In meiner Zeit am Gymnasium war ich bekannt als «der Katholik» und damit Zielobjekt für allerlei Fragen und Unverständnisse. So übte ich mich schon früh in der Apologetik, wenn auch oft unfreiwillig. Die Religionskritik ist mindestens so alt wie die Religion selbst. Unter den Patriarchen finden sich bereits die ersten christlichen Apologeten. Nichtsdestotrotz unterstellen pseudowissenschaftliche Pamphlete der Kirche ununterbrochen, sie hätte alle Kritik auf dem Scheiterhaufen in Rauch aufgehen lassen. Jeder ernstzunehmende Historiker hingegen wird bestätigen, dass kaum ein anderer Diskurs an Alter und Qualität herankommt wie jener über die Lehre und Bedeutung des Christentums. Man kann lange nach einer Institution suchen, die sich seit zweitausend Jahren (mehr oder weniger geduldig) mit allen möglichen Einwänden und Kritiken auseinandersetzt. Der «fides quaerens intellectum», wie es schon Anselm von Canterbury formulierte, ist ein Glaube, der sich nicht beweisen will, aber sehr wohl seine Vernünftigkeit beansprucht. Gerade weil man sich von Kritik korrigieren liess und darauf reagierte, konnte man über die Zeit bestehen. Blosse Pöbler, wie einige Vertreter des neuen Atheismus (Wissenschaft=gut, Religion=böse), deren beschränktes Weltbild seinesgleichen weit vor dem Mittelalter suchen kann, darf man angesichts dieses zweitausendjährigen Werdegangs auch getrost einmal unbeachtet lassen. Jegliche Kritik, ob nun berechtigt oder nicht, zeigt auf jeden Fall, dass man noch ein gewisses Mass an Systemrelevanz besitzt. Was nicht mehr interessiert, wird auch nicht kritisiert. Doch so schön es ist, als Apologet die beste Botschaft der Welt zu verteidigen, sollten wir nie vergessen, nicht weniger Apostel zu sein. Oft vermisse ich eine Kirche, die diese Botschaft in die Gesellschaft einbringt. Sie bestünde aus weit mehr als bloss ein paar trendigen Zitaten aus der Enzyklika Laudato si, die gerade gut in den politischen Kontext passen. Wenn ich an meine Verteidigungsreden im Gymnasium zurückdenke, wünsche ich mir heute, ich hätte öfters zurückgefragt.
Johannes Tschudi