SKZ: Was bewog Sie, im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten?
Bernd Nilles: Es begann mit meinem Engagement in der Katholischen jungen Gemeinde. Es gab im Rahmen einer Partnerschaft mit Kolumbien einen Jugendaustausch, an dem ich teilnehmen und nach Kolumbien reisen durfte. Damals waren die politischen Umstände in Kolumbien sehr schwierig und ich wurde vor Ort mit schweren Menschrechtsverletzungen konfrontiert. Ich entschloss mich, in meinem Studium der Sozial- und Politikwissenschaften einen Schwerpunkt auf die Fragen von Menschenrechten, Entwicklung, Armut und Ungerechtigkeit zu legen. Nach dem Studium trat ich meine erste Stelle beim Hilfswerk Misereor an – dem Pendant zu Fastenaktion.
Die Fastenaktion ist ein katholisches Hilfswerk. Gibt es Unterschiede in der Arbeit zu anderen Hilfswerken im gleichen Bereich?
Ich denke, dass am Ursprung jeder NGO, ob katholisch oder nicht, eine gesellschaftliche Entwicklung steht. So entstanden z. B. viele NGOs als Flüchtlingshilfsorganisationen im Ersten oder Zweiten Weltkrieg, als viele Menschen auf der Flucht waren. Andere wurden vor dem Hintergrund schwerer Menschenrechtsverletzungen gegründet. Bei der Errichtung von Hilfswerken wie Fastenaktion oder Misereor lag die Motivation in der Solidarität, im Helfen auch über grosse Distanzen. Viele solche Organisationen entstanden im Kontext des Zweiten Vatikanums und dem damit verbundenen Aufbruch der Katholischen Kirche. Dass politische und kirchliche Entwicklungen manchmal nah beieinanderliegen, sieht man daran, dass die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA im gleichen Jahr wie Fastenaktion gegründet wurde.
Es gibt also keinen Unterschied?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Unterschiede liegen z. B. bei der Begründung der eigenen Arbeit. Fastenaktion beruft sich auf die Katholische Soziallehre, eine humanistische Organisation würde andere Gründe nennen. Doch im Kern ist vieles ähnlich, wir wählen oft nur andere Worte. Im Alltag haben alle Organisationen, die sich für die Entwicklungszusammenarbeit engagieren, recht hohe und ähnliche Standards. Aber durch die Ursprungsmotivation und vielleicht auch durch die Motivation der einzelnen Mitarbeitenden und der Menschen, die sich für Fastenaktion engagieren, entsteht natürlich das besondere Profil. Oder wenn sich Bischöfe für uns engagieren. In diesem Engagement wird unsere Besonderheit sichtbar: dass gelebter Glaube und gelebte Solidarität Hand in Hand gehen. Fastenaktion hat als Hilfswerk bei sehr vielen Menschen Rückhalt. Daraus ergibt sich eine grosse Kraft, die andere Organisationen so nicht haben.
Fastenaktion versucht immer wieder, Menschen auf den direkten Zusammenhang zwischen unserem Verhalten und der Not in anderen Ländern aufmerksam zu machen. Eine Sisyphusarbeit?
Wir haben uns weiterentwickelt und lernen ständig dazu. Wir setzen zum einen auf die individuelle Verhaltensveränderung; gerade die Fastenzeit ist eine grossartige Gelegenheit, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Wir wissen heute aber auch, dass es verbindliche politische Rahmenbedingungen braucht. Die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) zum Beispiel war der Versuch, für international tätige Konzerne gesetzlich verbindliche Regeln für den Schutz der Menschenrechte zu erreichen. Dann muss nicht jede und jeder im Laden nachdenken: Ist dieses Handy fair und ohne Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung hergestellt worden? Hätten wir diese Verfassungsänderung und die Gesetzesänderungen bekommen, könnten wir mit mehr Sicherheit einkaufen. Wir werden uns weiter engagieren, damit es verbindliche Regeln in der Schweiz gibt. Auch in der Klimafrage engagieren wir uns sehr dafür, dass der Bund verbindliche Reduktionsziele festlegt und dass wir in der Schweiz klimaneutral werden. Denn die Leidtragenden der Klimakrise sind die Menschen im globalen Süden. Sie leiden schon jetzt unter Hungerkrisen, verursacht durch die Klimaveränderung – die insbesondere wir im Norden verursachen. Wenn wir das richtig gut machen, können wir einen Beitrag für die Welt wie auch für unsere Kinder und Enkelkinder leisten. Dort, wo sich die Regierung weigert zu handeln, müssen Menschen, aber auch Kirchen und Pfarreien vorangehen. Ich glaube, dass wir als Christinnen und Christen eine besondere Verantwortung haben, ein Beispiel zu geben für ein nachhaltiges, solidarisches und gerechtes Leben. Deshalb werden wir auch dieses Jahr wieder die Menschen mit unserer Kampagne zur Fastenzeit ein wenig aufrütteln.
Welche Rolle spielt die Schweiz?
Die Schweiz ist qua Verfassung verpflichtet, zum Frieden und zu sozialer Gerechtigkeit in der Welt beizutragen. Dies ist nicht nur Solidarität, wir haben auch ein Eigeninteresse, da z. B. der Klimawandel die Schweiz in hohem Masse betrifft. Wir sind gleichzeitig betroffen und zugleich Mitverursacher. So bedrohen wir z. B. durch unseren grossen ökologischen Fussabdruck die Möglichkeiten, Freiheit und Lebenschancen von Menschen in armen Ländern wie auch der jungen Generation bei uns.
Wo sehen Sie die Rolle und die Verantwortung der Katholischen Kirche im globalen Bemühen um Gerechtigkeit und Frieden?
Eine der schönsten Entscheidungen, die die Kirche gefällt hat, war, Fastenaktion zu gründen. (Lacht.) Aber auch Caritas und Justitia et Pax und weitere Organisationen. Es gibt also ein vielfältiges Engagement in der Kirche. Manchmal ist es schade, dass dieses nicht im Mittelpunkt steht, wenn über Kirche diskutiert wird. Wenn wir uns die weltweite Solidarität und Hilfe und die lokale Gassenarbeit, das Engagement für ältere Menschen oder für soziale Gerechtigkeit in der Schweiz anschauen, ist die Kirche eine wichtige Institution. Deswegen arbeite ich auch so gerne für kirchliche Organisationen.
Die Fastenaktion engagierte sich intensiv im Abstimmungskampf zur KVI. Wie politisch darf Kirche sein?
Wenn Kirche oder kirchliche Hilfswerke wie Fastenaktion sich für Veränderungen engagieren, also dafür, dass es Menschen besser gehen soll, sind sie politisch. Allein schon die Aussage, dass wir als Gesellschaft solidarisch sein sollen oder dass wir weniger CO2 ausstossen sollen, ist politisch. Und es ist zugleich auch christlich. Sich zu gesellschaftlichen Fragen zu äussern, ist in unserem christlichen Auftrag verankert und auch in den Statuten von Fastenaktion. Wir sind genau dafür gegründet worden. Wir sollen die Schweizer Bevölkerung und die Schweizer Politik über die Lage in der Welt informieren. Wir sollen Vorschläge machen, wie es besser gehen könnte. Die KVI wäre ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Menschenrechte weltweit gewesen. Hier haben wir klar Position bezogen. Fastenaktion ist aber niemals parteipolitisch.
Was bedeutet Ihnen Ihr Glaube?
Der Glaube wurde mir wie vielen anderen Menschen auch mit meiner Taufe in die Wiege gelegt. Der gelebte Glaube hat bei uns in der Familie eine grosse Tradition. Ich habe erst später durch die Jugendarbeit und während des Studiums die Kraft der katholischen Soziallehre entdeckt. Auf Englisch sagt man: This is one of the best kept secrets of the Catholic Church; die katholische Soziallehre ist eines der best gehüteten Geheimnisse der Kirche. Sie ist auch sehr klar und radikal. Sie sieht alle Menschen der Erde gleich an Würde und Rechten und erwartet, dass wir danach leben. Wir haben aktuell mit Papst Franziskus auch einen Papst, der sehr gut und klar artikuliert, was er von uns Christinnen und Christen an solidarischem und nachhaltigem Verhalten erwartet. Das spricht mich an und bestärkt mich. Es ist aber so, dass es meinen Glauben gibt – und das ist etwas Privates – und dann meine Leidenschaft, für christliche Organisationen zu arbeiten. Ich bringe zum einen eine private Motivation mit und zum anderen durch mein Studium sowie meine lange Berufserfahrung auch die Management- und Führungserfahrung und fachliche Erfahrung, die ein Hilfswerk wie Fastenaktion braucht. Es reicht ja nicht, dass der Geschäftsführer am Schreibtisch sitzt und betet. Mir hilft der Glaube im Leben, ob er mir in meiner Arbeit hilft, ist schwer messbar, aber ich hoffe es. Zumindest hilft er dahingehend, dass ich in der Regel trotz all der schrecklichen Dinge, die wir in unserer täglichen Arbeit sehen müssen, einen gewissen Optimismus, eine gewisse Hoffnung behalte, dass wir das irgendwie hinkriegen.
Interview: Rosmarie Schärer