Berufung oder Werbung für kirchliche Berufe?

Am 22. April feiert die Kirche den Weltgebetstag für geistliche Berufe. In vielen Pfarreien wird regelmässig für Berufungen gebetet. Doch sind junge Menschen noch an kirchlichen Berufen interessiert?

In einer Rückmeldung, die wir zum Projekt chance-kirchenberufe.ch erhalten haben, heisst es: «Aber ich wundere mich doch ein bisschen, dass da niemals von Jesus Christus die Rede Ist. Die wichtigste Motivation für einen kirchlichen Beruf ist doch, dass man dem Anruf Jesu Christi folgen will.»

Von der guten Tat zur Christusbeziehung

Die Frage ist: Ist das so? Dazu eine Geschichte: Ein gut situierter und gut ausgebildeter Mensch, der allerdings kein Christ ist, kommt an einem frierenden Obdachlosen vorbei. Er hat Mitleid und stellt ihm seine eigene Kleidung zur Verfügung. Danach geht er weiter seines Weges. In der Nacht träumt er, dass ihm Christus begegnet.

Richtig, das ist die Geschichte des heiligen Martin. Seine Berufung begann im offenen Blick für die Nöte der Welt, die Christusbeziehung wurde ihm durch Christus selbst als Antwort auf seine Tat geschenkt. Sie war nicht der Ausgang, sondern das Ergebnis seines Tuns.

Heute erlebe ich in der Berufungspastoral, dass Menschen etwas für die Welt tun wollen, etwas bewegen wollen. Nicht immer sind sie bereits in der Kirche zu Hause. Und ich bin davon überzeugt, dass es diese Menschen sind, die Christus in seine Nachfolge ruft und denen er sich selbst im Handeln schenkt.

Gelebte Berufung ausserhalb der Kirche?

Das führt zu der Frage, ob wir die Berufung, die Welt im Namen der Liebe und der Barmherzigkeit zu gestalten, heute noch in der Kirche leben können. Es kommt nicht selten vor, dass gerade religiös geprägte Jugendliche die Frage, ob sie nicht Seelsorger werden wollten, verneinen mit der Begründung, dass sie dort zu wenig die Chance hätten, ihrem Anruf zu folgen. So sehr diese Jugendlichen von kirchlichen Amtsträgern umworben werden, so oft wird dieses Statement überhört. Ich vernehme die gleiche Aussage von Frauen, die in die Berufsberatung kommen.

Wir sind für unsere Berufung verantwortlich und müssen den Ort finden, an dem wir diesen inneren Ruf leben können. Die Kirche ist offensichtlich heute nicht immer ein solcher Ort. So ist für mich in der Berufungsbegleitung erkennbar, dass die Zahl der Berufungen keineswegs abnimmt, sondern vielmehr die Zahl derer, die zur Überzeugung kommen, ihre von Gott geschenkte Berufung im kirchlichen Dienst leben zu können.

Etwas bewegen

Zur Vorbereitung auf den diesjährigen Weltgebetstag für kirchliche Berufe wurden Seelsorgende in der gesamten Deutschschweiz gefragt, welche Adjektive sie besonders mit ihrem Beruf verbinden. Mehrfach wurde geantwortet, dass es nicht um Adjektive, sondern um Verben ginge. Es geht also um das Tun, nicht um eine Beschreibung des Seins. So kam dann auch in der weiteren Nennung ein Wort immer wieder, das nun über dem diesjährigen Weltgebetstag steht: bewegen.

Hören wir noch auf die Antworten zur zweiten Frage, was Seelsorge sei. Da hiess es: Seelsorge ist für mich ... zuhören und verstehen wollen, begleiten und ermächtigen, gemeinsam auf dem Weg zu sein, leben mit Menschen in verschiedenen Situationen, den Menschen nahe sein, Sorge für den einzelnen Menschen.

Doch zum Schluss noch die Frage nach der rechten Christusbeziehung: Wer ist Christus für mich? Auf diese Frage antwortete Mutter Teresa auf dem ersten Weltjugendtag der Geschichte: Der Ungewollte, den wir annehmen, der Bettler, dem wir ein Lächeln schenken, der Betrunkene, dem wir zuhören, der Behinderte, den wir schützen, das kleine Kind, das wir umarmen, die Prostituierte, deren Freund wir sein sollen.
Es wäre wundervoll, wenn die wichtigste Motivation für einen kirchlichen Beruf ist, dass man so Christus nahe sein will.

Thomas Leist


Thomas Leist

Thomas Leist (Jg. 1967) ist Leiter der Fachstelle Information Kirchliche Berufe IKB und Projektleiter von «Chance Kirchenberufe». Mit seiner Frau ist er in solidum seit 24 Jahren pfarreibeauftragt, aktuell in Herrliberg ZH.