Jede Messfeier ist ein «Eucharistischer Weltkongress», so armselig, unscheinbar und abgelegen sie sich auch vollziehen mag: Hier ist der ganze Leib Christi gegenwärtig und erneuert sich durch das Wirken des Geistes im Handeln der Menschen, hier berühren sich Himmel und Erde, hier vereinen sich die Lebenden und die Verstorbenen, die Menschen in der Geschichte und die Engel und bei Gott vollendeten Heiligen, hier verschmelzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zum «Heute», um dem Gott zu danken, der «will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen» (1 Tim 2,4; zitiert in der Liturgiekonstitution des II. Vatikanums, Nr. 5). Die Lehre der Kirche spricht wahrhaft gross über die Liturgie; sie beschreibt eine Dynamik der «Globalisierung», wie sie umfassender nicht gedacht werden könnte.
Wenn in jeder Liturgie die ganze Weltordnung sich neu konstituiert – wozu dient dann noch ein Eucharistischer Weltkongress, wie er jetzt vom 5. bis 12. September in Ungarn angekündigt ist? Grundlegender gefragt: Warum sind die grossen Bekenntnisse über die Eucharistie so blass geworden? Papst Johannes Paul II. betont in seiner Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (Die Kirche lebt aus der Eucharistie): «Im Ostergeschehen und in der Eucharistie, die es durch die Jahrhunderte hindurch gegenwärtig macht, liegt ein enormes Potenzial, in dem die ganze Geschichte als Adressat der Erlösungsgnade enthalten ist. Dieses Staunen muss die Kirche immer ergreifen, wenn sie sich zur Feier der Eucharistie versammelt.» Heute hören wir häufiger: Die Kirche lebt aus dem synodalen Weg, sie lebt durch erneuerte Strukturen, sie lebt durch die bessere Würdigung der Frauen, sie lebt durch Bekämpfung des Missbrauchs ...
Defizite im Eucharistieverständnis
Lassen wir uns inspirieren durch die Geschichte der Eucharistischen Weltkongresse: 1881 wurde mit Unterstützung durch Papst Leo XIII. der erste internationale Kongress durch den Laien und Industriellen Philippe Vrau organisiert, der in Lille inmitten der Auswirkungen der Industriellen Revolution und antiklerikaler politischer Kräfte ein Zeichen setzen wollte. Die Kongresse, die zunächst fast jährlich stattfanden (darunter 1885 in Freiburg i. Ü.), wurden immer internationaler. Die beiden Weltkriege führten zu Unterbrechungen, aber auch zu einer neuen Sinngebung: Angesichts der Zerrissenheit der Welt erschien die Eucharistie nun als Symbol der Einheit der Menschheit und als Weg zu dauerhafter Versöhnung.
Die Gestalt der Kongresse litt anfangs unter Defiziten im Eucharistieverständnis, das drei Elemente weder theologisch noch im kirchlichen Leben recht zu verbinden vermochte:
- die reale Gegenwart Christi in der Eucharistie, die sich in einer verbreiteten Anbetungsfrömmigkeit äusserte, bis hin zu Messfeiern vor ausgesetztem Allerheiligsten;
- die Kommunion, die losgelöst vom Geschehen der Liturgie eher der persönlichen Frömmigkeit diente, sodass sie auch vor oder nach der Messe ausgeteilt werden konnte;
- die Eucharistie als Messopfer, dessen Deutung dem protestantischen Widerspruch kaum standhalten konnte.
Die Liturgische Bewegung in Verbindung mit der Jugendbewegung und den ökumenischen Impulsen «wandelte» die Eucharistiefrömmigkeit. Das schlug sich auch in den Internationalen Eucharistischen Kongressen nieder: Während sie anfangs den Charakter eines «Weltfronleichnam» trugen (Handbuch der Kirchengeschichte VII, 317), ging es nun um die eucharistische Feier als gemeinschaftlichen Vollzug.
Einen neuen Akzent setzte der Liturgiker Josef Andreas Jungmann, der 1930 die Idee der «Statio» aus der alten stadtrömischen Kirche aufgriff: Während der Bischof von Rom – vor allem in der Fastenzeit – Gottesdienste in den wichtigsten Kirchen abhält, um die Einheit von Bischof, Klerus und Volk sichtbar zu machen, schlug Jungmann neben dieser «Statio Urbis» eine «Statio Orbis» vor: Die weltweite Gemeinschaft der Kirche solle bei der Eucharistiefeier als Höhepunkt des Eucharistischen Kongresses erfahrbar werden – nicht triumphalistisch und demonstrativ, sondern als ermutigendes, versöhnendes «Zeichen für die Völker» (Liturgiekonstitution 2).
Impulse für Frieden und Gerechtigkeit
«Statio Orbis» – so steht es auch im Programm des Kongresses 2021 in Ungarn über der abschliessenden Eucharistiefeier. So sehr mit vielen Teilnehmenden an dieser Messfeier zu rechnen ist, so lebt sie doch nicht von der Masse: Die Weltkirche lässt sich nicht quantitativ repräsentieren. Eucharistie ist «Statio»: ein Haltepunkt auf dem Weg der Kirche durch die Zeit. Ein Stück endlicher Geschichte wird in Jesu Pascha zum Heil der Welt hineingenommen. Das Ziel der Versöhnung leuchtet auf und ermutigt zum weiteren Weg. So lenkt der Kongress unseren Blick auf Ungarn, das bereits 1938 Gastgeberland des letzten Kongresses vor dem Zweiten Weltkrieg war.
Ungarn gehört seit 2004 zur Europäischen Union, ist aber schon wegen seiner Sprache ein Symbol des Fremden im europäischen Haus. Wiederholt hatte Ungarn in den letzten Generationen den Blick auf sich gezogen: 1956 anlässlich des Volksaufstandes gegen die Kommunistische Partei; 1989, als zahllose DDR-Bürgerinnen und -Bürger über Ungarn in den Westen flohen; am 4. September 2015, als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Tausende Flüchtlinge, die in Ungarn zum «March of Hope» aufgebrochen waren, nach Deutschland einreisen liess und damit ein umstrittenes Zeichen in der Asylpolitik setzte. Heute charakterisiert eher eine Politik der geschlossenen Grenzen das politische Regime Ungarns. Kardinal Péter Erdö, Erzbischof von Budapest, vertritt mit den etwa sechs Millionen Katholikinnen und Katholiken über die Hälfte der Bevölkerung, doch er spricht zugleich für alle Bürgerinnen und Bürger seines Landes und erhofft Impulse zu mehr Frieden und Gerechtigkeit im grösseren Kontext der osteuropäischen Völker.
Ein Zeichen für die Völker Der ungarische Weltkongress steht unter dem biblischen Motto «All meine Quellen entspringen in dir» aus Psalm 87,7. Auch hier ist die Rede von einer «Statio Orbis»: Von Jerusalem, der Stadt auf dem Berge Zion, sagt man: «Jeder ist dort geboren» (Ps 87,3–5). Diese Stadt steht nicht mehr in Konkurrenz zu den vielen Orten dieser Geschichte, sondern bietet allen Völkern Heimat. Die Stadt steht für den umgrenzten Lebensraum, für freiheitliche Gestaltung in verantwortlichen Beziehungen. Christinnen und Christen, die Eucharistie feiern, setzen ein «Zeichen für die Völker» und solidarisieren sich mit Freude und Bedrängnis der Menschen unserer Zeit. Wenn die eschatologische Spannung auf das neue Jerusalem hin nicht ausgehalten wird, macht die Kirche die Eucharistie zu «Beruhigungspastillen», wie der russische Denker Sergij Bulgakov nachdrücklich betont.
Die drei disparaten Elemente der Eucharistietheologie lassen sich verbinden: Ja, Jesus, der Christus ist «real gegenwärtig», nicht in statischer Faktizität, sondern indem er uns wirksam zur Gemeinschaft seines Leibes verbindet und in sein fortdauerndes Handeln zum Heil der Schöpfung einbezieht. Ja, die Eucharistie drängt hin zur Kommunion, nicht allein zwischen der einzelnen Seele und ihrem Erlöser, sondern zur Communio der Erlösten im Dienst an der Rettung aller. Ja, die Messe ist ein Opfer, weil die Kirche mit und in Christus aus Liebe die Widerstände und Aggressionen auf sich nimmt, um sie unter Einsatz des eigenen Lebens zum Frieden zu wenden. Neue Sinngebungen erschliessen sich heute aus dieser eucharistischen Mitte: die Aufmerksamkeit für die Bewahrung der Schöpfung; die drängende Erwartung der versöhnten Christenheit, symbolisiert durch die Mitwirkung von Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel, der im Jahr 2000 König Stephan von Ungarn auch für die orthodoxe Kirche heiliggesprochen hat; die Diakonie der Kirche, wie daraus ersichtlich wird, dass im Johannes-Evangelium die Fusswaschung an die Stelle eines Abendmahlsberichts tritt. Wir dürfen auf die «Statio» in Ungarn und auf die Inspirationen gespannt sein, die Gottes Geist weit über all unsere Planungen hinaus wirken kann.
Barbara Hallensleben