Ein eigenartiges Buch, ein Monster voller Wut und Rachsucht, und doch ein Meilenstein in der Literaturgeschichte, weil hier ein ganz übles Kapitel Geschichte aus dem Moment und in (leider) klarster Prophetie heraus am Beispiel eines einzigen Menschen erzählt wird. Ein Buch zudem, das (vor seiner Oscar-prämierten Verfilmung: István Szabó, 1981, mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle) auch ein eigenartiges Veröffentlichungsschicksal erlebte: War es während der NS-Diktatur in Deutschland natürlich verboten und gebannt, wurde seine Veröffentlichung in der BRD noch während Jahrzehnten gerichtlich (1966 wegen «postmortalem Persönlichkeitsschutz») untersagt. Die dem Rezensenten vorliegende Ausgabe des Rowohlt-Verlages erschien 1981 trotzdem. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, die Sache, um die es geht, aber keineswegs: Haben Kunst und Künstler Anspruch auf Narrenfreiheit oder müssen auch sie ethischen (Mindest-)Standards genügen?
Karriere um jeden Preis
Es geht um Gustaf Gründgens (1899–1963), einen der erfolgreichsten deutschen Schauspieler vor, während und nach der NS-Diktatur. Seine Interpretation des Mephisto in Goethes «Faust» war und ist so stilbildend, dass auch Schweizer Gymnasiasten Anfang der 70er-Jahre davon wussten! In der NS-Diktatur war er unter dem persönlichen Schutz Hermann Göhrings stehend Generalintendant der Berliner Theater. Um seiner Karriere willen verbarg er seine Homosexualität, distanzierte sich von früheren Weggenossen, ging eine Pseudo-Ehe ein und zögerte nicht, die Entscheidungen des Propagandaministeriums, wahre deutsche Literatur betreffend, umzusetzen. Nach überstandenem Entnazifizierungsverfahren stand er schon 1946 erneut auf der Bühne und spielte wieder das vorher verfemte Repertoire. Im Alter adoptierte er seinen Lebenspartner und setzte ihn zum Erben ein, auch um des Persönlichkeitsschutzes post mortem willen.
In seinen wilden jungen Jahren in Hamburg gehörte Gründgens zu einer Künstler-Clique um die Geschwister Erika und Klaus Mann (1906–1949). Männlein und Weiblein gingen übers Kreuz Beziehungen ein, schliesslich kam es gar zu einer Eheschliessung mit Erika Mann. Die Ehe hielt drei Jahre. Während die Familie Mann vor der Barbarei ins Exil flüchtete, arrangierte sich Gründgens mit den Verhältnissen und machte Karriere. Das verzieh ihm sein Ex-Schwager und Ex-Lover Klaus nie, und wie der 1936 gerade wieder mal Schreibmaterial suchte, um finanziell über die Runden zu bringen, entstand «Mephisto».
Erschütternd realistisch
Fast alle Figuren des Romans sind historischen Gestalten zugeordnet – selbst Vater Thomas taucht als «Geheimrat Bruckner» darin auf. Gründgens heisst nun Hendrik Höfgen, zeigt ständig ein aalglattes «aasiges» Lächeln und steigt die Karriereleiter empor, ständig bangend, dass ihn seine alten Kontakte kompromittieren könnten. In rechter Boshaftigkeit weigert sich Mann, ihn als homosexuell darzustellen und verfremdet ihn zum sexuell Gestörten, der dominante verruchte Frauen braucht. Nur schon diese Anlage des Romans und sein Bezug zu vielen damals bekannten Persönlichkeiten (wie etwa Carl Sternheim1, Max Reinhardt2 und Gottfried Benn3) macht ihn zum süffisanten Lesevergnügen. Als Höhepunkt ist aber zu nennen, wie Klaus Mann schon im Jahr 1936 alles voraussah, den Weltkrieg, die Barbarei des Holocaust und die totale Niederlage. Ein erschütternd realistischer Roman, aber leicht zu lesen.
«Ich hasse dich überhaupt nicht.» Der Prinz hatte ein verächtliches Achselzucken. «Ich habe gar keine Beziehung zu dir. Du bist nicht meinesgleichen. Du hattest die Wahl, mein Lieber: zwischen der Vornehmheit und der Karriere. Nun, du hast dich entschieden. Sei glücklich, aber lass mir meine Ruhe» (imaginäres Gespräch zwischen Höfgen und der Theaterfigur Hamlet).4
Heinz Angehrn