Je vertiefter man sich mit dem Kantatenwerk von Johann Sebastian Bach auseinandersetzt, umso mehr erkennt man hinter diesem grössten Komponisten des Barock auch den Theologen. Nicht nur verrät die vielschichtige Textwahl den bibelsicheren Kenner des Kirchenjahres, die musikalische Deutung von Wort, Text und Inhalt weisen auf einen Exegeten hin, der weiss, wie und wozu er «Töne setzt». Ob die Leipziger Thomas-Gemeinde das immer verstanden hat, bleibe dahingestellt. Dass Bach heute noch der meistgehörte Komponist ist, hängt auch damit zusammen, dass seine musikalischen und inhaltlichen Intentionen noch lange nicht ausgeschöpft sind. Dies zeigt sich auch in seinen drei Werken zu Epiphanie: in der fünften und sechsten Kantate des Weihnachtsoratoriums, in den Kantaten «Sie werden alle aus Saba kommen» BWV 65 und «Liebster Immanuel, Herzog der Frommen» BWV 123 sowie im Präludium & Fuge für Orgel BWV 547.
Das Weihnachtsoratorium
Dieses wohl populärste Vokalwerk Bachs handelt im Teil «Ehre sei Dir, Gott, gesungen» vom Besuch der Weisen aus dem Morgenland, die dem Kind huldigen wollen. Bach folgt hier dem Matthäus-Evangelium (Mt 2,1–6) und kommentiert das Geschehen mit Chorsätzen, Arien und Chorälen, analog dem Vorgehen in seinen Passionsvertonungen. Die subjektive emotionale Substanz liegt dabei in den Arien, die theologische Verankerung in den Chorälen. Das gilt auch für die abschliessende Kantate des Weihnachtsoratoriums «Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben». Sie soll am Fest Epiphanie vor falscher Huldigung (Herodes) und «ohnmächtiger Menschen Macht» warnen. Ihre Quintessenz liegt im schlichten Choral «Ich steh an deiner Krippen hier» mit dem Bekenntnis, dem Kind alles zu schenken, was «du mir hast gegeben».
Kantaten zu Epiphanie
Neben der herrschaftlichen Festtagsmusik des Weihnachtsoratoriums mit Pauken und Trompeten stellt sich die Kantate 65 «Sie werden alle aus Saba kommen» verhaltener dar. Zwar ist die Orchesterbesetzung mit Hörnern, Flöten, Oboen und Streichern auch reichhaltig, doch wählt Bach hier einen anderen theologischen Ansatz: Nicht die Herrlichkeit Gottes, die sich in diesem Kind offenbart, steht im Vordergrund, sondern vielmehr jene Vision des Jesaias, der die Völker der Erde aus der Dunkelheit ins Licht ziehen sieht. Das zeigt sich gleich im grossartigen Eröffnungschor, wo eine nach oben strebende Intonation der Hörner bald das ganze Orchester und dann den Chor mit sich zieht – eine stetig wachsende Huldigungs-Wallfahrt, angeführt von den drei Weisen aus dem Morgenland, die musikalisch im finalen Unisono über die Worte «und des Herren Lob verkündigen» kumuliert. Keine Predigt könnte dieses globale Geschehen, welches die Geburt dieses Kindes auslöste, anschaulicher schildern. Auch was die Textgestaltung anbetrifft, geht Bach hier anders vor als im Weihnachtsoratorium. Nicht der Evangelientext ist nun die Leitlinie, sondern die Bezugnahme auf biblische Aussagen, die paraphrasiert und musikalisch interpretiert werden. Etwa in der Bass-Arie «Gold aus Ophir ist zu schlecht», wo die Verheissung von Jesaias (Jes 13,12) gedeutet wird, dass ein Mensch erscheinen werde, der kostbarer sei als dieses Gold. Das kunstvolle Duett der beiden begleitenden Oboen, welches die gekünstelten Koloraturen der Singstimme kontrapunktieren, machen den Antagonismus offenbar. Und in der tänzerischen Tenorarie «Nimm mich dir zu eigen hin» vertieft Bach schliesslich das zentrale Bekenntnis des Weihnachtsoratoriums.
Noch persönlicher gibt sich die zweite Kantate zu Epiphanie «Liebster Immanuel, Herzog der Frommen» BWV 123, was gleich im Eröffnungschor ersichtlich ist: «Du hast mir, höchster Schatz, mein Herz genommen, so ganz von Liebe brennt und nach dir wallt.» Musikalisch kommt das vor allem im drängenden Orchestersatz zum Ausdruck und später in der anspruchsvollen Tenorarie, welche die «harte Kreuzesreise» zu diesem Ziel hin versinnbildlicht. Der Schlusschoral bestätigt es: «Drum fahrt nur immer hin, ihr Eitelkeiten, du Jesu, du bist mein und ich bin dein.»
Orgelmusik
Doch auch in einigen seiner Präludien und Fugen behandelt Bach theologische Fragen. So in Präludium & Fuge in C-Dur BWV 547, welches wegen seines pastoralen Charakters gerne in der Weihnachtszeit gespielt wird. Zu Recht, denn nicht nur erscheint im Präludium das eröffnende Thema der Kantate «Sie werden alle aus Saba kommen», dem sich bald ein zweites weihnachtliches Motiv zugesellt («Vom Himmel hoch»), es lassen sich auch in der anschliessenden Fuge Bezüge zu Chorälen entdecken. Die Dramaturgie des ganzen Werkes legt plastisch das Geschehen und die Folgen von Epiphanie nahe. Keine Frage, Bach ist ein theologischer Komponist, der auch in der heutigen säkularisierten Welt offensichtlich immer noch verstanden wird.
Alois Koch*