Die wohl grundsätzlichste Frage, die mich bei meiner Arbeit immer wieder beschäftigt, ist die Frage nach der Veränderung in der Kirche – sicherlich einhergehend mit den Veränderungen in der Gesellschaft, zur Zeit noch befeuert durch die Pandemie-Situation. Ja, vielleicht müsste man mehr noch vom «Bruch in der Kirche» sprechen.
Wir haben archaische und komplexe Strukturen, gerade bei uns im Kanton Freiburg auch eine sehr ausgeprägte bi-kephale Organisation. Wir haben viele Pfarreien, zum Teil auch kleine, die erst vor 60 oder 70 Jahren entstanden sind. An jedem Ort, in jeder Kirche sollte heute noch jeden Sonntag Gottesdienst respektive Eucharistie gefeiert werden. Man will es so, man erwartet es so, man zahlt ja dafür. Mit welchem Erfolg? An einigen Orten in Deutschfreiburg war die Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 50 Personen jetzt, während der zweiten Corona-Welle, absolut kein Problem, ausser vielleicht bei einem Gottesdienst zum Dreissigsten. Oder bei einer Erstkommunion oder Firmung. Hier sind die Familien beleidigt, wenn sie nicht beliebig viele Verwandte und Freunde in die Kirche einladen können. Obwohl gleichzeitig so viele Angehörige von ihren Verstorbenen nur im kleinsten Kreise Abschied nehmen durften! Und auch wenn sich die Seelsorger alle Mühe geben, die Gruppen aufzuteilen und mehrere aufeinanderfolgende Feiern anzubieten.
Das ganze komplexe System hat sicherlich auch Vorteile, ich denke da vor allem an den schulischen Religionsunterricht, den wir in unserem Kanton immer noch durchführen können, ohne Hinterfragen. Wir können so viele Kinder – und ihre Familien – erreichen, auch wenn die betroffenen Kinder immer öfters im Schulalter noch nicht getauft sind. Dies wäre eigentlich eine super Chance für uns, mit diesen Familien und Kindern auf den Weg zu gehen, sie ausserschulisch zu begleiten, ihnen etwas von unserer tiefen Überzeugung und unserem Glauben weiterzugeben. Doch sind wir dazu bereit? Meistens versuchen wir, diese Kinder und Familien so schnell wie möglich ins herkömmliche System zu integrieren, indem man die Kinder schnell vor der Erstkommunion tauft, und dann ist alles wieder in Ordnung. Vielleicht müssten wir uns aber die Mühe nehmen, einen längeren Weg mit ihnen zu gehen, ein Katechumenat, das vielschichtiger ist als die möglichst schnelle Integration in die bisherigen Strukturen. Auch unsere Erstkommunion- und Firmvorbereitung läuft vielerorts immer noch nach dem herkömmlichen Schema: Es gibt ein Alter für dieses, ein Alter für jenes Sakrament, ohne auf den Glaubensweg des Einzelnen, der einzelnen Familie einzugehen.1
Ich höre den Aufschrei: «Das können wir uns gar nicht leisten, wir haben dafür keine Zeit!» Aber wofür haben wir denn noch Zeit? Wir haben Strukturen, Sitzungen, Gremien bis ins Unendliche und auch Geld. Aber haben wir Zeit für die Sorgen und Nöte, für die Freude und Hoffnung der Menschen in unseren Pfarreien?
Das Missbehagen ist gross, die Leute treten aus der Kirche aus, vielleicht auch, weil wir, die sogenannten Gläubigen, uns nicht unbedingt immer modellhaft verhalten und unseren christlichen Glauben leben. Es braucht meiner Meinung nach endlich die Erkenntnis dieses Bruches. Denn es gibt bereits auch in der Kirche Mutationen. Mutationen, die sich nicht mehr an das bisherige System klammern. Seien wir aufmerksam, dass wir uns mit-ändern, bevor es zu spät ist.
Marianne Pohl-Henzen