Ein Spiegel der Klostergeschichte

Klosterbibliotheken sind Wissensspeicher der abendländischen Kultur und Zeuge der Geschichte, so auch jene des Benediktinerklosters Mariastein. Diese wird aktuell reorganisiert. Im Gespräch mit Gabriella Hanke Knaus.

Ein wahrer Schatz: Der historische Buchbestand. (Bild: Silvan Dietrich)

 

Frau Hanke Knaus, welche Bedeutung hat für Sie eine Klosterbibliothek und die von Mariastein im Besonderen?
Gabriella Hanke Knaus: Klosterbibliotheken vermitteln ein über Jahrhunderte gesammeltes «Universalwissen». Sie verstehen sich als Wissensspeicher der abendländischen Kultur. An dieser Grundhaltung hat sich in der Ausrichtung der benediktinischen Klosterbibliothek bis heute erstaunlich wenig geändert, auch wenn die grossen wissenschaftlichen Bibliotheken heute die Funktion des Wissensspeichers übernommen haben. Faszinierend und bedeutungsvoll bei Klosterbibliotheken ist die Tatsache, dass der über viele Jahrhunderte gesammelte Buchbestand Aufschluss gibt, welche Themen aus den Bereichen Theologie, Geschichte, Bildende Kunst, Musik, Philosophie und Naturwissenschaften im Kloster zu einem bestimmten Zeitpunkt gelesen und studiert wurden. Die Bibliothek des Klosters ist somit auch immer ein Spiegel seiner Geschichte. Diese Feststellung trifft im Besonderen auch auf die Mariasteiner Klosterbibliothek zu.

Die Klosterbibliothek wird reorganisiert. Weshalb ist eine Reorganisation nötig?*
1971 wurde das Kloster Mariastein staatsrechtlich wiederhergestellt. Zehn Jahre später kehrten die Mariasteiner Mönche aus Altdorf nach Mariastein zurück. Die dortige klostereigene Bibliothek kam nach Mariastein. Im Frühjahr 1982 kam die Bibliothek des Sankt-Gallus-Stiftes Bregenz1 nach Mariastein zurück. Während der gesamten Exilzeit von 1874 bis 1970 haben die Mariasteiner Mönche, welche im Auftrag des Kantons Solothurn die Wallfahrt betreuten, hier im Kloster eine weitere Bibliothek angelegt. Ab 1998 kamen zudem rund 2500 Werke der sogenannten «alten Klosterbibliothek vor 1874» nach Mariastein zurück. Nach der staatsrechtlichen Wiederherstellung galt es, die Bücherbestände aus verschiedenen Orten zusammenzuführen, Dubletten zu eliminieren, das weite thematische Spektrum zu einer einheitlichen und gut zugänglichen Bibliothek zu formen und die Bücher zu katalogisieren. Mit dieser immensen Aufgabe hat P. Lukas Schenker bereits 1981 angefangen; ich darf sie nun seit 2016 im Projekt «Reorganisation Klosterbibliothek» weiterführen. Mit dem Umbau der Bibliothek ist eine markante Etappe der Reorganisation erreicht.2 Jetzt gilt es, eine der zentralsten Aufgaben der Reorganisation umzusetzen – den Neuaufbau des historischen Buchbestandes und seine Katalogisierung.

Was ist in der Bibliothek neu gegenüber vorher?
Neu in der Bibliothek sind zwei Aspekte: Die räumliche Umgestaltung bietet den Benutzern erstmals an, in der Bibliothek lesen und arbeiten zu können. Als Institution Bibliothek öffnet sich die Mariasteiner Klosterbibliothek gegen aussen: Einerseits wird der digitale Bibliothekskatalog weltweit zugänglich sein, andererseits werden spezifische Interessengruppen die Bibliothek nach Voranmeldung nutzen können.

Welches ist für Sie das kostbarste Buch in der Klosterbibliothek Mariastein?
Es sind mehrere Bücher. Es gibt einerseits Bücher, die «wertvoll» sind, weil es sich um Unikate handelt. Dazu gehören sicher alle Handschriften der Klosterbibliothek wie beispielsweise die Handschrift «S. Bernardus Claraevallensis, Opuscula Selecta» – ein Codex, niedergeschrieben am Ende des 15. Jahrhunderts mit ausgewählten Werken des heiligen Bernhard von Clairvaux. Für mich ist diese Handschrift deshalb bedeutsam, weil sie eines der wenigen Schriftzeugnisse der Klosterbibliothek ist, welches aus dem Ursprungsort des Klosters in Beinwil stammt und 1648 mit der Verlegung des Klosters den Weg nach Mariastein fand. Wertvoll sind für mich auch alle Bücher, aus denen deutlich wird, dass sie Anregung zum Diskurs gaben. Die zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen, insbesondere in Büchern aus dem Fachbereich der Theologie, zeugen davon, dass der Text nicht einfach «konsumiert» wurde, sondern eine kritisch reflektierende Auseinandersetzung mit dem Gelesenen stattfand. Dem heutigen Leser wird damit ein Einblick in den theologischen Diskurs früherer Zeiten ermöglicht.

Interview: Maria Hässig

 

1 Das Sankt Gallus-Stift Bregenz war Sitz des Klosters von 1906 bis 1941.

2 Die Einweihung der umgebauten Klosterbibliothek wird am 2. Juli stattfinden.

* Die Reorganisation der Klosterbibliothek von Mariastein dauert bis 2026. Sie steht im Kontext des Gesamtprojekts «Aufbruch ins Weite – Mariastein 2025». Dieses Projekt haben die Benediktinermönche von Mariastein 2016 initiiert mit dem Ziel, die Zukunft des Klosters und des Wallfahrtsortes langfristig  zu sichern. Dafür sind sie auf vielseitige Unterstützung angewiesen. Weitere Informationen: www.kloster-mariastein.ch/projekte


Interviewpartnerin Gabriella Hanke Knaus

Gabriella Hanke Knaus (Jg. 1959) ist promovierte Musikwissenschafterin, Archivarin und wissenschaftliche Bibliothekarin (MAS ALIS). Sie studierte an der Universität Bern Musikwissenschaft, neuere deutsche Literatur sowie Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Seit 2016 leitet sie die Reorganisation der Klosterbibliothek Mariastein.

 

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