4. Fastensonntag: 2 Kor 5,17–21 (Jos 5,9a.10–12; Lk 15,1–3.11–32)
Die Briefe des Apostels richten sich an die von ihm gegründeten Gemeinden, um die Evangeliumsverkündigung voranzubringen und das Wachsen der Kirche klärend, mahnend, aufbauend oder absichernd zu begleiten. Zwar argumentiert Paulus durchgängig als «berufener Apostel », aber er macht seine apostolische Bevollmächtigung nicht zur Grundlage eines eigenen theologischen Traktates. Der Titel «Apostel» fällt bei ihm als Selbstbezeichnung nicht oft. Dieser Befund ist bezeichnend: Selbst dort, wo Paulus als Apostel aufgrund der gegen ihn erhobenen Kritik in die Defensive gerät, geht es ihm im Zuge der Verteidigung seines apostolischen Amtes nicht um die demonstrative Einforderung von Ruhm und Macht. Vielmehr ist ihm an einer begründeten Darlegung seiner apostolischen Vollmacht und ihrer Anerkennung gelegen, weil sich seiner festen Überzeugung nach Jesus selbst im Wort des Apostels zur Sprache bringt. D ass die Strahlkraft der Botschaft auf das Engste mit der Person des Botschafters verknüpft ist, setzen nicht nur die Gegner des Apostels (freilich skeptisch), sondern auch Paulus voraus. Um der Wahrheit des Evangeliums willen bedarf es bevollmächtigter Gesandter, die das Wort zu den Menschen tragen. Wenn aber die Wahrheit des Evangeliums in den Blick gerät, geht es auch um die Wahrhaftigkeit der Verkünder. Wo die Kraft des Evangeliums zum Thema wird, dort auch die Kraftquelle der Evangeliumsboten. Wer nach den Wurzeln des Evangeliums fragt, fragt zugleich nach den Wurzeln seiner apostolischen Bürgen. Damit steht Paulus vor der Notwendigkeit, vor aller inhaltlichen Auseinandersetzung mit den wichtigen Fragen des Glaubens, die Herkunft und Relevanz seines Apostolates zu begründen. Dass ihm im Zuge dessen funktionale Beschreibungen seiner apostolischen Tätigkeit brauchbarer erscheinen als hoheitliche Manifestationen, hat mit der von ihm verkündeten Botschaft selbst zu tun. Als der von Gott berufene Apostel predigt Paulus das Wort der Versöhnung, mehr noch: Sein apostolischer Dienst ist das Medium der von Gott in Jesus Christus geschenkten Versöhnung. In der Verkündigung des Paulus entfaltet sich also die Wirkmächtigkeit jenes Mannes aus Nazareth, der war wie einer, der dient, weil er für alle Menschen gestorben ist und auferweckt wurde. Daran – und an nichts anderem – will der Apostel Mass nehmen! Paulus nimmt für sich in Anspruch, berufener Apostel zu sein, weil Gott ihn durch Christus mit sich versöhnt hat. Dies jedoch mit dem Ziel und der besonderen Beauftragung, alle Menschen durch die Verkündigung des Evangeliums in die Gemeinschaft mit Christus hineinzuführen, wo sie teilhaben dürfen an dem endzeitlichen Versöhnungswerk Gottes. Es geht Paulus gerade nicht um ein selbstherrliches Pochen auf Würde und Autorität. Vielmehr stellt er sein apostolisches Wirken als eines dar, das zuerst und vor allem den Menschen zugute kommen soll (vgl. 1 Kor 3,5; 2 Kor 5,18). Durch ihn kamen die Christen der von ihm gegründeten Gemeinden zum Glauben. Der Dienstcharakter ist geradezu ein Erkennungsmerkmal des paulinischen Apostelamtes. D as Dasein des Apostels für andere (vgl. 2 Kor 5,13) ist Ausweis einer Liebe, die in der am Kreuz aufgipfelnden Liebe Christi wurzelt. Das eigentliche Gewicht der Liebe Christi sieht Paulus im Grundereignis der Versöhnung Gottes mit den Menschen verankert. Diese Versöhnung setzt jene Gerechtigkeit voraus, die allein aus Gottes Gnade heraus Wirklichkeit werden kann und sich am Kreuz letztgültig manifestiert. Kraft ihrer vollzieht sich ein heiliger Tausch, durch den sich die bis dato negative Qualifikation der unter die Macht der Sünde verkauften Menschen in ihr Gegenteil verkehrt.
Paulus im jüdischen Kontext
Paulus setzt hierbei die prinzipielle Möglichkeit voraus, dass der Tod eines Gerechten den Weg der Ungerechten zur eschatologischen Gerechtigkeit und damit zum Leben erschliessen kann. Damit bewegt der Apostel sich der Sache nach auf durch alttestamentliche Sühnetradition vorgezeichneten Wegen. Vier Grund- festen paulinischer Theologie seien in diesem Zusammenhang erwähnt, die die Grundlage dieser Versöhnungsvorstellung bilden: Ausgangsposition der Überlegungen des Apostels ist die Feindschaft zwischen Gott und den Menschen (vgl. Röm 5,10; 8,7), die aufgrund ihrer Ungerechtigkeit und Sündenverstricktheit besteht (vgl. Röm 1,18; 7,23 f.). Wenngleich die Menschen dieses Missverhältnis zu verantworten haben, geht die Initiative zur Überwindung desselben von Gott aus. Gott allein ist Subjekt der Versöhnung, indem er durch Kreuz und Auferstehung Jesu Christi die Macht der Sünde besiegt und die Mauern der Feindschaft niederreisst. Darum ist die gottgewährte Versöhnung zugleich äusserster Ausdruck der Liebe Gottes zu den Menschen. Ihr entspricht auf der Seite der nunmehr mit Gott versöhnten Menschen der Glaube im Sinne der Annahme des göttlichen Versöhnungsangebotes. Der an die Menschen gerichtete Appell des Apostels, sich mit Gott versöhnen zu lassen (2 Kor 5,20), ist vor diesem Hintergrund als Aufruf zum Glauben zu verstehen. Vermittelt wird das Wort der Versöhnung durch das Evangelium. Diesem Wort entspricht der Dienst der Versöhnung, zu dem der Apostel sich von Gott her berufen und beauftragt weiss.
Heute mit Paulus im Gespräch
Wenn der Apostel Paulus im Zweiten Korintherbrief so etwas wie eine Theologie des kirchlichen Amtes zu entwickeln scheint, muss das aufhorchen lassen – nicht nur, aber vor allem im ökumenischen Gespräch. Wenn der Apostel im selben Zweiten Korintherbrief dieses kirchliche Amt in kaum zu überbietender Deutlichkeit zugleich als einen «Dienst» qualifiziert, der Mass nimmt am Lebenszeugnis Jesu selbst, muss auch das aufhorchen lassen – nicht nur, aber vor allem diejenigen, die ein kirchliches Amt innehaben. Das ebenso klare wie lautere Zeugnis für den gekreuzigten und auferweckten Herrn, der die Menschen liebt und in seine Gemeinschaft ruft, nennt Paulus den «Dienst der Versöhnung». Darum geht es, damals wie heute.