Im «Katholischen Eheseminar» im Kanton Zürich engagieren sich u. a. Ehepaare aus neuen kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften. Ich traf mich mit Stefan Pfister- Gut und Markus Neurohr-Schäfer zu einem Gespräch. Zu diesem Gespräch lud ich auch Dr. Rudolf Vögele ein. Zu Beginn interessierte mich die Geschichte des «Katholischen Eheseminars Zürich».
Herr Neurohr, wie ist das «Katholische Eheseminar Zürich» entstanden?
Markus Neurohr (MN): Ich kannte noch einige Gründerehepaare und war beeindruckt von ihrem Engagement. Das «Katholische Eheseminar Zürich» entstand in einer Zeit, wo Gruppierungen und Vereine ins Leben gerufen wurden. Die jungen Paare wollten selbständig etwas auf die Beine stellen. Sie klagten über die dürftige kirchliche Ehevorbereitung. Sie wollten mehr. Im Jahr 1962 fassten sie den Plan, ein Eheseminar für Brautleute anzubieten. 1964 war es soweit. Das erste Seminar konnte durchgeführt werden. Das katholische Eheseminar besteht nun seit 57 Jahren. Während diesen Jahren kam es immer wieder zu kleineren und grösseren strukturellen Veränderungen. So wurde beispielsweise 1997 das «Katholische Eheseminar» als Verein konstituiert. Vor rund zehn Jahren fand wieder ein für uns segensreicher Wandel statt. Es kam zu einer engeren Zusammenarbeit mit dem Generalvikariat. Eine Vertretung der katholischen Kirche im Kanton Zürich ist nun statutengemäss bei uns im Vorstand. Ich erfahre eine hilfreiche Unterstützung von dieser Seite. Ich bin sehr dankbar dafür. Sowohl das Generalvikariat als auch der Synodalrat schätzen unsere Arbeit und lassen uns die nötige Freiheit.
Rudolf Vögele (RV): Ja, der Verein ist eigenständig. Im Seelsorgerat kam schon vor langer Zeit der Wunsch auf, eine Dienststelle für Ehe- und Familienpastoral zu errichten. Der damalige Generalvikar Josef Annen fragte in die Runde: «Wieso sollen wir eine Dienststelle einrichten, wenn wir hier im Kanton Zürich das ‹Katholische Eheseminar› haben? Es existiert schon seit vielen Jahren und hat sich bewährt.» So nahmen wir vom Generalvikariat Kontakt mit dem Verein auf. Das Ergebnis der Gespräche war: «Wir vom Generalvikariat unterstützen den Verein.» Es wurde eine Leistungsvereinbarung mit der Kantonalkirche getroffen. Der Verein führt nun seine Ehevorbereitungskurse im Auftrag der Kirche durch. Als Leiter des Ressorts Pastoral im Generalvikariat Zürich-Glarus bin ich Delegierter im Vorstand des Vereins.
Herr Pfister, was waren die zentralen Anliegen und Ziele der Gründerehepaare?
Stephan Pfister (SP): Ihr Anliegen und ihr Wunsch waren, junge Ehepaare zu begleiten und auf ihrem Weg zu unterstützen. Die Initiative kam von jungen Ehepaaren, die sich von der Jungmannschaft und weiteren Gruppierungen her kannten und bemerkten, dass junge Ehepaare und junge Familie den Wunsch nach mehr Information und Begleitung haben. So entstanden zu den Ehevorbereitungskursen auch die sogenannten Ehesonntage für junge Ehepaare und Familien. Das Konzept ist bis heute dasselbe geblieben: Ehepaare verantworten die Ehevorbereitungskurse. Die Begleitehepaare treten als Gastgeber auf. Sie heissen die jungen Paare als Gäste willkommen und begleiten sie durch den Tag oder das Wochenende. Die Seminare leben von unserer Begeisterung und unserem Engagement.
RV: Ich bewundere die Pionierleistung der Gründerehepaare und das Engagement aller bisherigen Begleitehepaare. Da ist so viel eigener Antrieb. Als Pastoralamtsleiter unterstütze ich das sehr gerne und dankbar.
Herr Neurohr und Herr Pfister, Sie sind je in einer kirchlichen Bewegung geistlich beheimatet. Inwieweit ist diese Beheimatung Impulsgeber und Stärkung für Ihr Engagement?
MN: Die «Erneuerung aus dem Geist» führt meine Frau und mich stets neu zum Boden unseres Glaubens, in die persönliche Beziehung mit Jesus. An den Ehevorbereitungskursen bringe ich über verschiedene Tools die spirituelle Dimension ein. Ich helfe den jungen Paaren, Gott in ihrer Beziehung zu entdecken. Hierfür arbeite ich gerne mit der Skulptur «La Cathédrale» von Auguste Rodin. Die Hand der Frau und die Hand des Mannes bilden zusammen die Kathedrale. Ehepaare sind ein Ort der Anwesenheit Gottes. Diese Gegenwart Gottes in ihrem Miteinander zu entdecken, dazu lade ich die jungen Paare ein. Gott hat sie einander geschenkt. Das verändert oft etwas die Sicht der jungen Paare aufeinander. Meine Frau liebt es zu dekorieren. Sie gestaltet deshalb stets den Kursraum und schaut für das leibliche Wohl. Sie schafft so eine Atmosphäre des Willkommens. So bringen wir beide je unsere Begabungen in die Kurse ein. Die jungen Paare erleben, wie wir als lang verheiratetes Ehepaar gemeinsam im christlichen Glauben unterwegs sind.
SP: Meine Frau und ich engagieren uns bei «Chemin Neuf». Da machen wir bei der «Kanabewegung» mit. Diese Beheimatung hilft mir, die Hoffnung in der Kirche zu behalten. Ich kann hier auftanken, gerade angesichts der ermüdenden Strukturdiskussionen. Bei «Chemin Neuf» erlebe ich engagierte Menschen, die an gemeinsamen Wochenenden oder in Ferienzeiten Kraft tanken und Inspiration holen für ihr Engagement in den Pfarreien.
Herr Vögele, was schätzen Sie an dieser Beheimatung?
RV: Ich nehme Markus Neurohr und Stephan Pfister zuerst als gläubige Menschen wahr. Ich staune über ihr Engagement, ihre Motivation und ihr Durchhaltevermögen.
In «Kirche und Pastoral betreten ‹Heiligen Boden›» wird das Zusammenspiel von Kirche und in der Paar- und Familienpastoral engagierten Bewegungen gewünscht. Wie erleben Sie das Zusammenspiel?
SP: Das Zusammenspiel funktioniert sehr gut. Wir finden bei Rudolf Vögele offene Türen für unsere Anliegen, Fragen und Schwierigkeiten. Und er erzählt uns, was aus seiner Sicht wichtig wäre. So kommen wir ins Gespräch. Bei Rudolf Vögele nehme ich ganz viel Herzblut für das «Katholische Eheseminar» wahr.
MN: Ich sehe das, was wir im «Katholischen Eheseminar Zürich» leben, als Umsetzung von Synodalität. Alle bringen ihre persönlichen Begabungen ein. Wir sind zu einem Team zusammengewachsen, das trägt und Kraft hat. Seit der engeren Zusammenarbeit mit dem Generalvikariat haben wir mehr Möglichkeiten, unsere Wünsche und Ideen zu realisieren. So beteiligen wir uns nun jährlich Anfang Januar bei dem ökumenischen Stand beider Kirchen an der Hochzeitsmesse. Die grosse Frage bleibt: Erreichen wir als Kirche die Menschen noch?
SP: Seit wir die neue Webseite haben, kommen manchmal auch Paare aus dem Glarnerland, dem Aargau, aus Bern oder dem Bündnerland. Rund 90 Paare besuchen jährlich unsere Ehevorbereitungskurse. Darunter sind immer auch Paare, die mit der Kirche nichts mehr am Hut haben. Etwa die Hälfte der Paare werden im Ausland heiraten. Sie brauchen dafür das Zertifikat. Uns ist es ein Herzensanliegen, dass die jungen Paare – auch wenn sie den Kurs besuchen «müssen» – eine positive Kirchenerfahrung machen und von der Kraft des Evangeliums berührt werden. Es ist unser Beitrag zur Glaubensweitergabe.
RV: Das «Katholisches Eheseminar» ist kein Sondermodell, anderswo ist es anders geregelt. Zürich ist ein Sonderfall, da das «Katholische Eheseminar» ein Verein ist. Markus Neurohr meinte mit Synodalität die gemeinsame Verantwortung, den Glauben weiterzugeben. Die Ehepaare weisen einen grossen Schatz an Erfahrungen und Lebenswissen auf. Manche haben Weiterbildungen besucht, um diese Aufgabe der Ehevorbereitungskurse zu optimieren. Ich bin der Ansicht, dass wir wegkommen müssen von der Hauptamtlichkeit. Diese Verantwortung ist so weit wie möglich den Eheleuten zu geben. Wenn sich jemand in Ehe und Familie auskennt, dann sind es Ehepaare. Bei ihnen kommt authentisch rüber, was sie erzählen. Als ich in der Schweiz in der Kirche zu arbeiten begann, beobachtete ich viel mehr als im Erzbistum Freiburg ein Lechzen nach Hauptamtlichen. Kam eine Idee auf, stand vielfach sofort die Frage im Raum: «Haben oder bekommen wir dafür mehr Stellenprozente?» Mich dünkt, die Kirche krankt an zu viel Professionalität.
SP: Mir ist es ein Anliegen, dass die Seelsorgenden die jungen Paare auf das «Katholische Eheseminar» aufmerksam machen. Der Pfarrer hat offiziell den Auftrag, die zukünftigen Ehepaare auf die kirchliche Trauung vorzubereiten. Er kann die Paare auf unsere Kurse verweisen. Aus Erfahrung und den Rückmeldungen weiss ich, dass die Kurse für die jungen Paare stets ein Gewinn sind.
Welche Impulse entnehmen Sie «Amoris Laetitia» für Ihr Engagement im «Katholischen Eheseminar»?
SP: «Amoris Laetita» gibt mir Hoffnung für die Paare und Familien in der Kirche.
MN: Mir ist es wichtig, den jungen Paaren den Reichtum der Bibel zu erschliessen. An den Ehevorbereitungskursen gebe ich jeweils Impulse zum Wort Gottes. Im vierten Kapitel von «Amoris Laetitia» schrieb Papst Franziskus lebensnahe und fürs eheliche Leben anregende Gedanken zu 1 Korinther 13. Beispielsweise zu «Die Liebe erträgt alles und entschuldigt alles». Ja, was heisst das konkret? Franziskus gibt hier hilfreiche Impulse. Oder ich lese mit den Paaren Verse aus dem 15. Kapitel des Johannesevangeliums und versuche, den verliebten Paaren das Wort Gottes auf ihre Situation hin neu zu erschliessen.
SP: In «Amoris Laetitia» kommt stark die Sorge um die Verletzlichkeit der Beziehung in der heutigen Welt zum Ausdruck. Wir haben den Auftrag, an unserer eigenen Beziehung zu arbeiten und Paare zu ermutigen, durch Beziehungskrisen zu finden und daran zu reifen.
Herr Vögele, was beeindruckt Sie persönlich an «Amoris Laetitia»?
RV: Mich hat die Entstehungsgeschichte von «Amoris Laetitia» beeindruckt: die breit angelegten Umfragen zuvor, dann die zwei Synoden. Als das postsynodale Schreiben noch in Arbeit war, hat der Seelsorgerat mit der Fachstelle Religionspädagogik eine Tagung für Hauptamtliche vorbereitet. Der Titel lautete zunächst: «Gott in den Familien suchen». Dann wurde «Amoris Laetitia» veröffentlicht. Und mir wurde klar, «Gott in den Familien suchen» ist nicht unser Auftrag als Hauptamtliche. Unser Auftrag ist es vielmehr, den Ehepaaren zu helfen, in ihrer Partnerschaft und in ihrer Familie Gott zu entdecken. Papst Franziskus betont es in diesem Schreiben mehrfach: Gott ist schon da! Das erfordert eine pastorale Umkehr! Gott ist da, bevor wir Hauptamtliche kommen. Dementsprechend wählte die Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz für ihre Arbeitshilfe auch den Titel: «Kirche und Pastoral betreten ‹Heiligen Boden›». Schöner kann man den neuen Ansatz der Partnerschafts-, Ehe- und Familienpastoral nicht zum Ausdruck bringen.
Interview: Maria Hässig