die Tugenden und Wunder wurde das Verfahren formell eröffnet. Nach langwierigen Recherchen in den Archiven und Bibliotheken sowie weiteren Einvernahmen von "Zeugen" wurde in den 1990er-Jahren die "Positio" – eine gut 1000 Druckseiten umfassende Quellensammlung und Darstellung des Lebens und Wirkens von Niklaus Wolf – fertiggestellt und in Rom von einer Kommission von Kirchenhistorikern geprüft.9 Auch eine Gebetserhörung, der Chancen auf Anerkennung als Wunder attestiert werden – die Genesung einer blinden Ordensschwester nach einem Gottesdienst in Neuenkirch im Oktober 2006 –, wurde inzwischen zur Prüfung nach Rom geschickt. Während die Approbation dieser Heilung als Wunder noch aussteht, hat Vater Wolf die Tugendprüfung durch die theologische Kommission jüngst bestanden, sodass von verschiedenen Seiten die Hoffnung aufkeimt, dass Vater Wolf alsbald, also gut 60 Jahre nach Einleitung des Verfahrens und knapp 200 Jahre nach seinem Tod, seliggesprochen wird.10
Die lange Dauer eines Verfahrens wird von der Kurie bereits seit dem 17. Jahrhundert damit begründet, dass alle Kandidaten genau durchleuchtet und die Dauerhaftigkeit der fama sanctitatis geprüft werden – Faktoren, die allerdings weder in der frühen Neuzeit noch heute die Präferenz für gewisse Fälle und das Aufschieben anderer erklären. Wie bereits angedeutet, bedurfte der erfolgreiche Abschluss eines Verfahrens in der Frühen Neuzeit mitunter geographischer, ideeller oder personeller Nähe der Bittsteller zum jeweiligen Papst, was zu einem "Überschuss" italienischer Heiliger geführt hat. Heutzutage hingegen scheint der Faktor Herkunft eher in umgekehrter Hinsicht relevant: Länder mit keinen oder wenigen Heiligen rechnen sich bessere Chancen für ihre Kandidaten aus. Kanonisationen wie diejenige des indischen Priesters Joseph Vaz (1651–1711) im Januar 2015 deuten an, dass der Papst eine Heiligsprechung nicht mehr in erster Linie als spezielle Gunstbezeugung gegenüber den Bittstellern sieht, sondern als Mittel einsetzt, um den Einfluss der Kirche in aus römischer Sicht peripheren Weltgegenden zu stärken. Auch die Förderer Vater Wolfs sehen ihren Kandidaten diesbezüglich in einer guten Ausgangslage: Sie beklagen den Mangel an offiziell Kanonisierten in der Schweiz, um die Dringlichkeit des päpstlichen Richtspruchs in der Causa Wolf zu untermauern.
Dennoch zeigt gerade der Fall Wolf, wie sehr der Erfolg eines Verfahrens noch immer von interpersonalen Beziehungen abhängig ist. Die Prozesse sind geprägt von den Animositäten der beteiligten Akteure, wie die Hinweise in der Dokumentation Max Syfrigs, des ehemaligen Pfarrers von Neuenkirch und Vize-Postulators im Seligsprechungsprozess, verdeutlichen. Er erklärt die Verzögerungen im Verfahren mit der schwierigen Zusammenarbeit mit den Akteuren in Rom. Verschiedene mit der Angelegenheit betraute Sekretäre und Archivare kommen in seiner Darstellung ebenso schlecht weg wie der zuständige Historiker, der Syfrig mit immer neuen historischen Fragen konfrontiert, seine Arbeit schikaniert und letztlich jegliche Zusammenarbeit mit ihm verweigert habe.11 Wohl unbewusst deutet Syfrig damit einige der zahlreichen, bereits im 17. Und 18. Jahrhundert zu beobachtenden Möglichkeiten an, über die Entscheidungsträger in Rom verfügen, um ein Verfahren zu verzögern, es auf die lange Bank zu schieben und den Abschluss damit fast endlos in die Länge zu ziehen.
Hat Luzern bald einen neuen Seligen?
In Luzern liess und lässt man sich von solchen Schwierigkeiten nicht entmutigen. "Hoffnung auf Seligsprechung wächst", titelte die Neue Luzerner Zeitung am 3. September 1996 und verwies darauf, dass der Seligsprechungsprozess nun in die entscheidende Phase gehe; "Luzerner vor Seligsprechung", lautete vor einem Jahr die Schlagzeile in derselben Zeitung (6. November 2014); auf einen definitiven Entscheid "in zwei oder drei Jahren" hofft der Präsident der Niklaus-Wolf-Stiftung nach der nunmehr bestandenen Tugendprüfung.12 Auffallend ist nicht nur, dass knapp zwanzig Jahre zwischen diesen Schlagzeilen liegen, sondern auch der durchwegs positive und hoffnungsvolle Diskurs, der diese Zeitungsartikel durchzieht. Dies verweist auf einen grundlegenden Aspekt der Selig- und Heiligsprechungspraxis. Gerade die zahlreichen in der Frühen Neuzeit initiierten, aber erst im 20. Jahrhundert abgeschlossenen Verfahren – darunter nicht zuletzt die Ende des 16. Jahrhunderts eingeleitete, aber erst 1947 abgeschlossene Kanonisation von Bruder Klaus – zeigen, dass die Kurie Prozesse zwar immer wieder verzögert und das Vorankommen des Verfahrens sowie der päpstliche Entscheid auch auf informellen Faktoren beruhen, das effektive Scheitern eines Prozesses im Sinne eines Negativentscheids gegen einen Kandidaten allerdings wenig wahrscheinlich ist. Denn mit der Initiierung eines Verfahrens, dem eine Verankerung der Verehrung im lokalen Kontext vorausgeht, hat eine Heiligsprechung "von unten" längst stattgefunden. Diese Verehrung muss, wenn die Kurie ihr Monopol auf die Verehrung von Seligen und Heiligen nicht einbüssen will, entweder nach einem Negativentscheid unterdrückt oder – meistens eher später als früher – durch eine Seligsprechung gebilligt werden. Da Ersteres auch und ganz besonders im 21. Jahrhundert nicht im Sinne der katholischen Kirche ist, ist der Verfasser dieser Zeilen versucht zu sagen, dass die Seligsprechung Vater Wolfs – sei es in naher oder in ferner Zukunft – beinahe so sicher ist wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche.