Wolfgang Hafner: Pädagogik, Heime, Macht – eine historische Analyse. (Integras – Fachverband Sozial-und Sonderpädagogik) Zürich 2014, 262 S.
Die im Auftrag des Fachverbands vom Solothurner Wirtschafts- und Sozialhistoriker Wolfgang Hafner verfasste Analyse deckt zeitlich die Gründung des damaligen (Hilfs-)Verbandes für Schwererziehbare von 1923 bis in die 1980er-Jahre ab. Um 1920 gab es um 344 Anstalten mit knapp 19 000 Plätzen. Dazu kamen in der Schweiz die «Verdingkinder», die wohl ähnliche Erfahrungen durchmachen mussten wie die Heimkinder. Hafner sieht die Heime wie einen Ozeandampfer mit einem langen Bremsweg, einerseits bestimmt durch zeitgenössische Normen, andererseits auch durch den Blick zurück in die meistens verklärte Vergangenheit. In der Zwischen- und Nachkriegszeit wurden nicht grosse Veränderungen vorgenommen, massgebend war ein männerbündisches, helvetisches Denken, wobei die Pädagogik auf ein System der Kontrolle und der vermeintlichen Individualisierung des Erziehungsprozesses ausgerichtet und oftmals stark religiös geprägt war. «Dabei waren Missbräuche nicht das Problem Einzelner, sondern strukturell angelegt» (S. 235). Interessant ist die Geschichte des einstigen Hilfsverbands für Schwererziehbare, der heutige Fachverband Integras, der überkonfessionell getragen war und als Bindeglied zwischen weltanschaulich unterschiedlichen Milieus diente, auch als Scharnier zu den oftmals aufgeklärt-liberalen staatlichen Stellen. In dem Verband fand gewissermassen Ökumene «avant la lettre» statt, was eine Tabelle am Schluss des Buches mit den Namen der Vorstandsmitglieder schön aufzeigt. Um 1970 veränderte sich das Erziehungsverständnis der Verantwortlichen – etwas plakativ – ausgedrückt vom Über-Ich zur Entwicklung des Ichs. Das Religiöse verlor seinen Einfluss, womit eine wichtige Klammer für die Institutionen wegfiel. Die sog. Heimkampagne von 1970/71 stand im Zwiespalt zwischen grundsätzlicher Kritik an der Institution Heim und evolutionären Reformansätzen.