«Wir wollten eine lebendige traditionelle Kirche erleben», erinnert sich Martin Stoessel zurück, «so sind wir in der Holy Trinity Brompton gelandet.» In der anglikanischen Kirche im Herzen Londons fanden Martin und seine Frau Rachel während ihres Auslandsaufenthaltes ein geistliches Zuhause. Was sie beeindruckte: Der Glaube dieser Leute löste Freude aus. Martin hatte seinen Glauben bis dahin als so anstrengend und trocken empfunden, dass er dachte, er schaffe es nicht, ihn bis ans Ende seines Lebens durchzuhalten. Wie gelingt es diesen Leuten bloss, mit einer solchen Freude und Leichtigkeit zu leben?, fragte er sich. An jedem Abend, nach jedem Input liess er für sich beten. Und wie es in Röm 5,5 beschrieben wird, erlebte er, wie der Heilige Geist die Liebe des Vaters in sein Herz ausgoss.
Der Weg in die Schweiz
An dem, was sie in England erlebten, wollten sie auch ihre Freundinnen und Freunde in der Schweiz teilhaben lassen. Die Kirche konnten sie nicht mitnehmen, aber Alphalive. Alphalive ist der Glaubensgrundkurs der Holy Trinity Brompton, durch den jedes Jahr viele Menschen zum Glauben an Jesus Christus finden. Er hat als eine Art Mitgliederkurs im Jahr 1977 gestartet mit dem Ziel, neuen Kirchenmitgliedern die Grundlagen des christlichen Glaubens und ihre Werte als Kirche näherzubringen. 1990 übernahm Nicky Gumbel die Verantwortung dafür und realisierte bald, dass immer mehr Menschen am Kurs teilnahmen, die nicht nur keinen Bezug zu ihrer Kirche, sondern keinen Bezug zur Kirche generell hatten. So begannen sie, Alphalive evangelistisch ausgerichtet einzusetzen und kirchenfernen Menschen einen Zugang zum christlichen Glauben zu ermöglichen.
Da war dieser Mann aus der IT-Branche, der am ersten Alphalive, den Martin und Rachel in der Schweiz durchführten, teilnahm. Sachlich, rechnerisch, scheinbar unberührt von den Inhalten. Er kam mit an das Alphalive-Wochenende, ein Herzstück von Alphalive, an dem sich viele Menschen für eine persönliche Begegnung mit Gott öffnen. Nach dem Alphalive-Wochenende dachte sich Martin: «Oh Mann, jetzt habe ich verpasst, mit ihm zu reden!» Er hätte sich gewünscht, für ihn beten zu dürfen. Erst später erfuhr er, was diesem Mann auf der Heimfahrt widerfuhr. Im Auto hatte er eine Gottesbegegnung, 72 Stunden lang konnte er nicht schlafen. Er habe sich verliebt in Gott, er habe sich neu verliebt in seine Frau. Sein Zeugnis war ein Feuer, das andere ansteckte.
Immer mehr Pastoren und Priester erfuhren von den Geschichten von Menschen, deren Leben von Gott sichtlich berührt und verändert wurde. Plötzlich hörte man, dass Leute in traditionellen Kirchen in der Schweiz zum Glauben kamen. Das sorgte für viel Aufruhr. Die Reaktion war jeweils: «A: Das geht doch gar nicht. B: Wie macht ihr das denn?» Immer mehr Kirchen starteten mit Alphalive. Heute wird der zehnwöchige Glaubensgrundkurs in der ganzen Schweiz von rund 300 Kirchen durchgeführt, jährlich nehmen ca. 4000 Menschen an einem Alphalive teil. In den letzten 25 Jahren haben über 150 000 Menschen den Kurs besucht.
Durch Kollegen oder online
Einer dieser 150 000 Menschen war Ramon aus dem Wallis. Er ist in einer katholischen Familie aufgewachsen und ging am Sonntag zur Messe. Der Glaube wurde zu Hause fast nie infrage gestellt. Doch er wusste: Das kann nicht reichen. Der Gymnasiallehrer aus Brig wurde von seinem Kollegen zu einem Alphalive eingeladen. Alphalive brachte Ramon dazu, sich Fragen zum Glauben zu stellen: Warum bin ich hier? Was ist der Sinn des Lebens? Er fragte sich, ob es einen Himmel und ein Ziel im Leben gäbe. Und wie er jetzt so leben könne, um dieses Ziel zu erreichen. Ramons Gottesbild ist von «entfernt in einer Wolke» nun realer und alltagsbezogener geworden. Er ist überzeugt: Jesus ist mit ihm, wohin er auch geht. Egal, ob im Ausgang oder während des Sports, jederzeit kann er ihn fragen, was er in seiner Situation tun würde. Durch die persönliche Beziehung zu Jesus hat Ramon Gewissheit im Glauben erhalten. So, dass er wirklich sagen kann: Jesus ist nicht nur eine historische Gestalt, sondern eine Person, mit der er jeden Moment reden kann. Ramon weiss, dass er Jesus vertrauen kann.
Dieses Jahr habe ich einen Alphalive Online mit Freundinnen durchgeführt, die ich aus meiner Gymnasialzeit in Luzern kenne. Zu meiner Überraschung hat sich eine Gruppe von acht Teilnehmenden formiert, die nach dem Alphalive weiter miteinander unterwegs sein wollen, um Bibel zu lesen. Dieses Online-Format sprach nicht nur meine Freunde an, sondern erreicht heute viele Leute, die keinen Fuss in die Kirche setzen würden.
Martin und Rachels Suche nach einem lebendigen Glauben hat in der Schweiz viele Türen geöffnet für andere Menschen wie Roman, die heute zu einem lebendigen Glauben finden dürfen. Den Glauben an einen realen Gott, dessen Geist uns Hoffnung, Freude und Friede schenkt.
Zugang zu einem persönlichen Glauben
Im Alphalive werden die Basics des christlichen Glaubens vermittelt. Die Episoden der dazugehörenden Filmserie sind aufeinander aufbauend und beantworten Fragen wie: Warum und wie bete ich? Wie kann man in der Bibel lesen? Wie führt uns Gott? Die Idee ist nicht, dass man sich durch einen Alphalive theologisch weiterbildet, sondern dass kirchenferne oder am christlichen Glauben interessierte Personen einen Zugang zu einem persönlichen Glauben finden können und die christlichen Grundlagen verständlich vermittelt erhalten.
Der Fokus liegt vor allem zu Beginn stark auf Jesus; wer er ist und warum er starb. Am bereits erwähnten Wochenende setzt man sich mit der Person und dem Wirken des Heiligen Geistes auseinander. Am Wochenende wird auch eine Gebetszeit gestaltet, in der die Teilnehmenden die Möglichkeit haben, den Heiligen Geist zu empfangen. Der Heilige Geist wird dabei als gegenwärtige Person der göttlichen Dreieinigkeit und als verändernde Kraft in der Transformation zu einem neugeborenen Menschen in Jesus Christus willkommen geheissen. Der Umgang mit seinem Wirken wird mit Weisheit und Unaufgeregtheit eingeführt. Besonders in unserer Zeit, in der Menschen Spiritualität ausserhalb der Kirche suchen, sind geistliche Erfahrungen Gottes ein Schlüssel zum Glauben. Viele beginnen mit solchen Erfahrungen, Gott nicht nur mit dem Verstand zu erfassen, sondern öffnen ihren Geist für eine Begegnung mit ihm. Die Kultur bei Alphalive ist stark prägt von 1 Kor 2,1–5: Hier schreibt Paulus über Christus den Gekreuzigten und dass es sein [Paulus] Anliegen sei, dass der Glaube der Gemeinde in Korinth nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft gründe. So ist das Ziel der Inhalte und des Aufbaus von Alphalive, dass Menschen Evangelisation in dem Sinne erleben, wie es Papst Benedikt XVI. zusammenfasste: «Das Ziel der Evangelisation ist es, die Menschen zu Jesus Christus zu bringen, sodass sie vom Heiligen Geist erfüllt werden und Gott den Vater kennenlernen können.»
Ein Konzept, 169 Länder
Während 13 Jahren führte die Holy Trinity Brompton Alphalive durch und niemanden interessierte es. Es gab keine Strategie dahinter, die Welt damit zu evangelisieren. Warum das Konzept sich plötzlich verbreitete, liegt wohl an seiner Kompatibilität für jeden kirchlichen Kontext. Alphalive befasst sich mit den grundlegenden Themen des christlichen Glaubens. Weltweit wird Alphalive in 169 Ländern in jedem kirchlichen Kontext durchgeführt – von katholisch über reformiert bis hin zu freikirchlich. Theologisch unterschiedlich definierte Themen wie das Sakrament der Taufe werden bewusst offengelassen. In der Schweiz finden sogar interdenominationale Alphalives statt, die von mehreren Kirchen derselben Region gemeinsam durchgeführt werden. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit erleben die Kirchen fruchtbringende Zusammenarbeit und herzliche Verbundenheit. Alphalive fördert dadurch die Ökumene und setzt gegen aussen hin ein Zeichen der Einheit in Jesus Christus. Auf «dass die Welt glaube» (Joh 17,20–21).
Florina Haxhimurati