"... das Werk Deiner Hände" (Jesaja 64,7)

Sr. M. Caritas Müller, aufgewachsen in Ennetbaden, lebt seit 1961 im Dominikanerinnenkloster Cazis.

 

Die weissen Mauern des Dominikanerinnenklosters in Cazis* im Domleschg leuchten hell in der Wintersonne; das Kloster steht mitten im leicht über dem Talboden liegenden Dorf. Sr. M. Caritas Müller öffnet herzlich die Klosterpforte und im Eingang begrüsst eine von ihr gestaltete Keramikstatue des heiligen Dominikus den Besucher. In der Hand hält er die Bibel. Die Verkündigung des Wortes Gottes gehört zum Kern des Ordensauftrages:

Predicare – durch die Kunst

Sr. Caritas sieht ihre ganz spezifische Aufgabe darin, den Menschen das Wort Gottes durch die Kunst näherzubringen. Kunst «ist Verkündigung des Evangeliums» (Benedikt XVI.). Gemäss der gemeinsamen Berufung der Dominikanerinnen von Cazis schöpft sie aus dem Reichtum der Bibel, der Sakramente und der persönlichen Gottesbeziehung. Ein Triptychon aus der frühen Schaffensphase zeugt von diesem Verständnis. Zentral und sehr eindrücklich dargestellt ist die Begegnung des heiligen Dominikus mit Jesus am Kreuz. Einander zugewandt, ist Dominikus ganz dem Antlitz Jesu hingegeben. Aus dieser liebenden Begegnung mit dem Gekreuzigten geht er hin zu den Menschen und verkündet das Wort Gottes.

Der Verkündigung des Evangeliums kommt Sr. Caritas entsprechend ihren Fähigkeiten nach. «Mein Charisma ist, Gefühle in Kunst auszudrücken.» Dem Betrachter ihrer Kunst fallen zärtliche Gesten auf wie beispielsweise zwischen Jesus und seiner Mutter bei der vierten Kreuzwegstation, oder das aufmerksame, wache und leise Hören des heimkehrenden Sohnes auf das Wort des Vaters. Die Ordensschwester setzt nicht ausschliesslich, aber vor allem biblische Motive in Plastiken um. Hierfür bilden das gemeinsame Stundengebet, die Lesungen sowie die Betrachtungen der biblischen Texte die Inspirationsquelle. Das allererste Werk war eine Keramik zur «Frau am Jakobsbrunnen» (Joh 4). «Ihr werdet Wasser schöpfen voll Freude aus den Quellen des Heils» (Jes 12,3) – so lautet der spezifische Gemeinschaftsauftrag der Dominikanerinnen von Cazis. Diese Verheissung gilt allen.
 
Dabei sah es zuerst ganz so aus, als ob Sr. Caritas ihr Charisma gar nicht entfalten kann. Aufgewachsen in Ennetbaden AG, stellte sich am Ende der obligatorischen Schulzeit die drängende Frage nach der Berufswahl. Der Zeichenlehrer fand, sie hätte zu wenig Talent für die Kunstgewerbeschule. So absolvierte sie zuerst die Handelsschule und besuchte anschliessend, auf Hinweis der Berufsberaterin, die dreijährige Ausbildung an der Keramikfachschule in Bern. Während der Woche lernte sie Glasieren und am Samstag Modellieren. Im dritten Ausbildungsjahr «klopfte» Gott bei ihr an. 1961 trat sie ins Dominikanerinnenkloster in Cazis ein. Nach der Ordensausbildung besuchte sie den Glaubens- und Katechetikkurs und gab während 14 Jahren in Cazis und am Heinzenberg Religionsunterricht.

Eines Tages sagte die Priorin zu ihr: «Kauf dir einen Keramikofen!» Für Sr. Caritas kam dieser Auftrag aus hellem heiteren Himmel. Und als er am selben Tag zum dritten Mal ausgesprochen worden war, schaute sie sich um und schaffte sich einen Ofen an. Seitdem ist sie künstlerisch tätig; sie bildete sich im Fach weiter und besuchte darüber hinaus 1988 das Sommerseminar für Bronzeguss in Salzburg. Inzwischen sind über 1000 Werke entstanden. «Ich fühlte mich gedrängt, den Menschen biblische Gestalten und religiöse Themen näherzubringen.» Heute ist Sr. Caritas nur noch selten in ihrer Werkstatt anzutreffen: «Ich habe alles in Kunst verarbeitet, was ich zu sagen habe.»

Benedicere – zum Segen werden

Die Führung durchs Kloster und durch die seit 1983 permanente Ausstellung im Dachgeschoss offenbart die immense Vielfalt und Produktivität ihres künstlerischen Wirkens. In grossen Schränken schlummern noch einige verborgene Schätze. Im zweiten Stock fällt dem Betrachter die bekannte Keramik «Die barmherzige Dreifaltigkeit» auf. Sie war keine Auftragsarbeit und Sr. Caritas fragte sich nach der Fertigstellung skeptisch, ob diese Keramik überhaupt jemand kaufen wolle. Doch ihre Skepsis löste sich in Luft auf: Eine freikirchliche Gemeinschaft aus dem Kanton Zürich erwarb sie. Das Foto dieser Keramik wiederum fand weltweite Verbreitung. Aus allen Kontinenten erreichen die Ordensschwester heute noch bewegende Briefe, und Powerpoints mit geistlichen Impulsen zur barmherzigen Dreifaltigkeit werden ihr zugestellt. An dieser Geschichte lässt sich ihr Selbstverständnis als Künstlerin ablesen. «Gott ist der Künstler, und ich bin sein Werkzeug. Ich stelle mich ihm zur Verfügung.» Als sein Werkzeug wird sie zum Segen für viele Menschen, ganz dem Ordensauftrag entsprechend: benedicere.

Mit dem Verkauf und den Echos aus aller Welt ist die Geschichte der «barmherzigen Dreifaltigkeit» noch nicht zu Ende geschrieben. Als die freikirchliche Gemeinschaft aufgelöst wurde, konnte die Schwesterngemeinschaft die Keramik zurückkaufen. Nun ist sie unverkäuflich.

Sr. Caritas erhielt im Laufe ihrer künstlerischen Tätigkeit viele Aufträge. Ein Grossauftrag war z. B. die Gestaltung des «Weg des Lebens» im Garten des Klosters Baldegg. Die Auftraggeber kommen jeweils mit ihren Vorstellungen und Ideen auf sie zu. «Ich selbst arbeite intuitiv. Während des ganzen Arbeitsprozesses bleibe ich natürlich mit den Auftraggebern im Gespräch. Aber ich behalte mir die künstlerische Freiheit vor. So haben meine Kreuzwege 15 Stationen. Die Auferstehung gehört wesentlich dazu. Der Tod und die Grablegung sind nicht das Ende; die Hoffnungsgeschichte geht weiter. Und meine jüngste Plastik, sie ist noch nicht einmal gebrannt», sagt sie augenzwinkernd, «weist drei statt zwei Raben auf, was nicht der überlieferten Geschichte des heiligen Meinrad entspricht.» Bei ihrer Kunst ist auf die Details zu achten, um die Fülle der Botschaft zu erahnen.
 
Ein einziges Mal gestaltete sie etwas Architektonisches. Das himmlische Jerusalem wollte ihr nicht recht gelingen. Gerade jene Eigenschaften, die sie am Ton so sehr schätzt, nämlich seine Beweglichkeit und seine Formbarkeit, erwiesen sich im architektonischen Schaffen als grosser Nachteil und erhebliche Schwierigkeit. Der weiche Ton war schwer in Form zu bringen. Aber das Arbeiten mit Ton hat den Vorteil, dass mit ihm etwas Neues gestaltet werden kann, solange er noch nicht gebrannt ist. In Jer 18,4 heisst es: «Missriet das Gefäss, das er in Arbeit hatte, wie es beim Ton in der Hand des Töpfers vorkommen kann, so machte der Töpfer daraus wieder ein anderes Gefäss, ganz wie es ihm gefiel.»

Laudare – mit allen und allem

Die Klostergemeinschaft bildet für Sr. Caritas den tragenden Grund für ihr künstlerisches Wirken. Als bekannte Künstlerin nimmt sie in der Gemeinschaft keinen Sonderstatus ein. Die hohe Wertschätzung ihrer Mitschwestern für ihre Arbeit ist aber stark spürbar. In den Gängen und Räumen sowie in der Klosterkirche sind ganz viele Plastiken zu entdecken: Sie erzählen biblische Geschichten, aus dem Leben des Dominikus sowie einzelner Dominikaner und Dominikanerinnen.

Im Ausstellungsraum fällt eine Frauenfigur auf: Sie trägt den Titel «Gaudete». Sr. Caritas macht auf die geflickten Risse und andere Unvollkommenheiten aufmerksam, die dem Besucher auf den ersten Blick entgehen. Die Frau ist dennoch fröhlich und preist Gott. Die Keramik lehrt: Trotz allem, was brüchig und unvollkommen ist – oder gerade deshalb –, ist Gott zu loben und froh zu sein. Als junge Schwester lernte die Künstlerin Harfe spielen und begleitete über viele Jahre die Stundengebete der Gemeinschaft: laudare. Wie ihre Mitschwestern lebt sie den Ordensauftrag im Heute: laudare, benedicere, praedicare.

Maria Hässig

 

*Das Kloster in Cazis GR wurde ursprünglich als Frauenstift um 700 n. Chr. durch den Churer Bischof Viktor II. gegründet. Die wechselvolle Geschichte des Stifts, später Klosters, kann auf www.kloster-cazis.ch nachgelesen werden. Seit 1928 nehmen die Schwestern auch Aufgaben ausserhalb der Klausur wahr. So sind sie z. B. an der Schule, in der Altenpflege und in der Pfarrei tätig.

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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