SKZ: Der Leitsatz 5 spricht von einer ökumenisch ausgerichteten Glaubensbildung. Warum ist diese «besser» als konfessionelle Katechese?
Nicola Ottiger: Zunächst etwas Grundsätzliches: Religionspädagogik unterscheidet zwischen «Religionsunterricht» als religiöser Bildung, die typischerweise an der Schule stattfindet und deshalb nicht die kirchliche Sozialisation verfolgt, und «Katechese» als Glaubensbildung im Rahmen einer pfarreilichen Praxis. Das Leitbild nennt es «in die Glaubensgemeinschaft hineinwachsen». Die Leitsätze des Leitbildes beziehen sich auf den Bereich der Katechese. Der Leitsatz 5 spricht im Hinblick auf ökumenische Angebote klar von situationsbezogenen Angeboten. Gerade die Sakramentenkatechese (Erstkommunion, Firmung) sowie weitere Vollzüge, die Beheimatung im Glauben ermöglichen, sind konfessionell. Es geht also nicht um ein Entweder-oder.
Warum sollte eine ökumenische Glaubensbildung selbstverständlich sein?
Eine ökumenisch ausgerichtete Glaubensbildung stützt sich auf das Zweite Vatikanische Konzil, welches Ökumene als biblisch begründete Aufgabe (vgl. Joh 17,21–23) und als Erfordernis der Zeit sieht. Die Trennungen unter den Christen ist Christus gegenüber ein Skandal. Es gilt, eine neue Einheit zu finden. Auch sollten wir vermehrt mit einer Stimme sprechen, wenn es um die Verkündigung des Reiches Gottes geht. Ökumenisch denken und zusammenarbeiten heisst, sich gegenseitig als Geschwister anzuerkennen und gemeinsam Verantwortung für den Glauben wahrzunehmen. Dazu haben sich die christlichen Kirchen Europas 2001 in der «Charta Oecumenica»1 verpflichtet. Deshalb genügt es nicht, zu sagen: «Wir haben einen Modus gefunden, wie wir gut nebeneinander leben können, ohne dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen.» Wir sind Geschwister, nicht Nachbarn. Und die Nähe ist unübersehbar: Tatsächlich könnten die Ziele, die das «Leitbild Katechese» formuliert, auch aus reformierter Feder stammen. Ich bin der Überzeugung, dass man nicht katholisch sein kann, ohne ökumenisch zu denken.
Voraussetzungen für einen subjektbezogenen Lernprozess sind Wissen und eigene Erfahrung. Viele Kinder sind religiös nicht mehr sozialisiert, bringen also keine Erfahrungen mehr mit. Wäre hier konfessioneller Religionsunterricht resp. Katechese nicht sinnvoller?
Die Deutschschweiz ist konfessionell stark gemischt. So gibt es in vielen Familien einen Elternteil, der nicht katholisch ist. Oft macht dies im Empfinden der Familien jedoch keinen Unterschied. Religionslehrpersonen stellen heute fest, dass viele Kinder sich ihrer Konfessionszugehörigkeit nicht bewusst sind – das gilt aber ebenso für konfessionell homogene Familien. Verschiedenheit wird dann wahrgenommen, wenn Kinder zur Vorbereitung auf die Erstkommunion eingeladen werden, ihre Schulfreunde dagegen zum Abendmahl; dasselbe nochmals bei Firmung und Konfirmation. Ökumenische Modelle des Lernens wollen nicht Unterschiede verwischen. Die eigene Glaubensidentität bleibt wichtig. Es ist aber ein wichtiges Zeichen, wenn Christen miteinander und voneinander lernen, auf der breiten Basis der Gemeinsamkeiten wie auch einiger Unterschiede. Schliesslich muss man auch sagen: Die Zahl derer, die sich noch interessieren und mitmachen – im Religionsunterricht wie in der Katechese – geht zurück. Wenn es gelingt, Verständnis für den christlichen Glauben zu ermöglichen, ist viel erreicht; wenn ein existenzieller Zugang zu Jesus Christus und seiner Nachfolgegemeinschaft ermöglicht werden kann, noch mehr.
Wie kann in einer ökumenisch ausgerichteten Glaubensbildung eine Beheimatung im eigenen Glauben und in der eigenen Kirche stattfinden?
Wichtig ist der Blick gewissermassen «nach beiden Seiten». Meine Mutter ist im Kanton Obwalden der 1940er-Jahre aufgewachsen und kann sich gut an die tief empfundene Sorge gegenüber der reformierten Klassenkameradin erinnern, dass diese wohl nicht «in den Himmel komme». Die Zeiten, in denen unsere Kirche solches verkündet hat, sind Gott sei Dank vorbei! Ökumenische Offenheit ist ein Gebot der Stunde. Es ist kein leeres Wort, wenn wir sagen: «Was uns verbindet, ist viel mehr, als was uns trennt.» Zwischen den Kirchen gibt es leider nach wie vor trennende ekklesiologische Differenzen, aber das Wichtigste ist der gemeinsame Glaube an den dreifaltigen Gott und die Verkündigung des Evangeliums. Hier kann man voneinander lernen und dabei den Glauben vertiefen: über die Bedeutung des Wortes Gottes, die sakramentale Dimension des Glaubens, die Gottesfreundschaft der Heiligen, das allgemeine Priestertum der Getauften. In einer ökumenisch ausgerichteten Katechese werden deshalb nicht nur gegenseitig Kirchenräume besucht, sondern es wird auch gemeinsam gebetet. Ökumenisch ausgerichtete Glaubensbildung und Beheimatung im eigenen Glauben darf – solange wir keine vollständige kirchliche Einheit haben – kein Widerspruch sein.
Ist es nicht ein bisschen naiv, im Religionsunterricht und in der Katechese das Gemeinsame zu betonen, wenn die Kinder und Jugendlichen in den Familien oft gerade das Trennende erleben (z. B. der Vater darf nicht mit der Familie zur Kommunion, weil er reformiert ist)?
Wie schon gesagt, scheint meist eher das Gegenteil der Fall zu sein. Konfessionelles Denken wird heute von vielen als künstlich, als nicht mehr zeitgemäss empfunden: Wenn sich alle auf Jesus beziehen, warum sind sie dann untereinander gespalten? Konfessionsverbindende Paare, die ihr Kind taufen lassen möchten, fragen beispielsweise, warum es keine «ökumenische» Taufe gebe. Manche Kirchenverantwortliche, hüben wie drüben, empfinden diese Unkenntnis oder Indifferenz als gefährlich. Man ist geneigt, Massnahmen zur «Rekonfessionalisierung» zu ergreifen, die der Festigung der eigenen konfessionellen Identität dienen sollen. Dazu ist zu sagen, dass der Aufbau einer Glaubensidentität wichtig ist, dass aber zu dieser Identität auch gehört, mit Vielfalt umgehen zu können. So sieht es auch der neue Lehrplan der Katholischen Kirche der Deutschschweiz (LeRUKa)2 für den konfessionellen Religionsunterricht und die Katechese. Oft rutscht die Ökumene auf der Prioritätenliste leider nach unten, weil es schwierig ist, teilweise hoch theologische Unterschiede zu plausibilisieren: Wie erklären, dass wir uns so ähnlich sind, und trotzdem in verschiedene Kirchen gehen? Es gibt Unterschiede zwischen den Konfessionen und auf diese dürfen wir auch hinweisen. Wichtig scheint mir, dass wir uns auf dem Weg zu einer zu findenden Einheit nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.
Wo genau liegen Chancen und Herausforderungen einer «ökumenisch ausgerichteten Glaubensbildung»?
Ökumenische Zusammenarbeit in Religionsunterricht und Katechese ist ebenso segensreich wie herausfordernd. Wir dürfen aber nicht alles vermischen und nivellieren. Es darf auch nicht nur darum gehen, die stetig schwindenden Ressourcen organisatorisch aufzufangen. Das ist zwar sinnvoll, aber als Motivation nicht ausreichend. Vielmehr tun sich Chancen auf durch das gemeinsame Lernen, Chancen für ein authentisches Christsein in einer pluralen Gesellschaft. Damit sind aber vielfältige Fragen und Anforderungen verbunden.
Was bedeutet das für die katechetische Ausbildung?
Ob katechetische Ausbildungen über ForModula bzw. OekModula oder ModulAar oder am Religionspädagogischen Institut Luzern (RPI): Die fachliche Auseinandersetzung mit ökumenischen Fragen – systematisch wie religionspädagogisch – ist zu Recht eine Selbstverständlichkeit. Doch die ökumenische «Grosswetterlage» wirkt in der Praxis oft lähmend: Was können wir denn tun, wenn sich die Kirchen nicht bewegen? Verständnis zu wecken für Ökumene und ökumenische Prozesse ist mühsam. Gleichzeitig scheinen andere Themen wichtiger, in der heutigen Zeit gerade das interreligiöse Lernen mit seinen ungleich grösseren Herausforderungen. Dennoch gibt es mit Rücksicht auf das Christuswort, welches zur – vom Geist gewirkten, vielfältigen – Einheit als Christen aufruft, keine Alternative. Das Leitbild Katechese hilft der professionellen Orientierung: Bin ich selbst bereit, aus dem Glaubenszeugnis anderer Christen zu lernen? Mit ihnen für die Einheit zu beten? Wie ernst ist es mir mit der Ökumene und wie engagiere ich mich dafür?
Interview: Rosmarie Schärer