Ehre sei Gott in der Höhe

Das Gloria in der Messfeier richtet die Gläubigen anbetend auf Gott aus. Stephan Wahle und Meinrad Walter legen den Fokus auf den Akt der Anbetung im Römischen Gloria Georg Friedrich Händels (1685–1759).

Jeder gemeinschaftliche Gottesdienst beginnt mit einem Aufbruch. «Populo congregato» heisst es im Messbuch – die Gemeinde versammelt sich. Was bedeutet das? Immer dann, wenn Menschen sich aus ihrem persönlichen Lebensumfeld herausrufen lassen und sich aufmachen, um gemeinsam vor Gott zu treten, ereignet sich Kirche. Kirche ist in ihrem innersten Kern die im Heiligen Geist vereinte Gemeinde – und zwar die zur Feier des Gottesdienstes zusammengekommene Gemeinde. Immer, wenn Eucharistie, eine Wort-Gottes-Feier oder ein Tagzeitengebet gefeiert wird, ist es der Gekreuzigte und Auferstandene selbst, der Gemeinschaft stiften und Begegnung ermöglichen will – eine Begegnung mit Gott, mit anderen Menschen und mit sich selbst. Das Sich-Versammeln zum Gottesdienst hat ein eindeutiges Ziel: die Ausrichtung des Menschen zu Gott. Wie der Akt des Sich-Versammelns in den Akt der Anbetung mündet, zeigt sich in dreifacher Weise in der Messfeier: zunächst grundlegend im Kyrie eleison, dann entfaltet im Gloria in excelsis Deo und schliesslich abgeschlossen im Tagesgebet.

Gloria – ein Erbe aus der Ostkirche

Liturgisch ist das Gloria eine ansatzweise trinitarische Ausfaltung und Intensivierung des Kyrie. Inhaltlich führt es die Akklamation an Christus als kyrios fort. Wie das Kyrie als vertrauensvolle Christus-Akklamation, so besteht das Gloria aus einer Reihe von Akklamationen, die sich im ersten Teil an Gott und im zweiten Teil an Christus richten. Im vorletzten Vers wird auch der Heilige Geist in den Hymnus hineingenommen. In den vierfachen Anrufungen an Gott, den Vater, artikuliert die Gemeinde in fast überschwänglichen Worten ihre anbetende Haltung vor Gottes Herrlichkeit und spricht ihn direkt an: laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te.
 
Dass bereits im Kind in der Krippe der Anfang des Heils sichtbar angebrochen ist, das erzählt die berühmte lukanische Weihnachtsgeschichte und davon zeugt das Gloria mit dem weihnachtlichen Engelsgruss zu Beginn: «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade» (Lk 2,14). Das Gloria ist aber kein rein weihnachtlicher Gesang. Im Kern preist es Gott, den «Vater, Herrscher über das All», und Christus, den österlichen Sieger über den Tod, der als «Lamm Gottes» beim Vater thront (vgl. Offb 14). Krippe und Kreuz, Weihnachten und Ostern, Inkarnation und Auferstehung – der christliche Glaube entfaltet mit dem Blick auf Jesus Christus die Dramatik seines und unseres Lebensweges, auf dem Gott immer wieder selbst sein Heil erneuern will.

Historisch ist das Gloria ein Erbe der ostkirchlichen Liturgien. Sein ursprünglicher Ort sind die Laudes, das morgendliche Tagzeitengebet, an dessen Ende mit diesem Hymnus Christus, der Auferstandene, im Symbol der aufgehenden Sonne begrüsst wird. Lange blieb das Gloria in den Westkirchen für die Eucharistiefeiern des Papstes an den Sonntagen und Märtyrerfesten reserviert. Priester durften es nur am Ostertag anstimmen. Nachdem im ausgehenden Mittelalter das Gloria fast zum Alltagsgesang mutiert war, verleiht es heute den Sonntagen ausserhalb der Advents- und Fastenzeit sowie den Festtagen und besonderen Feiern eine österliche Grundstimmung unter einem weihnachtlichen Vorzeichen. Dass ein Gloria gesungen werden muss, steht ausser Frage. Nur welche Klänge passen zum Akt der lobpreisenden Anbetung? Greifen wir aus der Vielzahl an musikalischen Umsetzungen nur eine besonders festliche heraus: das Gloria für Sopran, zwei Violinen und Generalbass von Georg Friedrich Händel.

Jubeln, staunen, bitten und anbeten

Während es von Bach eine grosse Missa tota et concertata gibt, suchte man im Oeuvre Händels selbst einzelne Messsätze vergeblich, bis der Hamburger Musikwissenschaftler Hans Joachim Marx um das Jahr 2000 in London ein interessantes Gloria wiederentdeckt hat. Dass als Autor Händel in Frage kommt, war zunächst umstritten. Auch wenn die näheren Umstände der Entstehung des etwa fünfzehnminütigen Werkes im Dunkeln bleiben werden, scheint es sehr wahrscheinlich, dass das virtuose Kirchenstück einem römischen Kompositionsauftrag zu verdanken ist. Und dass Händel der Komponist ist! In Rom komponierte er um 1707 sein Gloria, das in einer Art musikalischer Hell-Dunkel-Tonmalerei mit eindrucksvollen Kontrasten spielt: Auf der göttlich-himmlischen Seite hören wir Dur-Tonarten, rasche Tempi und eine eingängige Harmonik; im menschlichen Bereich dominieren Passagen in Moll, langsame Tempi, chromatische Melodik sowie das harmonische Fortschreiten in entlegene tonartliche Bezirke.

Händels Vertonung der liturgischen Gloria-Worte lässt sich am besten mit den Verben beschreiben: jubeln, staunen, bitten und anbeten. Auch das ekstatische Transzendieren fehlt nicht. Nach dem einleitenden orchestralen Aufschwung mit einer ungestümen Tonleiter, die aufhorchen lässt, erklingen die Anfangsworte der Sopranstimme «Gloria in excelsis Deo» im jubelnden Gestus. Ein ganz anderes klangliches Gewand erhält die Verheissung «Et in terra pax hominibus». Hier könnte man an ein Wechselspiel von Bitten und Segnen denken. Wenn die Sopranistin und das Orchester die Dissonanzen geradezu auskosten, erinnert das ein wenig an Johann Sebastian Bach. Er hat sowohl beim «Et in terra pax» der Messe h-Moll als auch im Weihnachtsoratorium, in dessen zweitem Teil die Engelsworte «und Friede auf Erden» erklingen, viele affektvolle Seufzerfiguren sowie musikalisch-sinnbildliche Dissonanzen und deren Auflösung als Zeichen des Weges vom Unfrieden zum Frieden ganz ähnlich eingesetzt.

Musikalisch-theologisch ist entscheidend, dass «Friede» nicht als These oder als Gebot eingeschärft wird. Komponisten fragen weniger danach, was Friede ist, sondern wie er sich ereignet. Hier treffen sie sich mit allen Theologinnen und Theologen, die auf den Glaubensakt (fides qua creditur) ebenso grossen Wert legen wie auf die Inhalte des Glaubens (fides quae creditur). Bei der Geste des Bittens mag einem der Philipperbrief des Apostels Paulus in den Sinn kommen: «Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!» (Phil 4,6) Gleich der nächste Vers ist die Antwort: «Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.» Händel schafft in seiner Friedensmusik innige Höhepunkte durch die Zurücknahme äusserer Mittel, so dass bereits mit den eindringlichen Pausen des Orchestervorspiels die Geste des Empfangens ins Zentrum rückt.

Am Ende öffnet sich dieser Abschnitt  ins virtuose Loben des «laudamus te». Dem folgenden Dank des «gratias agimus tibi» gewinnt Händel hingegen ein Staunen ab. Beim «Domine Deus» wechselt er mit einer eigenwilligen Litanei zur Geste des Anbetens. Händel komponiert weniger den «Dominus» als königliche Hauptperson, sondern das inständige Bitten derer, die ihm huldigen und sein Erbarmen mit dem Ruf «miserere» demütig erflehen. Am Ende hören wir eine letzte Steigerung, wenn Händel im Allegro den Jubel des Anfangs wieder aufgreift und den grossen Lobpreis Gottes mit einer nicht endenwollenden Amen-Akklamation beschliesst. Wenn die Stimme mehrfach bis zum hohen b geführt wird, will Händel wohl nicht nur den freudigen Affekt darstellen, sondern zugleich das Durchbrechen irdischer Grenzen im musikalischen Akt der Anbetung andeuten.

Akklamation – Hymnus – Gebet

Nahezu kein anderer Gesang wie das Gloria will den Klangraum für jene innere und äusserliche Gebetshaltung vorbreiten, mit der sich die Gemeinde am Ende der Eröffnungsriten der Messfeier an Gott wendet und ihn erst still und dann laut mit seinem Namen anruft: «Deus!» Genau darin, im dankbaren Gedächtnis an sein Heilshandeln um die Erneuerung und Vollendung zu bitten, ereignet sich Kirche als die von Gott herausgerufene und durch Christus im Heiligen Geist geeinte Versammlung. So wie am Gloria in der Messfeier vorzugsweise alle Gläubigen beteiligt sind, etwa durch einen Rahmenvers, auch wenn ein Sängerchor oder eine Sopranistin den Hymnus singt, so ist auch die Oration grundsätzlich ein gegliederter Gebetsakt. Bereits die stehende Haltung der gesamten Gemeinde verdeutlicht als leiblicher Gestus die Hinwendung des Menschen zu Gott, seine Anbetung. Entscheidend sind nicht viele Worte, die nach einem klangvollen Gloria ausgesprochen werden müssten. Entscheidend ist der leiblich-geistige Akt der Ausrichtung zu Gott, der im Akt der Verkündigung zur Gemeinde sein Wort sprechen wird.

Stephan Wahle und Meinrad Walter

 

* Prof. Dr. Stephan Wahle (Jg. 1974) studierte katholische Theologie und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und in Freiburg i. Br. Seit 2013 ist er akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Dogmatik und Liturgiewissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und seit 2016 leitet er die Arbeitsstelle Liturgie, Musik und Kultur am selben Lehrstuhl. Zudem nimmt er Lehraufträge und Professurvertretungen an verschiedenen Universitäten wahr.

** Prof. Dr. theol. Meinrad Walter (Jg. 1959) studierte Theologie und Musikwissenschaft in Freiburg i. Br. und München. Er promovierte mit der Arbeit «Musik – Sprache des Glaubens. Zum geistlichen Vokalwerk von Johann Sebastian Bach». Seit 2002 ist er Referent und seit 2013 stellvertretender Leiter im Amt für Kirchenmusik der Erzdiözese Freiburg. An der dortigen Hochschule für Musik lehrt er als Honorarprofessor.

Empfehlenswerte Einspielung: Georg Friedrich Händel: Gloria. Emma Kirkby (Sopran) und das Royal Academy of Music Baroque Orchestra unter Leitung von Laurence Cummings, BIS Records.

Buchempfehlung: «Im Klangraum der Messe. Wie Musik und Glaube sich inspirieren ». Von Stephan Wahle und Meinrad Walter. Freiburg i. Br. 2021. ISBN 978-3-451-39140-8. www.herder.de
Wahle und Walter bieten eine ausführliche Interpretation des Römischen Gloria und des Glory to God aus dem Oratorium «Messias» von Georg Friedrich Händel, 25–39.

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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