Als vor rund 20 Jahren erste Publikationen zum Thema Kirchenmanagement erschienen, musste dies gerechtfertigt werden. Heute gehören Begriffe wie «Projekt», «Strategie» oder «Qualitätsmanagement» längst zum Kirchen-Vokabular. Aber nicht nur die Kirche ist für Managementfragen offener geworden. Gleichzeitig wird «Management» nicht mehr mit wirtschaftlicher Unternehmensführung gleichgesetzt. So spricht man heute auch von «Nonprofit-» oder «Erwartungsmanagement» und betont, dass Management stets durch Ungewissheit und Unsicherheit gekennzeichnet und mit Unverfügbarkeit konfrontiert ist. Damit ist die Managementlehre für Theologie und Kirche anschlussfähiger geworden. Von Rechtfertigungszwängen entlastet, formuliere ich zehn Denkanstösse – und beginne dabei «unten», im Konkreten,
Alltäglichen.
1. Die Dinge richtig tun
Der Begriff «Management» stammt vom lateinischen «manum agere», hat also eine starke «handwerkliche» Dimension. Ob Protokoll oder Mitarbeitendengespräch, Budget oder Kommunikationsmassnahme, Präsentation oder Sitzungsvorbereitung: Zu all dem gibt es ein Know-how, Erfahrungswerte und Techniken, die es zu erlernen, zu verfeinern und konsequent anzuwenden gilt.1 Auch im Kirchenmanagement gilt der Satz des Thomas von Aquin: «Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie». Das Vertrauen auf Gott und das Wirken des Geistes, der «weht, wo er will», ersetzt handwerkliches Können nicht, sondern hofft darauf, dass Gottes Gnade im eigenen Bestreben und darüber hinaus wirksam ist.
2. Die Arbeit effektiv und effizient organisieren und gleichzeitig «agil» bleiben
Bereits umfassender ist die Aufgabe, die eigene Arbeit, die Zusammenarbeit im Team und die Prozesse in der eigenen Organisation so zu gestalten, dass einerseits die beabsichtigte Wirkung bestmöglich erzielt wird («Effektivität») und andererseits der Aufwand an Zeit, Energie, Geld usw. möglichst tief bleibt («Effizienz»). Dabei hat Wirksamkeit Priorität vor der Sparsamkeit. Und zum anderen geht es um die Wahl und sinnvolle Verknüpfung verschiedener Aktivitäten (z. B. von der Sitzungseinladung über die Sitzungsleitung bis zur Kommunikation der Ergebnisse). Weil in einer sich schnell verändernden Welt die Routine an Bedeutung verloren und die Unvorhersehbarkeit von Entwicklungen zugenommen hat, ist neben Effektivität und Effizienz zunehmend «Agilität» gefragt. An die Stelle von Projektplanungen, die auf Jahre hinaus minutiös einzelne Schritte terminieren, treten Konzepte, die sich an einer Vision und zentralen Eckwerten des Vorhabens orientieren, die Detailplanung aber «iterativ» entwickeln. «Der Weg entsteht im Gehen», was allerdings nicht zum Vorwand genommen werden darf, im Ungefähren zu bleiben. Sonst droht Wandel als leeres Versprechen in Form von Veränderungsprozessen, in denen «viel passiert, damit nichts geschieht».
3. Eine gute (Zusammen-)Arbeitskultur entwickeln und pflegen
So wichtig handwerkliche Aspekte sind: Wirkung entfalten sie dann, wenn auch eine entsprechende Kultur das eigene Handeln und jenes der Organisation prägt. Ohne Vertrauen, Lösungsorientierung, Leistungs- und Lernbereitschaft, gesunde Rhythmisierung von Aktivität, Reflexion und Erholung, Bereitschaft zur Zusammenarbeit, Konfliktfähigkeit und Fehlerkultur ist wirksames Management unmöglich. Im Bereich der Management-Kultur oder Management-Spiritualität sind «Konvergenzräume zwischen christlich orientierter Lebenspraxis und einem systemischen Managementansatz» offenkundig.2 Entsprechend zahlreich sind die Publikationen von Ordensleuten, die ihre spirituelle Tradition für Managementfragen fruchtbar machen.3 Gutes (Kirchen-)Management geht nicht mit permanentem Stress, Druck und Selbstausbeutung, sondern mit persönlicher und gemeinschaftlicher Lebenskunst einher, zu der auch die Fähigkeit gehört, mit Belastungen, Niederlagen und Durststrecken umzugehen.
4. Die Umwelt als Möglichkeitsraum erschliessen
Das Stichwort «Möglichkeitsraum» macht deutlich, dass man nicht problem- und defizitorientiert auf die Welt blicken, sondern nach Möglichkeiten und Chancen Ausschau halten soll, die sie bietet. Dabei sind Ungewissheit und Unsicherheit als Chancen zu sehen, etwas neu zu gestalten. Auch dem Konzil ging es mit dem Stichwort «Zeichen der Zeit» darum, «zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind. Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht» (GS 11). Hinter der Forderung, die Umwelt als «Möglichkeitsraum» zu erschliessen, steht theologisch nichts weniger als die Überzeugung, dass Gott heute durch die Welt und die Menschen zur Kirche spricht. Auch hier zeigt sich: Spiritualität und Management sind kein Gegensatz. Sie können sich gegenseitig inspirieren.
5. An Visionen, Strategien und Zielen arbeiten
Als Möglichkeitsraum betrachtet, eröffnet die «Welt von heute» der Kirche für ihr Wirken sehr viel mehr Optionen und Handlungsfelder, als sie mit ihren stets begrenzten Ressourcen an Personal, Geld, Arbeitsmitteln und Infrastruktur, aber auch an Kreativität und Energie bespielen kann. Eine Organisation, die «alles tun will, was möglich ist», tut am Ende «alles Mögliche», verzettelt sich und verspielt ihre Chancen. Es ist deshalb unabdingbar, an Visionen, Strategien und Zielen zu arbeiten, was in der Sprache von Papst Franziskus einen Prozess der «Unterscheidung» erfordert. Dieser folgt dem Dreischritt «aufeinander hören – unterscheiden und interpretieren – wählen».4 Entscheidend ist, dass die Ergebnisse dieser Strategiearbeit «einen Unterschied machen» und nicht nur bestätigen, was eh schon klar ist: Sie müssen so beschaffen sein, dass sie in die Realität eingreifen, das Handeln gleichzeitig motivieren, orientieren und begrenzen sowie an den konkreten Möglichkeiten Mass nehmen. Während Strategien, Leitbilder usw. früher in kleinen Führungszirkeln für grosse Zeiträume erarbeitet wurden, hat sich in neuerer Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass Strategieentwicklung am besten als «gemeinschaftliche Führungsleistung» und «rekursiver Managementprozess» gelingt, also indem die Betroffenen zu Beteiligten gemacht werden und im operativen Geschäft in periodischen Abständen strategische Auszeiten vorgesehen werden.5
6. Sich an einem Management-Modell orientieren
Eine Systematisierung des kirchlichen Handelns unter Management-Gesichtspunkten wird erreicht, wenn die konkreten Herausforderungen im Kontext eines Management-Modells betrachtet werden und das eigene Führungshandeln sich an einem solchen Modell orientiert. Dafür bieten sich im schweizerischen Kirchenkontext insbesondere das St. Galler Management-Modell und seine Applikation auf Non-Profit-Organisationen im Freiburger Management-Modell an. Der Vorteil der Orientierung an einem solchen Management-Modell besteht darin, dass sämtliche Management-Funktionen in den Blick kommen und in einen Gesamtzusammenhang eingebettet werden. Damit wird sichergestellt, dass die einzelnen Management-Instrumente aufeinander abgestimmt sind. Zudem macht ein Management-System bewusst, dass «die Wirksamkeit von Management nicht aus heroischen Einzelhandlungen und Einzelentscheidungen, sondern aus interdependenten Interaktionen [resultiert], die historisch und situativ eingebettet stattfinden und sich in fortdauernder Entwicklung befinden».6 Im kirchlichen Kontext ist diese System-Perspektive deshalb besonders wichtig, weil sich das «Management» nie auf die ganze Kirche bezieht, sondern immer nur auf ein Teilsystem (z. B. den eigenen Pastoralraum, die kantonalkirchliche Organisation), und weil die Interaktionen mit dem Umfeld sehr komplex sind.
7. Ebenen und Systemebenen beachten
Das kirchliche Leben spielt sich auf unterschiedlichen Ebenen ab: Pfarrei, grössere pastorale Einheit, Diözese, gesamtschweizerische Ebene (samt den jeweiligen staatskirchenrechtlichen Entsprechungen). Hinzu kommt die weltkirchliche Ebene. Zwischen diesen Ebenen und den entsprechenden kirchlichen oder staatskirchenrechtlichen Teilsystemen bestehen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, die ebenso zu berücksichtigen sind wie die Frage, was auf welcher Ebene überhaupt sinnvollerweise angestrebt werden kann. Zu unterscheiden sind auch die Systemebenen von zwischenmenschlicher Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Veränderungen können nur gelingen, wenn sie diese unterschiedlichen Kommunikationsebenen mit ihren verschiedenen Logiken berücksichtigen. Weder darf man eine Kommunikationsebene verabsolutieren, noch darf man sie verwechseln. Wenn z. B. organisatorische Strukturen Machtungleichgewichte schaffen, reicht es nicht aus, die entstehenden Schwierigkeiten auf der zwischenmenschlichen Ebene lösen zu wollen, sondern es braucht Strukturanpassungen. Und wenn der gesellschaftliche Wandel die Religiosität verändert, wird es nicht gelingen, den Wandel auf der individuellen Ebene nachhaltig zu beeinflussen. Das Wissen um diese Unterscheidung hilft zu klären, auf welcher Ebene ein Problem anzugehen ist.
8. Komplexität beachten und sich trotzdem auf wenige Hebel beschränken
Bewegten sich die bisherigen Überlegungen vom Einfachen zum Komplexeren, setzt nun eine Gegenbewegung ein. Um zu vermeiden, dass man sich in der Analyse der Überkomplexität verliert, gilt es, diese zwar zu beachten, sich aber auf wenige entscheidende Hebel zu beschränken. Sehr anschaulich erläutert Benedikt Weibel, ehemals Generaldirektor der SBB, dieses Prinzip in «Simplicity – die Kunst, die Komplexität zu reduzieren»7. Das Buch endet mit einer Geschichte: «Als Steve Jobs zu Apple zurückkehrte, verlangte er von seinen Top-Managern eine Liste mit den zehn obersten Prioritäten. ‹Wir schaffen nur drei›, befand er nach eingehender Reflexion. Mit diesem radikalen Fokus hat er Apple zur wertvollsten Unternehmung der Welt gemacht.» Die Frage, welches die wenigen entscheidenden Hebel sind, um das Leben einer kirchlichen Organisationseinheit wirksam auf ihre Kernaufgabe auszurichten, und der Mut, anderes wegzulassen, erhöht die Wirksamkeit des eigenen Tuns und kann vom Gefühl der Überforderung befreien.
9. Intelligente Musterbrüche wagen
Navigieren in Zeiten des Umbruchs erfordert die Fähigkeit, Wandel zu gestalten. Noch bis vor Kurzem war «Changemanagement» in aller Munde und es wurden detailliert geplante Change-Prozesse eingeleitet. Beschleunigung und Anstieg der Komplexität haben jedoch zur Folge, dass die Vorstellung des «planbaren Wandels» zunehmend hinterfragt wird. Vermehrt besteht Führung darin, Impulse zu geben, die es der Organisation ermöglichen, kreativ mit Veränderungen umzugehen und «Vertrauen in das Unvertraute» zu entwickeln. Dazu gehören intelligente Musterbrüche und Führungsexperimente, die Neues zulassen, um Neues zu sehen. Der Brückenschlag zwischen diesem Organisations- und Führungsverständnis und der Kirche fällt nicht schwer: Viele Bilder von Kirche wie «Leib Christi», «Weinstock» oder «Baum, in dem die Vögel des Himmels nisten können» stammen aus der Welt lebender und sich entwickelnder Organismen. Und viele christliche Führungsgestalten der Tradition, von den Propheten und Prophetinnen über Jesus und Paulus bis hin zu Franz von Assisi, Teresa von Avila und Papst Franziskus beeindrucken mit ihrem Mut, Muster zu durchbrechen und Unerwartetes zu wagen. Sie inspirieren Kirchenmanagerinnen und Kirchenmanager bis heute.
10. Eine reflexive und spirituelle Gestaltungspraxis einüben
Unsere Zeit und die Situation der Kirche sind durch hohe Veränderungsdynamik und grosse Ungewissheit geprägt. Zudem muss die Kirche immer mit Gott und folglich mit dem Unverfügbaren und Überraschenden rechnen. Ein Kirchenmanagement, das darauf aus wäre, die Dinge «im Griff zu haben», ist daher nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern würde auch dem Auftrag der Kirche nicht gerecht. Das darf nicht – genauso wenig wie die Berufung auf den «Geist, der weht wo er will» – als Vorwand dienen, um die Dinge bloss «irgendwie» zu machen. Handwerkliches Können ist schon deshalb zu fordern, weil Kirche und Kirchenmanagement es mit dem Kostbarsten zu tun haben: mit dem Geheimnis Gottes und mit Menschen. Aber über die gekonnte Anwendung von Management-Instrumenten hinaus ist Management als reflexive und spirituelle Gestaltungspraxis einzuüben, die sich immer wieder neu auf die beiden ebenso existenziellen wie praktischen Grundfragen einlässt: Tun wir die richtigen Dinge? Und: Tun wir die Dinge richtig?
Daniel Kosch