Im Oktober 2023 hat das Bistum Sitten als erste Diözese in der Schweiz die Einleitung einer unabhängigen Prüfung bezüglich des Umgangs mit Fällen von sexuellem Missbrauch innerhalb der Diözese angekündigt. Dazu wurde der Kanzlei Vicario Consulting der Auftrag erteilt, ein Audit durchzuführen, «um den Opfern eine Stimme zu geben, damit sie ihre Erfahrungen mit dem Empfang und der Weiterverfolgung ihres Falles einer unabhängigen und neutralen Struktur anvertrauen können. Ausserdem sollten die im Bistum vorhandenen Archive auf ihre Übereinstimmung mit den üblichen Bestimmungen und Verfahren sowie auf ihre Verbindung mit den Aussagen der Opfer untersucht werden». Nachdem die Firma Vicario Consulting das Resultat dieses Audits, das neben dem Aktenstudium auch die Anhörung von mehreren Betroffenen umfasste, Anfang Mai vorgelegt hatte, wurde diese Studie vom Bistum hat an einer Pressekonferenz am 11. Juni publik gemacht. Im Bemühen um Transparenz und Wahrheit hat Bischof Jean-Marie Lovey beschlossen, diesen Bericht vollständig zu veröffentlichen und auf der Webseite des Bistums Sitten zugänglich zu machen. Seither hat das Bistum Sitten folgende Präventionsmassnahmen ergriffen:
1. Weiterbildung
Es wurden alle Mitarbeitenden in der Seelsorge verpflichtet, an einem Weiterbildungskurs zum Thema sexueller und geistlicher Missbrauch teilzunehmen. Die Anwesenheit wurde kontrolliert und Säumige wurden verpflichtet, den Kurs anderswo zu besuchen und die Teilnahme daran auch schriftlich bestätigen zu lassen. Inzwischen haben alle diesen Kurs besucht.
In Zusammenarbeit mit den Ausbildungsverantwortlichen der Schweizer Bistümer will auch das Bistum Sitten in Zukunft neu eintretende Seminaristen daraufhin prüfen, ob sie psychisch geeignet sind, in der Seelsorge tätig zu sein, ob sie genügend Empathie zeigen und auch mit ihrer eigenen Sexualität verantwortungsbewusst umgehen können. Bei den Kandidaten soll von Beginn an eine Sensibilität für die Themen Prävention, Persönlichkeitsbildung und Professionalisierung geschaffen werden.
2. Geheimarchiv
Im Pilotprojekt der Universität Zürich wurde kritisiert, dass auch im Bistum Sitten Personalakten aus dem Geheimarchiv entfernt wurden, darunter auch solche, die von Missbrauch und sexuellem Übergriff handelten.
Obwohl dies den damaligen und auch heute noch gültigen Forderungen des CIC entspricht, haben die Schweizer Bischofskonferenz und damit auch das Bistum Sitten beschlossen, «dass alle Archive unter der Verantwortung der Bischöfe, welche Hinweise und Informationen zu Missbrauchsfällen enthalten könnten, weiterhin zugänglich sind und keine Dokumente vernichtet werden». Um dies zu gewährleisten, hat Bischof Lovey entschieden, zwei Historikerinnen im Teilamt anzustellen, die das bischöfliche Archiv in Zukunft betreuen sollen.
3. Unabhängige Ansprechpersonen
Es wurde im Bericht von Vicario Consulting darauf hingewiesen, dass es für die Missbrauchsopfer nicht einfach sei, sich an die Bistumsleitung zu wenden, da diese nicht neutral sei. Um hier eine grössere Unabhängigkeit zu gewährleisten, hat der Bischof Pfarrer Stefan Roth zur Verbindungsperson zwischen dem Ordinariat und dem Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» (ASCE) für das Bistum Sitten ernannt. Zudem soll dieses Gremium in Zukunft selbständiger arbeiten können. Alle Anzeigen von Missbrauch werden an die Walliser Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Für das Unterwallis sind Generalvikar Pierre-Yves Maillard und Sr. Adrienne Barras die Verbindungspersonen.
4. Kommunikation
Das Bistum Sitten hat beschlossen, in Zukunft transparenter zu informieren, proaktiv zu agieren und nicht immer nur zu reagieren. Dafür gilt es, die uns zur Verfügung stehenden Plattformen zu aktualisieren und bekannter zu machen. Zudem sollen die regelmässigen Rubriken, die uns von den verschiedenen unabhängigen Medien zur Verfügung gestellt werden, besser genutzt werden.
5. Verhaltenskodex
Das Bistum Sitten ist daran, einen Verhaltenskodex für die Seelsorgenden im Bistum zu erarbeiten. Dieser ist Teil eines präventiven Ansatzes, der alle Menschen im kirchlichen Umfeld vor allen Formen des Missbrauchs schützen soll. Seine Approbation wird in Kürze erwartet.
6. Charta
Bereits im vergangenen November wurde eine Charta zwischen dem Bistum Sitten und dem Kanton Wallis ausgearbeitet, die Themen im Zusammenhang mit der Betreuung von Opfern, der Prävention und der Anwendung der neuen Massnahmen behandelt. Zu diesen Massnahmen gehörte auch, dass alle Seelsorgenden einen Auszug aus dem Strafregister und einen Sonderprivatauszug vorlegen mussten. Bei einer Neuanstellung muss in Zukunft ein neuer Auszug vorgelegt werden. Es gibt keine Ernennung oder Einstellung Seelsorgender mehr, ohne dass zuvor eine detaillierte Analyse der Personalakte erfolgt ist. Zudem müssen bei einer Anstellung alle die Charta der Diözese zur Missbrauchsprävention zur Kenntnis nehmen und sie unterzeichnen.
Paul Martone*