SKZ: Was unterscheidet eine Personalpfarrei von einer Ortspfarrei?
P. Martin Ramm: Die Ortspfarrei ist territorial, durch ein Dorf oder einen Stadtteil, bestimmt. Durch die Anmeldung bei der Einwohnerkontrolle wird man automatisch dieser Ortspfarrei zugeordnet. Im Kirchenrecht ist neben der territorialen Pfarrei auch die Möglichkeit einer Personalpfarrei vorgesehen, die aufgrund eines Ritus, einer Sprache oder einer Nationalität bestimmt wird. Anderssprachige Missionen oder die Militärseelsorge sind klassische Fälle von Personalpfarreien. Freilich ist letztlich auch die Personalpfarrei territorial begrenzt, doch erstreckt sie sich auf ein viel grösseres Gebiet, beispielsweise auf einen ganzen Kanton oder sogar auf mehrere Kantone.
Warum bleibt man bei der Anmeldung in einer Personalpfarrei weiterhin der Ortspfarrei zugehörig?
Das territoriale System ist für die kirchliche Ordnung grundlegend. Damit verbunden sind auch die Kirchensteuern. Unsere Personalpfarrei steht ausserhalb des dualen Systems, denn wir leben von den Spenden der Gläubigen. So bezahlen im Normalfall die Gläubigen in ihren Ortspfarreien Kirchensteuern und tragen zusätzlich durch Kollekten und Spenden dazu bei, dass wir als Pfarrei existieren können.
Besteht so nicht eine Konkurrenz zwischen der Personalpfarrei und der Ortspfarrei der Gläubigen?
In der Wirtschaft wird der Begriff Konkurrenz durchaus positiv betrachtet: Konkurrenz belebt das Geschäft und garantiert Vielfalt. Es gab Zeiten, da konnte man nur beim eigenen Pfarrer gültig beichten. Heute aber ist niemand mehr verpflichtet, sich auf die eigene Ortspfarrei zu beschränken. Manche finden ihre geistliche Heimat in Klöstern, bei Gemeinschaften oder an Wallfahrtsorten. So hat beispielsweise auch das Kloster Einsiedeln einen grossen Zustrom von Gläubigen. Die Möglichkeit zu freier geistlicher Beheimatung ist aus spiritueller Sicht äusserst wertvoll. Gleichzeitig bemühen wir uns aber um ein gutes Verhältnis zu den Ortspfarreien und sind im Dekanat präsent. Landläufig wird der von uns gepflegte ausserordentliche Ritus als «alter Ritus» bezeichnet. Damit verbunden ist gelegentlich das Vorurteil, er interessiere nur «alte Leute». Wir machen aber die freudige Erfahrung, dass nicht wenige junge Menschen und Familien sich davon angezogen fühlen und dass der Altersdurchschnitt bei uns aussergewöhnlich niedrig ist. Sollte es nicht für andere Seelsorgende spannend sein, genau hinzuschauen, was junge Menschen bei uns suchen? Ich bin überzeugt, dass der gegenseitige Austausch auch manchen Ortspfarrer inspirieren würde.
Wo werden Taufen, Firmungen, Eheschliessungen usw. eingetragen?
Unsere Pfarrei hat alle vier Pfarrbücher. Wir sind eine Personalpfarrei für den ganzen Kanton Zürich, haben aber keine eigene Kirche, sondern sind seit vielen Jahren zu Gast in der Kirche Herz Jesu in Oerlikon. Für die Eintragung kommt es darauf an, wo ein Sakrament gespendet wird und woher die entsprechende Person kommt. Taufen, die hier in unserer Hauskapelle gespendet werden, tragen wir bei uns ein, der Zweiteintrag geschieht in der Wohnpfarrei. Wünscht jemand von ausserhalb des Bistums Chur die Erwachsenentaufe, stelle ich einen Antrag an den Generalvikar des entsprechenden Bistums und werde dann zur Taufe bevollmächtigt. Kindertaufen sind einfacher, da die Eltern den Ort der Taufe ihres Kindes frei wählen. Taufen, die in Herz Jesu Oerlikon gespendet werden, trage ich in unser Taufbuch ein. Zugleich informiere ich die Pfarrei in Oerlikon und veranlasse einen Zweiteintrag in der Wohnpfarrei. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Sakramenten.
Warum wurden die Personalpfarreien für die ausserordentliche Form des Ritus errichtet?
In den vergangenen Jahrzehnten sassen Katholikinnen und Katholiken, die in der traditionellen Liturgie beheimatet waren, gelegentlich ein wenig zwischen den Stühlen. Umso dankbarer sind wir Papst Benedikt XVI., dass er in seinem Motu Proprio «Summorum Pontificum» aus dem Jahr 2007 klarstellt, dass dieser Ritus nie abgeschafft war und dass der Wunsch, auf diese Art katholisch zu sein, ganz und gar legitim und berechtigt ist. Bischof Vitus Huonder wollte mit der Errichtung der Personalpfarrei 2012 ein Signal geben, dass er den Wunsch der Gläubigen nach der ausserordentlichen Form anerkennt und sie zugleich ermutigt, in der Einheit der Kirche als Teil des Bistums Chur ihren Glauben zu leben. Hinzu kommt ein praktisches Motiv: Wir sind nicht einfach nur Dienstleister, die Messen zelebrieren. Es geht auch um die ganz konkrete Seelsorge, denn auch diese muss geordnet geschehen. Beispielsweise ist nach Kirchenrecht der Pfarrer ordentlicher Spender der Krankensalbung (can 1003) und jeder ortsfremde Priester muss zur erlaubten Spendung zumindest dessen Einverständnis präsumieren. Als Personalpfarrer habe ich das Recht und die Pflicht, meinen Gläubigen dieses Sakrament zu spenden und sie auch zu beerdigen. Das gibt den Gläubigen eine gewisse Sicherheit, dass ihre Wünsche tatsächlich respektiert werden.
Ist Ihrer Meinung nach die ausserordentliche Form des römischen Ritus theologisch dichter?
Das ist eine schwierige Frage. Auf jeden Fall kann ich Zeugnis geben, wie ich es empfinde. Eine grosse Stärke der «alten Liturgie» sehe ich beispielsweise in ihrer Objektivität. Diese wird auch dadurch sichtbar, dass man in der heiligen Messe nicht den Priester ansieht, sondern gemeinsam mit dem Priester in eine Richtung schaut. Bedauerlicherweise entstand aus einer oberflächlichen Betrachtung das Vorurteil, wir würden dem Volk den Rücken zeigen. Ein wenig gegen den Trend bin ich der Meinung, dass die Person des Priesters am sogenannten Volksaltar sehr viel mehr im Zentrum steht als bei uns. Wollen Sie es mir verübeln, wenn ich das als zu «priesterzentriert» empfinde? Jedenfalls geht es nicht darum, den Priester anzuschauen, sondern sich gemeinsam mit dem Priester auf Christus hin auszurichten und sein Opfer mitzuvollziehen.
Stellt die lateinische Sprache kein Problem dar?
Mit der lateinischen Sprache kann man vertraut werden. In einer Stadt wie Zürich mit ihrer Vielfalt von Nationalitäten hat das Latein sogar eine spürbar integrierende Kraft. Wenn man zentrale Gebete wie das Gloria oder das Credo in der Sprache der Kirche vollzieht, tritt die eigene Nationalität in den Hintergrund. Freilich sind die Lesungen und auch die Predigt, wie in «Sacrosanctum Concilium» gewünscht, auf Deutsch. Dabei hoffen wir, dass manch fremdsprachiger Mitchrist so neugierig ist zu erfahren, was gepredigt wird, dass ihn das motiviert, auch Deutsch zu lernen. Was aber die Kinder angeht: Wir machen die Erfahrung, dass kleine Kinder in dieser Form der Messe tendenziell ruhiger sind. Selbst in Familienlager mit 60 Kindern herrscht beim Gottesdienst gewöhnlich eine ruhige und andachtsvolle Atmosphäre. Auch beobachten wir das Phänomen, dass Kinder in diesem Kontext eine starke Neigung haben, die «Messe» zu spielen. Die markanten rituellen Vollzüge scheinen Kinder zur Nachahmung zu motivieren, um sich auf kindgemäss-spielerische Weise dem heiligen Geschehen zu nahen.
Sie haben eine Anzahl von Kinder- und Jugendgruppen …
Diese sind über die Jahrzehnte gewachsen. So finden die Familienlager bereits seit zwanzig Jahren statt. Wir haben Freizeitangebote, Wochenenden und Lager für Kinder und Jugendliche, Skifahren für Väter und Söhne und vieles mehr. Im Glauben sollen das Natürliche und das Geistliche aufeinander bezogen sein. Man treibt Sport, kocht und spielt zusammen und erfährt zugleich das Religiöse als dazugehörig. Wir hoffen, dass positive Erfahrungen im religiösen Kontext dazu führen, dass unsere Kinder und Jugendlichen sich selbst frei dazu entscheiden, den Glauben zu leben und christliche Familien zu gründen, aus denen dann auch geistliche Berufungen hervorgehen mögen.
Interview: Rosmarie Schärer