Freiheit und Kernaufgaben

Die Arbeit in der und für die Kirche kann nur gelingen, wenn eine lebendige Gottesbeziehung besteht. Doch wie können in der Kirche Tätige Beruf und Spiritualität in Einklang bringen?

Auch Seelsorgende müssen ihre Spiritualität pflegen. (Bild: Aaron Burden)

 

Wer sich im kirchlichen Dienst engagiert, kann darin Freude erfahren und kennt auch die aufreibende Seite dieses Berufes. Das Wissen um Spielraum, Kernaufgaben und Verankerung in Gott kann dazu dienlich sein, Beruf und Seelsorge konstruktiv miteinander zu verbinden.

Meine Talente ins Spiel bringen

Ein erster Gedanke: In der Kirche sich Engagierende dürfen von dem ausgehen, was ihnen Freude bereitet, wo sie talentiert sind und den Menschen von heute unter den Nägeln brennt. Wer sich für Kunst interessiert, kann Anlässe organisieren, in denen er Glauben und Kunst zusammenführt. Wer gerne wandert oder die Stille geniesst, kann Tage der Stille und des Gebetes auf einem Maiensäss anbieten. Wer gerne reist und andere Kulturen entdeckt, bietet eine Reise ins Heilige Land an. Seelsorgerinnen und Seelsorger geniessen einen grossen Spielraum – vermutlich mehr als an vielen anderen Arbeitsstellen: Sie können Gesprächskreise, Lesezirkel, Meditation und Gebetsformen anbieten, die ihren Talenten entsprechen und Freude bereiten. Was erfreut, geht leicht von der Hand und der Funke springt über.

Vorsicht vor zu viel Aktivismus

Manchmal neigen kirchliche Mitarbeitende dazu, in einen Aktivismus zu verfallen. Sie laufen in alle Richtungen und sind gleichzeitig im Hamsterrad gefangen. Überaktivität greift ins Leere und raubt die Energie bis hin zum Burn-out. Viel Gutes aneinanderzureihen, erhöht nicht die Qualität der Arbeit.

Wie es im Buch Jesaja heisst: «Die Jungen werden müde und matt, junge Männer stolpern und stürzen. Die aber auf den HERRN hoffen, empfangen neue Kraft, wie Adlern wachsen ihnen Flügel. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt» (Jes 40,30 f). Das Hoffen auf Gott muss im täglichen Gebet eingeübt werden. Seelsorgerinnen und Seelsorger dürfen sich immer wieder in Gottes Atem ausruhen, in seinen Ruach eintauchen und sich fragen: Was will Gott von mir? Wie kann ich ihm und den Menschen mit meinen begrenzten Mitteln am besten dienen?

Mit Johannes ausgedrückt: «Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen» (Joh 15,5). Um sich nicht zu verlieren oder zu überschätzen, sollten kirchliche Mitarbeitende immer wieder überlegen, auf welches Ziel ihre Arbeit ausgerichtet ist.

Der gemeinsame Dienst im Weinberg

Es trifft zu, dass Männer und Frauen im kirchlichen Dienst vor unterschiedlichen Voraussetzungen stehen, dass manche Machtstrukturen hinterfragt werden müssen. Aber eine verbissene Auseinandersetzung rund um Machtfragen kann lähmend sein. Deshalb sollten die kirchlich Engagierten sich das gemeinsame Ziel bewusst vor Augen führen. Ob Ordensleute, Priester, Seelsorgerinnen, Katecheten oder Freiwillige: Sie alle arbeiten im gemeinsamen Weinberg des Herrn mit für das Reich Gottes. Weder Ehre noch Ansehen, weder Macht noch Reichtum ist das Ziel, sondern Gottes Ehre, die Frohe Botschaft Jesu Christi zu verbreiten und eine geschwisterliche Kirche und Gesellschaft aufzubauen.

Das Grundproblem der Kirche von heute in Europa ist meines Erachtens, dass der Glaube von Generation zu Generation nicht mehr weitergegeben wird, dass der christliche Glaube verdunstet und sich verflüchtigt. Hier muss die Kirche ansetzen!

Es wächst derzeit eine junge Generation heran, die von der Kirche nicht verletzt wurde, weil sie keine Erfahrungen mit der Kirche gemacht hat. Es gibt offene, suchende, junge Menschen, die gute Fragen stellen, die sich für Soziales und Ökologie interessieren und über Religion kaum mehr etwas wissen – Tabula rasa. Das ermöglicht einen Neuanfang: Wie gelingt es Seelsorgerinnen und Seelsorgern, mit diesen Menschen in einen Austausch zu gelangen und den christlichen Glauben einzubringen? Hier sind alle Frauen und Männer im kirchlichen Dienst gefordert. Hier sehe ich derzeit das grösste Potenzial: Die Kirche müsste ausserschulische Strukturen für die Weitergabe des christlichen Glaubens aufbauen und ihn in Familien und in Geist und Herz der Einzelnen neu einpflanzen. Dazu zählen die vier Kernaufgaben der Kirche: erstens der Aufbau von Gemeinschaft, die sogenannte Koinonia; zweitens der Dienst am Mitmenschen in deren Not, die sogenannte Diakonia; das Lob Gottes in den liturgischen Ritualen, die sogenannte Liturgia; und schliesslich das Verbinden des christlichen Glaubens mit aktuellen Themen wie Kunst, Biodiversität, Umwelt, Gerechtigkeit, die sogenannte Martyria.

Trotz Widerständen weitergehen

Jesus scharte nicht nur Freunde, Jüngerinnen und Jünger um sich. Er wurde auch zur Zielscheibe der politischen und religiösen Führer. Er verfolgte seine Ziele geradlinig und ehrlich – und bezahlte dafür mit seinem Leben. Auch Vermittler des Glaubens erfahren Widerstand: Katechetinnen und Seelsorger ernten Kritik, werden ignoriert, belächelt, nicht ernst genommen. Jesus hat als guter Hirt Kopf und Kragen riskiert: «Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reisst sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt» (Joh 10,11–13). Ein kirchliches Beamtentum würde die Kirche von innen her zerstören. Denn kirchliche Mitarbeitende werben für ein wunderbares «Produkt», das nicht käuflich ist. Je weniger Gläubige die Kirche hat, desto mehr ist sie versucht, die Administration auszubauen; auch das wäre ein Irrweg! Kirchliche Mitarbeitende werben für den Gerechten, mehr noch, für den Sohn Gottes, den Gesalbten, den Christus. Ein bezahlter Knecht flieht vor dem Wolf. Seelsorgerinnen und Katecheten dürfen nicht zurückschrecken vor Widerständen, sondern sich ganz in diese Sendung Jesu stellen.

Verbindung von Glaube und Alltag

Zeiten der Reflexion und des Gebetes helfen mir, mich zu prüfen: Wofür bin ich heute in meiner Seelsorgearbeit dankbar? Wie nehme ich den heutigen Tag wahr? Was lässt mich in meiner Liebe zu Gott und den Mitmenschen wachsen? Richte ich mich zu bequem ein, murre über meine Situation und versinke im Sumpf der Unzufriedenheit? Oder gerate ich in einen gut gemeinten, blinden religiösen Übereifer, der ebenso zerstört? Es ist dienlich, die eigenen Motive, Ziele immer wieder zu überprüfen und wahrzunehmen. Ein Eintrag im Tagebuch, ein Tagesrückblick vor Gott und meinem Gewissen, Tage der Stille und des Gebetes helfen, den eigenen Kompass zu überprüfen. Gerade als Menschen im kirchlichen Dienst erachte ich dies als sehr wichtig. So bleiben wir mit dem Weinstock verbunden, mit Jesus Christus, in dessen Dienst wir im Weinberg stehen und zur Ehre Gottes Frucht bringen.

Welche Art von Spiritualität kann im kirchlichen Dienst Arbeitenden dienlich sein? Es müsste eine Spiritualität sein, die Geist und Alltag, Ideenreichtum und Organisation zu verbinden vermag. Dabei können die kirchlichen Mitarbeitenden von ihren Talenten ausgehen, sich hüten vor Bequemlichkeit und Überaktivität und das Ziel ihrer Aufgabe im Blick behalten, nämlich die Botschaft Jesu bis an den Rand der Gesellschaft ins Spiel zu bringen. In der Verkündigung des Glaubens ernten sie nicht nur Anerkennung, sondern auch Widerstände, die es zu überwinden gilt. Schliesslich helfen Reflexion und Gebet, Beruf und Seelsorge lebendig zu halten.

Andreas Schalbetter


Andreas Schalbetter

P. Andreas Schalbetter SJ (Jg. 1965) war Primarschullehrer und studierte anschliessend Theologie. 1998 wurde er Mitglied der Gesellschaft Jesu und ist seit 2000 Studierendenseelsorger: zuerst in Zürich, anschliessend in Bern, später in Basel und seit 2015 in Luzern. Er absolvierte den Universitätslehrgang für zwischenmenschliche Kommunikation im Berufsleben in Innsbruck.