Bestimmen die Finanzen die Pastoral?

Die einen befürchten ein Zuviel und die anderen sorgen sich um ein Zuwenig an Einflussnahme der staatskirchenrechtlichen Körperschaften. Eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit ist gefragt.

Mit der Missbrauchskrise in der Kirche ist auch das Thema Macht in den Fokus gerückt. Verteilung der Macht und deren Ausübung sind zentrale Fragestellungen, die nicht länger ausser Acht gelassen werden können und dürfen, sondern denen sich die Kirchenverantwortlichen zu stellen haben: Wo wird die Grenze zwischen Seelsorge und Machtmissbrauch überschritten? Wie ist es in der Kirche möglich, Macht zu teilen, zu begrenzen und auch zu kontrollieren? Welche Strukturen und Mechanismen sind anfällig für Machtmissbrauch, für sexualisierte Gewalt, für spirituellen Missbrauch? Wie sind Ämter und Entscheidungsbefugnisse in der Kirche so auszugestalten, «dass Frauen einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben»?1 Gibt es dabei einen «eigenen weiblichen Stil»?2

Im (deutsch-)schweizerischen Kontext stösst man in der Auseinandersetzung mit diesen Fragen unweigerlich auf die Doppelstruktur von kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Zuständigkeiten. Diese Führungsstruktur sorgt in gewissen Bereichen des kirchlichen Lebens für geteilte Kompetenzen, die einsame Entscheide und autoritäre Machtworte verunmöglichen, weil es Zusammenspiel und einvernehmliche Entscheidungen braucht, damit z. B. ein mit Kosten verbundenes pastorales Vorhaben verwirklicht werden kann. Nicht selten werden Befürchtungen laut, die Pastoral werde durch jene bestimmt, die die Finanzmacht hätten. Neben diesen übertriebenen Befürchtungen gibt es auch übersteigerte Erwartungen, wonach die reichen und einflussreichen Landeskirchen es doch in der Hand hätten, die Dinge voranzubringen. Es wäre unredlich, in Abrede zu stellen, dass die staatskirchenrechtlichen Behörden nicht nur dank der finanziellen Zuständigkeit, sondern auch dank ihrer öffentlich-rechtlichen Anerkennung, dank Beziehungen zum Staat und Verankerung in der Gesellschaft massgeblichen Einfluss auf das kirchliche Leben nehmen können. Andererseits ist es ein Faktum, dass die staatskirchenrechtlichen Behörden wegweisenden Entwicklungen innerhalb der Kirche ohnmächtig gegenüberstehen. Einerseits, weil sie für Fragen der Pastoral nicht zuständig sind. Anderseits, weil die finanzielle Kontrolle es zwar grundsätzlich ermöglicht, Vorhaben zu blockieren oder zu verhindern, aber längst nicht im selben Ausmass, Entwicklungen zu inspirieren und voranzubringen. Lösungsorientierte Kooperation zwischen Seelsorgenden oder mutige, hoffnungsvolle Schritte der Bischofskonferenz hin zu einer Erneuerung der Kirche sind nicht für Geld zu haben. Ebenso wenig kann verlorene Glaubwürdigkeit mit Geld wieder erworben werden. Im Gegenteil. Die daraus resultierenden Kirchenaustritte schwächen die staatskirchenrechtlichen Körperschaften.

Es bringt nichts, «Geldmacht» und «Pastoralmacht» gegeneinanderzustellen oder pastorale Ohnmacht und die Machtlosigkeit staatskirchenrechtlicher Behörden gegeneinander aufzurechnen. Solche Haltungen ermöglichen weder Schritte der Kirchenerneuerung noch stärken sie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Konstruktiv und kreativ werden Erfahrungen mit Macht und Ohnmacht, wenn folgende drei Überzeugungen handlungsleitend werden: 1) Die Aufteilung von Kompetenzen und Zuständigkeiten eröffnet Chancen und reduziert das Risiko von Machtmissbrauch. 2) Wo Macht geteilt ist, erhält grundsätzlich jede Seite die Möglichkeit, Dinge zu verhindern. Das ist manchmal unumgänglich. Aber mit Verhinderungsmacht ist sorgsam und verantwortungsbewusst umzugehen. 3) Positive, in die Zukunft weisende Gestaltungsmacht entsteht im Zusammenspiel3 und setzt voraus, dass sowohl Macht als auch Ohnmacht wahrgenommen und nicht verschleiert werden – bei sich selbst wie beim Gegenüber.

Renata Asal-Steger

 

1 Querida Amazonia 103.

2 Ebd.

3 Vgl. dazu das Dokument und das Spiel der RKZ zum «Zusammenspiel im dualen System»: www.rkz.ch/zusammenspiel

 


Renata Asal-Steger

Renata Asal-Steger (Jg. 1960) studierte Klinische Heilpädagogik in Freiburg i. Ue. und schloss an der Universität Bern das Studium als Fürsprecherin ab. Sie wurde im November 2019 für die Amtsdauer 2020/21 zur Präsidentin der Römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) gewählt.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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