Die kleine Kirche im Val Fex steht weithin sichtbar auf einer Anhöhe. Durch den einfachen Saalbau mit dem flach gedeckten Rechteckschiff und der gerundeten, halbkugelartigen Wölbung der Apsis wurde sie noch bis ins letzte Jahrhundert als «kleine, romanische Kapelle» bezeichnet. Auch wenn die Kirche durch ihr Aussehen den typischen Landkirchen des Mittelalters entspricht, so wurde sie tatsächlich erst um 1500 errichtet. Erstmals erwähnt wird sie 1506. Die für diese Zeit untypische romanische Bauweise dürfte mit den beschränkten finanziellen Mitteln der kleinen Talgemeinschaft zusammenhängen: Ein Chor mit gotischem Rippengewölbe wäre einiges teurer gewesen.
Heute ist die Kirche für ihre Fresken bekannt, die einer norditalienischen Wanderwerkstatt zugeordnet werden. Die Fresken stammen gemäss einer Inschrift aus dem Jahr 1511. Die früh einsetzende Reformation – Sils wurde bereits 1552 reformiert – legte rasch eine Decke über die Bilder resp. zunächst eine Farbschicht, im Zuge einer Renovation (vermutlich in den 1660er-Jahren) eine Mörtelschicht. Erst 1928 wurden die Fresken entdeckt. Der Brüsseler Ingenieur Charles Lefébure legte mittels Sondierschnitten im oberen Teil der Chorwand Teile der Bilder frei. Leider richtete seine unbedarfte Methode irreparablen Schaden an den Fresken an. Die weiteren Teile wurden 1968 bis 1976 und 2005 bis 2007 freigelegt.
Ein Gnadenstuhl und viermal Maria
Im Zentrum des Kalottengewölbes steht ein Gnadenstuhl in einer Mandorla, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten. Die Szene links davon stellt Maria als die Königin der gottgeweihten Jungfrauen dar. Katharina von Alexandria kniet vor der Muttergottes und dem Jesuskind. Dieses steckt ihr den Vermählungsring an den Finger («mystische Vermählung»). Hinter ihr stehen die heilige Barbara und die heilige Margareta von Antiochien. Letzterer war auch diese Kirche geweiht. Warum sie nur als Teil des Jungfrauenbildes erscheint und nicht allein an einem prominenteren Ort, ist unklar. Rechts des Gnadenstuhls stehen zwei Figuren, die als Johannes der Täufer und Paulus identifiziert werden. Man vermutet, dass Paulus hier dargestellt wird, da er auf dem Apostelfries keinen Platz mehr hatte. Die grosse Szene rechts von ihnen ist ein Loreto-Votivbild. Die Gottesmutter mit Kind thront über dem von Engeln getragenen Haus, das als Kirche dargestellt wird. Die Inschrift weist Antonius Januz, den Dorfmeister von Fex, als Stifter des Bildes aus. Das vordere Band der Apsiskalotte zeigt eine Reihe von übereinander angeordneten Propheten. Diese sind bezüglich Haltung, Kleidung und Haltung unterschiedlich dargestellt und um jedes Haupt fliesst ein Schriftband mit dem Namen des dargestellten Propheten.
Entlang der Apsiswand sind die (elf) Apostel dargestellt. Die beiden äussersten Figuren wurden durch eine nachträgliche Abschrägung der Chorbogenkante fast vollständig zerstört. Die Apostel halten ein Spruchband in ihren Händen, das sich wie ein zweiter Nimbus über ihre Köpfe legt. Darauf stehen in Majuskeln ihre Namen und in Minuskeln Auszüge aus dem Credo. Eher ungewöhnlich ist die Unterbrechung des Apostelfrieses durch eine Anna selbdritt-Darstellung.
Unterhalb der Sakramentsnische sind zwei Messkännchen aufgemalt. So entsteht der Eindruck eines doppelgeschossigen Wandregals. Es handelt sich hier um eines der ältesten bekannten nachantiken Stillleben der Schweiz.
Die Chorbogenwand zeigt eine Verkündigungsszene: links der Engel Gabriel, auf der rechten Seite Maria. Rechts über dem Chorbogenscheitel sendet Gott Vater den Heiligen Geist in Gestalt der Taube zur Jungfrau.
Wer den Weg zur kleinen Kirche auf sich nimmt, wird drinnen mit ausdrucksstarken Bildern und draussen mit einer herrlichen Berglandschaft verwöhnt.
Rosmarie Schärer