«Die Väter essen saure Trauben, und den Söhnen werden die Zähne stumpf», so formuliert das Buch Ezechiel (18,2) ein in Israel benutztes Sprichwort. Das Thema, wie weit kommende Generationen in ihren Entscheidungen wirklich frei und wie weit sie durch ihre Ahnen geradezu vorprogrammiert im Gelingen und Scheitern sind, beschäftigte um die Wende zum 20. Jahrhundert viele Literaturschaffende. Henrik Ibsen etwa beantwortete in seinem Familiendrama «Gespenster», uraufgeführt 1882, die Frage äusserst drastisch: Die stumpfen Zähne der Söhne (in diesem Fall durch die Syphilis drastisch verfremdet) sind schon von Geburt an ihr Schicksal. Vor allem Männer, Väter und Söhne, sind es, die als Täter und Opfer auftreten.
Aussichtsloses Schicksal
John Steinbeck (1902–1968) geht 1952 in einer anderen Epoche der Literaturgeschichte das Thema mit «East of Eden» aufs Neue an. Vielen von uns wurde der Roman zunächst mit der Verfilmung (1955 durch Elia Kazan mit James Dean als Cal in seiner ersten grossen Rolle) vertraut. Doch ist gerade die Verfilmung eine arge Verfälschung und Verkürzung des monumentalen Werkes, von dessen vier Hauptteilen nur gerade der vierte zum Inhalt gemacht wird. Das Lesen des ganzen Werkes erschliesst uns eine gewaltige Auslegeordnung dessen, was «jenseits von Eden», ausserhalb der Geschütztheit des Paradieses, Vätern und Söhnen zugemutet wird. A und C stehen für Abel und Cain: Zweimal, einmal an der US-Ostküste in der Zeit nach dem Bürgerkrieg mit den Brüdern Adam und Charles und ihrem Vater Cyrus, und dann in der goldenen Aufbruchszeit in Kalifornien mit Adam und seinen Zwillingssöhnen Cal und Aron wiederholt sich das biblische Drama um die Bevorzugung des einen («guten», gesitteten, moralischen) Sohnes gegenüber seinem Bruder und den Abgründen der Gewalttätigkeit, die solches Unrecht schafft. Die Familie Trask ist geradezu gestraft von solchem Sippen-Schicksal und Steinbeck stellt ihr provokativ die Geschichte der Familie des «gerechten» Samuel Hamilton in immer wieder kontrastierenden Bildern entgegen. Sam ist der Gottgerechte, aber wirtschaftlich Erfolglose, der im rauen Steinland Landwirtschaft betreibt; Adam ist der Wohlhabende, der seine Riesenvilla aber nie bezieht und sich schliesslich auch noch verspekuliert.
Die Bevorzugung des Sohnes mit dem Namen A, die Überzeugung, dass sich im Sohn mit dem Namen C alles Böse der Familiensaga inkarniert, dieser Schatten, der da über junge Menschen geworfen wird, wird von Steinbeck mit der literarisch einmaligen Gestalt der Schreckensmutter schlechthin, Kate, der Mutter der Zwillinge, ins Grauenhafte gesteigert. Wir sind in der Literaturgeschichte ja einiges gewöhnt von Klytämnestra bis Anne Bäbi Jowäger, aber Kate Trask, Mörderin ihrer Eltern schon als Kind, ihre Neugeborenen im Stich lassend und als kaltblütige Bordellbesitzerin endend, schlägt sie alle. Wer nur den Film gesehen hat, begreift nichts von der Monstrosität dieser Person!
All diesem Glauben an Schicksal und Aussichtslosigkeit entgegen steht im Roman Lee, der asiatische Diener der Familie Trask, der Gebildete, der sogar Hebräisch lernt und sich seinen Lebenstraum erfüllt und am Ende einen Buchladen betreibt. Er ist es auch, der den Text über Kain im Buch Genesis gegen den Strich deutet («thou shalt rule over him», frei übersetzt «du kannst das Böse beherrschen») und das Wort «timschal» («du kannst») als Codewort zur Versöhnung und Auflösung des Konflikts für Vater und Sohn anbietet.
«Die beiden sind sehr verschieden voneinander. Sie könne sich nicht vorstellen, wie sehr […] Sie sind wie zwei Seiten einer Medaille. Cal ist scharf, dunkel, immer auf der Hut, sein Bruder aber […] nun, das ist ein Junge, den man lieb hat, bevor er ein Wort sagt, und dann noch lieber.» «Und du magst Cal nicht?» «Ich verteidige ihn immer […] vor mir selbst. Er ringt um sein Leben […] aber sein Bruder braucht nicht zu ringen.» (Gespräch zwischen Samuel und Lee im dritten Teil des Romans)1
Heinz Angehrn