Bildung für eine Kirche im Wandel

Die Professionalisierung der Seelsorge verlangt von Hauptamtlichen ständige Weiterentwicklung. Zum Beispiel für die Arbeit mit Freiwilligen oder die Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen.

Auch für Seelsorgende setzt Professionalität eine stetige Weiterbildung voraus. (Bild: unsplash)

 

Professionelles Handeln ist für eine zukunftsgerichtete Gemeinde-, Pastoral- und Kirchenentwicklung unerlässlich. Dem Wandel von Religion, Kirche und Gesellschaft hat die Kompetenzentwicklung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern Rechnung zu tragen. Dabei müssen pastoral Tätige bei aller Professionalität auch an ihrer persönlich-pastoralen Authentizität arbeiten, denn sie ist Teil ihrer Professionskompetenz. Als deutschschweizerisches Kompetenzzentrum für theologische Bildung Erwachsener und berufsbezogene Weiterbildung kirchlicher Mitarbeitender versteht das Theologisch-pastorale Bildungsinstitut TBI Kirche als lernende Organisation, die sich durch das Lernen ihrer Mitglieder entwickelt.

Nützliche Helfer oder Mitgestalter?

Immer weniger Menschen lassen sich in funktionale Interessen und vordefinierte Aufgaben von Institutionen und Organisationen einbinden. Die Studie «Die neuen Freiwilligen» (2018) der Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) bietet eine aufschlussreiche Erklärung für die auch im kirchlichen Bereich wahrnehmbare Veränderung: Freiwilliges Engagement wird zeitlich wie örtlich zunehmend flexibler und befristet, gleichzeitig steigt der Anspruch auf Mitsprache und Selbstorganisation. Die «neuen» Freiwilligen sind partizipativer und potenzialorientierter, sie wollen mehr Eigen- bzw. Selbstwirksamkeit erfahren und auf Augenhöhe ihre projektbezogenen Einsätze mitgestalten.

Der «Freiwilligen-Monitor Schweiz 2020» bestätigt diesen nicht nur altruistisch, sondern auch von eigenen Interessen und Ansprüchen geprägten «neuen Typus von Solidarität». Freiwillig Engagierte wollen heute beides: «Etwas für sich selbst tun und für andere.» Spass an der Sache und Freude an der Tätigkeit stehen zuoberst auf der Liste der Motivation. An zweiter Stelle stehen soziale Aspekte von Freiwilligenarbeit: mit anderen Menschen zusammenkommen, etwas bewegen, anderen helfen. Drittens wollen sie sich selber weiterbringen, eigene Kenntnisse und Erfahrungen erweitern, sich persönlich weiterentwickeln und persönliche Netzwerke pflegen.

Wie können kirchliche Mitarbeitende mit Leitungsverantwortung diesen Kulturwandel professionell gestalten? Für sie hat das TBI eine Weiterbildung entwickelt, die auf ein neues Zusammenspiel von Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten zielt.1 Neben konkreten Freiwilligenmanagementtools fokussiert sie auf das Führungs- und Rollenverständnis kirchlicher Leitungspersonen, zu deren Aufgaben das Aufspüren, Koordinieren und Vernetzen von Begabungen gehört, inspiriert vom Ansatz einer entwicklungsorientierten Ermöglichungspastoral.

Ermöglichungspastoral

Im Anschluss an Ernst Leuninger und Joachim Eckart, die den vom Pädagogen Rolf Arnold stark gemachten Paradigmenwechsel von der Erzeugungs- zur Ermöglichungsdidaktik2 für die pastorale Arbeit fruchtbar machten, plädiert Dorothea Steinebach für eine Verknüpfung der Ermöglichungs- mit der Berufungspastoral3. Im Sinne des paulinischen Gemeindemodells vom «Leib Christi» setzt dies eine charismen-, kompetenz- und entwicklungsorientierte Aufmerksamkeit für Menschen auch ausserhalb der Kerngemeinden mit je eigenen Lebenslandkarten, Ressourcen und Talenten voraus. Um Menschen in ihrer Berufung und Sendung zu fördern, gilt es, bei ihrer Individualität und Originalität, ihren Potenzialen anzusetzen und partnerschaftlich-dialogisch mit ihren Möglichkeiten freitätigen Engagements zu entdecken, die zu ihren Interessen und Kompetenzen passen.

Ermöglichungspastoral fördert die Subjekthaftigkeit der Getauften, ihre Freiheit und Solidarität, Mitbestimmung und Selbststeuerung im Vertrauen, dass alle ein Charisma haben. Es kommt darauf an, dieses aufzuspüren und zu ermutigen, es in eigener Verantwortungsübernahme zum Einsatz zu bringen, Freiräume zur Gestaltung zu schaffen und zulassen zu können. Für eine solche Pastoral braucht es Hauptamtliche als Begleiterinnen und Begleiter, die es Menschen ermöglichen, ihr von Gott geschenktes Christsein zu entfalten und gemeinsam mit ihnen zu entdecken, was es heisst, Kirche in der Welt von heute zu sein als Partizipation an den Freuden und Hoffnungen, der Trauer und den Ängsten der Menschen – oder wie Papst Franziskus diese Geh-hinaus-Logik pointiert ausdrückt: Gott begegnet im Heute!

«Die professionelle Zusammenarbeit der hauptberuflich Verantwortlichen mit den freiwillig Engagierten, die sie weiterbilden, begleiten und unterstützen, stellt einen zunehmend wichtigen Einflussfaktor auf die Motivation und Bereitschaft zum Engagement in der Kirche sowie zur Qualität ehrenamtlicher Arbeit dar.» So lautet das Fazit eines am Zentrum für angewandte Pastoralforschung ZaP entstandenen Kompetenzmodells für Hauptamtliche, das unter den Professionskompetenzen die Entdeckung vorhandener Charismen, ihre spezifische Förderung und gezielte Nutzung sowie die Qualifizierung, Begleitung und Unterstützung freitätig engagierter Menschen in einer Kultur der Partizipation und Kooperation, Wertschätzung und Anerkennung herausstreicht.4

Ressourcen erschliessen

Der Aspekt Selbstmanagement ist Teil der persönlich-pastoralen Authentizität der Seelsorgenden. Zur Förderung des Selbstmanagements im Zirkel der Professionskompetenzen bietet das TBI seit einigen Jahren in Zusammenarbeit mit der Bildungsanbieterin «Ressourcenraum» in Zürich einen Grundkurs des Zürcher Ressourcen Modells® (ZRM) an.

Das ZRM ist ein theoretisch fundiertes und wissenschaftlich überprüftes ressourcenorientiertes Selbstmanagementtraining, welches von Maja Storch und Frank Krause an der Universität Zürich im Fachbereich pädagogische Psychologie entwickelt wurde.5 Das Motivationstraining wird in der Wirtschaft und in der Bildungsarbeit sowie im Gesundheits- und Sozialbereich erfolgreich angewendet. Es fördert gezielt das persönliche Handlungspotenzial und führt zur Stärkung der Selbststeuerungskompetenzen und der Selbstwirksamkeit. Individuelle Handlungsmuster werden zielgerichtet verändert und das persönliche Handlungsrepertoire erweitert.6

Jeder Mensch verfügt über vielfältige Ressourcen, die für zielrealisierendes Handeln notwendig sind. Diese Ressourcen werden im Training durch einfach erlernbare Techniken erschlossen. Durch das Bewusstwerden der eigenen Bedürfnisse wird sichergestellt, dass selbstbestimmt entschieden wird, wohin die persönliche Aufmerksamkeit und die eigenen Energien geleitet werden. Kirchliche Mitarbeitende werden durch die Methode dabei unterstützt, sich zur eigenen Person passende Ziele zu setzen und diese beruflich und privat lustvoll und erfolgreich zu realisieren. Sie lernen, in herausfordernden Situationen nicht nur zu reagieren, sondern authentisch zu agieren. Durch den ressourcenorientierten Einsatz wirksamer Techniken und Methoden wird die Motivation für die Umsetzung individueller Ziele sichergestellt und der Transfer des Erworbenen in den Alltag gewährleistet.

Christoph Gellner* und Dorothee Foitzik**

 

1 Nähere Informationen auf www.tbi-zh.ch

2 Arnold, Rolf / Schön, Michael, Ermöglichungsdidaktik. Ein Lernbuch, Bern 2019.

3 Steinebach, Dorothee, Ehrenamt neu sehen lernen, in: Sellmann, Matthias (Hg.), Gemeinde ohne Zukunft? Theologische Debatte und praktische Modelle, Freiburg i. Br. 2013, 247–268.

4 Ein Kompetenzmodell für Hauptamtliche als Beitrag zur Förderung ehrenamtlichen Engagements in der Gemeindepastoral im Bistum Speyer, https://spark.adobe.com/page/Z80YifAuLjaA7

5 www.ressourcenraum.ch, siehe auch Institut für Selbstmanagement und Motivation Zürich. https://ismz.ch

6 Als Grundlagenwerk sei empfohlen: Storch, Maja / Krause, Franz, Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM), Göttingen 62017.

* Dr. theol. Christoph Gellner (Jg. 1959) ist Leiter des Theologisch-pastoralen Bildungsinstituts der deutschschweizerischen Bistümer TBI in Zürich.

** Dorothee Foitzik Eschmann (Jg. 1961) ist Bereichsleiterin Kirchliche Weiterbildung am Theologisch-pastoralen Bildungsinstitut der deutschschweizerischen Bistümer TBI.