SKZ: Wie kam es zu diesem Forschungsprojekt?
Stefan Huber (SH): Aufgrund meiner Professur für Empirische Religionsforschung und interreligiöse Kommunikation war das Thema naheliegend; interreligiöse Paare können der interreligiösen Kommunikation im Gegensatz zu anderen Paaren nicht ausweichen. Das Gesuch für das Forschungsprojekt habe ich zusammen mit Dominik Schöbi, Professor für Klinische Familienpsychologie an der Uni Freiburg, eingereicht. Die Idee war, das Thema sowohl von der religionswissenschaftlichen und theologischen als auch von der klinischen paarpsychologischen Seite her anzugehen. Dabei sollte untersucht werden, was religiöse Paare zusammenhält und was zu Problemen oder gar zum Scheitern führt. Welches ihre Ressourcen sind und was ihre Beziehung stabilisieren kann, wenn Probleme auftreten.
Die Studie war für interreligiöse und interkulturelle Paare ausgeschrieben.
SH: Das lässt sich oft gar nicht so einfach trennen. Bei interreligiösen Paaren ist ein Partner meistens Migrant respektive Migrantin. Dann ist die Frage: Hängt ein auftretender Konflikt mit der Religion oder der anderen Kultur zusammen?
Michael Ackert (MA): Bei der Erstellung der Studien konnten wir natürlich vorgeben, dass wir den interreligiösen und den kulturellen Aspekt trennen möchten. Doch wenn man auf die Paare zugeht, ist es oft so, dass sie sagen: «Für uns gehört das zusammen.» Es stellte sich die Frage, ob wir die Abgrenzung künstlich aufrechterhalten oder nahe am Menschen sein und Auskunft über das reale Leben bekommen wollten. Wir entschieden uns dafür, den interkulturellen Aspekt aufzunehmen, aber nicht in seiner ganzen Breite. Ein Nebeneffekt war, dass unter den interkulturellen Paaren auch viele intrareligiöse Paare waren. Zum Beispiel ein Katholik aus Brasilien, der mit einer Katholikin in der Schweiz verheiratet ist und sagt: «Mein Katholizismus ist ein bisschen anders.» Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich so viele intrareligiöse Paare für die Studie anmelden. Irgendwann hatten wir eine genügend grosse Vergleichsgruppe, um die Religiosität beim Vergleich konstant halten zu können. So haben wir intra- und interreligiöse Paare verglichen.
Welches sind die wichtigsten Ergebnisse?
MA: Was mich selbst überrascht hat: Interreligiöse Paare sind von der Form ihrer Religiosität intrareligiösen Paaren ziemlich ähnlich. Unterschiede finden erst statt, wenn einer der Partner nicht religiös ist. Bezüglich Inhalt der Religion sind Unterschiede erkennbar. Bei gleicher Religion ist klar, was der Inhalt ist, bei interreligiösen Partnerschaften müssen diese Inhalte in der Kommunikation immer wieder gefunden werden, z. B. welche Feste gemeinsame Feste sein sollen. Dies sieht man gut bei den Gründen für Konflikte. Man kann natürlich nicht repräsentative Aussagen über alle interreligiösen/interkulturellen Paare in der Schweiz machen. Das Projekt war angelegt, explorativ in das Feld zu gehen. Die befragten Paare sind selten im Interessenfokus der Forschung und man findet international ganz wenig Ergebnisse. Die wichtigste Erkenntnis, die ich mitgeben möchte: Es sind Paare, die nicht auffallen wollen, denen aber bewusst ist, dass sie als Paar eine Besonderheit haben. Sie sind in ihrer Partnerschaft genauso zufrieden und stabil wie andere Paare und scheitern genauso oft wie andere Paare. Die Botschaft ist eigentlich: «Wir sind normal.»
Was lässt sich über Konflikte sagen?
MA: Die Anzahl der Konflikte ist gleich, doch die Inhalte sind unterschiedlich. Von aussen unterschieden sich die Paare nicht von anderen, die sich Religion als Thema in die Partnerschaft mitgenommen haben.
SH: Bei interreligiösen Paaren stehen an erster Stelle Kommunikationsprobleme. Das hängt auch mit dem interkulturellen Hintergrund zusammen. Was besonders aussagekräftig ist: Bei den interreligiösen Paaren kommen bereits auf Platz 6 die Schwiegereltern/Ursprungsfamilie. Bei intrareligiösen Paaren kommen diese erst an 16. Stelle. Interessant sind die Antworten auf die Frage nach der Religion der gemeinsamen Kinder.
MA: Der Wunsch weicht stark von der Realität ab. Auf die Frage «Wenn sie Kinder hätten, in welcher Religion würden Sie die Kinder erziehen?» antworteten 69 Prozent mit «interreligiös». Aber wenn man jene fragt, die wirklich Kinder haben, sind es nur 20 Prozent, die ihr Kind interreligiös erziehen.
SH: Wir bereits erwähnt, kommen die Schwiegereltern bei interreligiösen Paaren bereits an sechster Stelle. Solange das Paar nur theoretisch darüber nachdenkt, wie sie ihre Kinder erziehen möchten, liegt es in einer interreligiösen Partnerschaft nahe zu sagen: «Wir erziehen sie interreligiös.» Wenn aber dann Kinder kommen, stehen die Schwiegereltern auf der Matte und stellen ihre Forderungen; die Forderung, sich konform mit der einen Kultur oder Religion zu verhalten. Die Schwiegereltern bringen bei interreligiösen Paaren eine besondere Dynamik in die Beziehung. Hier kommen Traditionen und Werte ins Spiel und es entstehen Wertekonflikte. Dass bei interreligiösen Paaren Kommunikationsprobleme an erster Stelle stehen, kann auch eine mögliche Ressource des Paares sein. Denn wenn Kommunikationsprobleme auftreten, ist auch der Druck da, mehr zu reden. Die interreligiösen oder interkulturellen Paare sind sehr viel stärker «gezwungen», über ihre Kommunikation zu sprechen. Und wenn Paare über ihre Beziehung sprechen, ist das eine der wichtigsten Ressourcen, die Paare zusammenhält. Wenn interreligiöse Paare viel über ihre Interreligiosität und Interkulturalität sprechen, dann kann es auch sein, dass sie zum Schluss kommen, es geht überhaupt nicht. Doch die grössere Wahrscheinlichkeit ist, dass sie durch das Sprechen miteinander besser lernen, miteinander zu reden.
Was ist zu den Auswirkungen auf die Religionsgemeinschaften zu sagen?
SH: Wenn ein Kind geboren wird, sind nicht nur die Schwiegereltern mit ihren Ansprüchen da, auch die Religionsgemeinschaften müssen sich überlegen, wie sie sich verhalten wollen. Da gibt es gar nicht so viele Unterschiede. Die reformierte Kirche ist sehr liberal. Die Katholische Kirche und der Islam nehmen den gleichen Standpunkt ein: Wenn jemand aus unserer Religion einen Andersgläubigen heiratet, dann müssen die Kinder unserer Religion angehören. Hier gibt es aber auch Innovationen. Wir hatten in der Umfrage einige Muslimas, die mit Christen oder auch Konfessionslosen zusammen sind, was für alle islamischen Rechtschulen eigentlich verboten ist. Diese Frauen führen sozusagen einen Veränderungsprozess herbei. Ein mir bekannter Imam erzählte von einem Fall, wo eine Muslima einen Katholiken geheiratet hat. Er hatte dies akzeptiert und das Paar konnte in der Moschee heiraten. Der Grund dafür war ein zweifacher. Erstens wurde sichergestellt, dass die Kinder im Islam erzogen werden und zweitens hatte die Frau einen Beruf und ging arbeiten. Da sie sich so selbst versorgen kann, fällt die Pflicht, dass der Mann als Ernährer auftritt, weg, und somit kann auch die entsprechende Vorschrift wegfallen. Diese Veränderung im rechtlichen Umgang ist interessant; hier wandeln sich die Religionsgemeinschaften punktuell.
Interessant sind auch die Erkenntnisse betreffend personaler und sozialer Religiosität.
MA: Die personale Religiosität, die persönliche Beziehung zu Gott, ist eine Ressource. Dort finden Menschen Kraft zur Erneuerung oder für einen Neustart. Konflikte entstehen eher in der sozialen Religiosität. Menschen, die eine gute persönliche Gottesbeziehung pflegen durch regelmässiges Gebet, Meditation usw. sind oft jene, die in der Beziehung eine Innovation finden. Wenn man es von der sozialen Religiosität her mit Normen versucht, wird es schwierig, dann erzwingt man Dinge.
SH: Die soziale Religiosität meint die Einbindung in die Kirchgemeinde oder in die Moschee sowie die Verwandtschaft. Die personale Seite ist die persönliche Beziehung zu Gott, die eigene Spiritualität. Beide Seiten können unterschiedlich geprägt sein. Wenn bei beiden Partnern die soziale Seite stark ist, beide also in ihrem jeweiligen religiösen Kontext eingebunden sind, die personale Seite aber schwach ausgeprägt ist, ist das eine schwierige Situation. Wenn von der sozialen Seite Druck kommt, z. B. in Form von Erwartungen, können sie dem von der spirituellen Seite nichts entgegensetzen. Wenn umgekehrt die soziale Seite schwach ist, also die Ursprungsfamilie und die Einbindung in die eigene Religion nicht da ist, aber die persönliche Seite ausgeprägt ist, treten kaum Probleme auf. Hier können die Paare ihre Ressourcen, ihre Spiritualität, wachsen lassen und sich über das Spirituelle verständigen. Wenn gleichzeitig auch die soziale Seite hoch ist, können Konflikte aufgrund ihrer persönlichen Spiritualität bewältigt werden. Mit einer schwach ausgeprägten personalen Seite kann man nur auf zwei Arten reagieren. Entweder ich unterwerfe mich der Institution oder ich trenne mich von der Institution. Beides ist nicht produktiv.
Interview: Rosmarie Schärer