Ein Gericht der Barmherzigkeit

Nicht viele Katholikinnen und Katholiken – selbst im kirchlichen Bereich – wissen, was die Apostolische Pönitentiarie ist, obwohl sie eine lange Geschichte hat.

Die Apostolische Pönitentiarie ist das älteste Dikasterium der Römischen Kurie. Die ältesten Dokumente, die von einem Grosspönitentiar berichten, stammen aus dem 12. Jahrhundert. Die Apostolische Pönitentiarie gehört zusammen mit der Apostolischen Signatur und der Römischen Rota zu den Apostolischen Gerichtshöfen.

Nur für das Forum internum

Die Apostolische Pönitentiarie ist kein gewöhnliches Gericht, weil sie ausschliesslich für das Forum internum zuständig ist. Wenn Menschen über das Forum internum sprechen, meinen sie normalerweise ein Gebiet der persönlichen Autonomie oder den Gewissensbereich der inneren Beziehung zwischen Gott und dem Gläubigen. Im Kirchenrecht ist das Forum internum eine «Modalität der Ausübung der Leitungsgewalt in der Kirche» (vgl. c. 130 CIC).

Diese Modalität ist verborgen (geheim) und ohne Öffentlichkeitscharakter. Das Forum internum besitzt folgende Merkmale:
a) Die Initiative zum Eintritt in das Forum internum kommt dem betroffenen Gläubigen zu. Niemand wird in der Kirche zum Forum internum gezwungen.
b) Das Forum internum ist eine Art von freiwilliger oder nicht streitiger Gerichtsbarkeit. Hier gibt es keine Parteien, die ihre eigenen Rechte verteidigen.
c) Die Verordnung ist immer geheim und erlassmässiger Natur. Es handelt sich immer um eine Lossprechung, eine Dispens, eine Heilung usw.
d) Die Ausübung des Forum internum ist direkt auf das Seelenheil ausgerichtet. Das «Salus animarum» (Seelenheil) ist das höchste Gesetz der Kirche (vgl. c. 1752 CIC).

Die Apostolische Pönitentiarie gewährt hauptsächlich Lossprechungen, Dispensen, Gnaden, Heilungen und Umwandlungen. Ihr wurde auch die Gewährung von Ablässen übertragen.

Es gibt bestimmte Fälle, in welchen das Kirchenrecht verlangt, sich an den Heiligen Stuhl zu wenden. Es ist wichtig, dass der Fall wirklich zum Forum internum gehört. Wenn etwas öffentlich bekannt ist, verliert die Apostolische Pönitentiarie ihre Zuständigkeit dafür und die Angelegenheit muss im Forum externum gelöst werden.

Tatstrafen bei Delikten

Es gibt einige Straftaten, für welche die Apostolische Pönitentiarie im Forum internum zuständig ist: die Verunehrung der eucharistischen Gestalten (vgl. c. 1367 CIC); die direkte Verletzung des Beichtgeheimnisses (vgl. c. 1388 § 1 CIC); die Lossprechung eines Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot (vgl. c. 1378 § 1 CIC); die Anwendung körperlicher Gewalt gegen die Person des Papstes (vgl. c. 1370 § 1 CIC); die Bischofsweihe ohne päpstlichen Auftrag (vgl. c. 1382 CIC).

All diese Straftaten werden mit einer Exkommunikation «latae sententiae» geahndet. Das bedeutet, dass die Strafe von selbst eintritt, allein dadurch, dass die betreffende Straftat begangen wurde. Bei diesen Straftaten ist deren Nachlass oder die Vergebung der entsprechenden Strafe dem Heiligen Stuhl vorbehalten. Die Apostolische Pönitentiarie ist noch für weitere Fälle zuständig.

Weihehindernisse durch Irregularitäten

Eine «Irregularität» ist ein kirchenrechtliches Verbot von dauerhafter Natur, das vom Empfang der heiligen Weihen ausschliesst oder die Ausübung empfangener Weihen unerlaubt macht, es sei denn, es wurde eine Dispens von der zuständigen Autorität erteilt.
Die Irregularitäten können ihre Ursache in einer Straftat haben, aber sie sind selbst keine kirchenrechtlichen Strafen. Daher kann auch ein Gläubiger von einer Straftat, die er begangen hat, losgesprochen sein und die Vergebung all seiner Sünden erhalten haben, aber trotzdem weiterhin «irregulär» bleiben, bis er eine Dispens erhält.

Die Irregularitäten schützen die dem Weihesakrament geschuldete Ehrfurcht und die Würde der Amtsträger. Da die Irregularitäten nicht den Charakter einer Strafe haben, befreit die Unwissenheit nicht von ihnen (vgl. c. 1045 CIC).
Eine Auflistung der Irregularitäten befindet sich im c. 1041 CIC. Auch wenn nicht für alle Irregularitäten die Dispens dem Heiligen Stuhl vorbehalten ist und in vielen Fällen der Ordinarius die Vollmacht zur Gewährung derselben besitzt, steht es den Gläubigen frei, sich auch in diesem Fall an die Apostolische Pönitentiarie zu wenden.

An die Apostolische Pönitentiarie muss man sich wenden, wenn ein Priester oder ein Kandidat zu den heiligen Weihen bei einer Abtreibung mitgewirkt hat. Bei Weihekandidaten ist die Dispensierung durch die Pönitentiarie nur möglich, wenn die Mitwirkung vor dem Eintritt ins Priesterseminar stattgefunden hat. Wenn es danach war, bekommt der Kandidat keine Dispens. Die Dispens der Irregularität wegen Mordes ist ebenso dem Heiligen Stuhl vorbehalten.

Heilung von ungültig geschlossenen Ehen

Die Apostolische Pönitentiarie kann den Gnadenerweis der Heilung einer ungültig geschlossenen Ehe gewähren, wenn es gerechte Gründe gibt, dass dies im Forum internum geschieht, z. B. wenn der berechtigte Wunsch besteht, dass die Tatsache der Heilung einer Ehe, die von allen als gültig angesehen wurde, nicht öffentlich bekannt wird. Damit die Heilung vorgenommen werden kann, muss ein wirklicher Ehewille vorhanden sein, aufgrund dessen angenommen werden kann, dass die beiden Partner weiterhin zusammenleben wollen.

Normalerweise ist die zuständige Autorität für die Heilung einer Ehe in der Wurzel der Diözesanbischof. Aber aus gerechten Gründen kann man sich auch an den Heiligen Stuhl wenden (vgl. c. 1165 CIC). Der Antrag kann auf Bitten von beiden oder von einem der beiden Ehepartner gestellt werden, auch ohne Wissen des anderen.  

Messverpflichtungen

Die Annahme einer Messintention und des dazugehörigen Stipendiums bedeutet für den Priester eine schwerwiegende Verpflichtung. Die Gerechtigkeit verlangt, dass er diese erfüllt, sei es, indem er die Messe selbst feiert, sei es, indem er dafür sorgt, dass ein anderer Priester es tut. Ein Priester, der nicht in der Lage ist, die Applikation der Messintentionen persönlich oder durch andere zu persolvieren, kann durch seinen Beichtvater um eine Reduktion ansuchen.

Die Apostolische Pönitentiarie reduziert unter Berücksichtigung der dargestellten Lage die Verpflichtung für den reuigen Priester, indem sie ihm auferlegt, eine geringere Zahl von Messen zu feiern oder durch andere feiern zu lassen. Der Rest der Messen wird durch den «Kirchenschatz» gedeckt. Der Grosspönitentiar muss in einer Privataudienz den Heiligen Vater über alle Fälle von Reduktionen der Verpflichtungen zur Feier von heiligen Messen unterrichten.

Fragen in einzelnen, konkreten Fällen

Die Pönitentiarie beantwortet Fragen zu Moral oder Kirchenrecht in einzelnen und konkreten Fällen, wenn ein Beichtvater nicht in der Lage ist, dem Pönitenten eine sichere und klare Antwort zu geben.
Ein Priester oder eine andere Person, die einen Zweifel im Bereich der Moral oder des Kirchenrechts hat, sollte freilich zunächst selbst nach einer Antwort suchen, etwa durch den Rückgriff auf Dokumente des Lehramts der Kirche oder Aussagen anerkannter Autoren. Aber da Priester in der Ausübung ihres Dienstamtes mit sehr komplexen Fragestellungen konfrontiert sein können, besteht immer die Möglichkeit, dem Gerichtshof der Apostolischen Pönitentiarie Fragen zu konkreten Fällen moralischer oder kirchenrechtlicher Art vorzulegen.

Schlussbemerkungen

Die Apostolische Pönitentiarie ist eine Einrichtung im Dienst der Beichtväter und der Pönitenten. Mit vollem Recht kann man sie ein «Gericht der Barmherzigkeit» nennen, da ihre Hauptaufgabe darin besteht, den Gläubigen, die durch Verstrickung in die Sünde ihr ewiges Heil gefährdet haben, bei der Versöhnung mit Gott und der Kirche zu helfen.

Das Vorhandensein des Forum internum in der Kirche ist ein Gut von unschätzbarem Wert, das manchmal nicht richtig verstanden wird, wenn man die Kriterien Gottes nicht kennt. Das Forum internum ist direkt auf das Seelenheil ausgerichtet und sein Bestehen ist von grossem Nutzen, damit Gläubige, ohne den Verlust ihres guten Rufs zu erleiden, ein neues Leben in Harmonie mit Gott beginnen können.

Carlos Encina Commentz


Carlos Encina

Msgr. Dr. Carlos Encina Commentz (Jg. 1964) promovierte an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom in Kirchenrecht und arbeitet seit 2006 beim Tribunal der Apostolischen Pönitentiarie. Er ist zudem Koadiutor des Petersdomkapitels.